Samstag, 18. Mai 2024

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Ein Portrait zum 100. Geburtstag

Die Bücher Fritz Mühlenwegs sind im Libelle-Verlag erschienen:

Von Stefan Sell | 11.12.1998
    - Tausendjähriger Bambus (104 S., 25 Mark)

    - Kleine mongolische Heimlichkeiten (144 S., 25 Mark)

    - In geheimer Mission durch die Wüste Gobi (780 S., 49 Mark)

    - Fremde auf dem Pfad der Nachdenklichkeit (304 S., 39 Mark)

    - Nuni (Mit Bildern von Rotraut Susanne Berner, 144 S., 29 Mark)

    - Malerei (ca. 200 S., 50 Farbtafeln u. 80 s/w-Bildern, 98 Mark)

    "'Von den Frauen spricht man am besten nicht', sagte der Mongole Pandiriktschi, nachdem er mir des längeren die Vorzüge seiner Frau geschildert hatte. 'So!' sagte ich, und ich schwieg eine Weile, bevor ich ihn auf den Widerspruch seiner Reden aufmerksam machte. Ich sagte auch bloß: 'Pantje, du sprichst aber die ganze Zeit davon.' 'O Dandjat', erwiderte Pantje, 'es gibt Unterschiede.' 'Eben darum', sagte ich, und dann schwiegen wir wieder, weil wir allein am Feuer saßen und weil der hohe bestirnte Nachthimmel über der schweigenden Wüste Gobi stand. Nach einer Weile seufzte Pantje. 'Du mußt noch viel lernen', sagte er bekümmert. 'Du bist mein Lehrer', erinnerte ich ihn, 'so lehre mich.' Und ich reichte ihm den Bambusknüppel, den man als Reitstock für die Kamele benützt. Pantje lächelte geschmeichelt, aber er schob den Knüppel von sich. 'Nicht mit dem Daschior', sagte er, 'mit Worten will ich dich lehren, wie man es mit aufmerksamen Schülern tut.' 'So lehre mich mit Worten', bat ich. 'Du sollst mich aussprechen lassen', mahnte Pandiriktschi. 'Ich habe dir gesagt, daß man von den Frauen am besten nicht spricht.' Diesmal nickte ich bloß und wartete. 'Es sei denn', fuhr Pantje fort, 'sie sind schon tot.' Das war eine eindrucksvolle Rede. Wo in aller Welt sagt man jemandem auf solche Art, daß man seine Frau verloren hat."

    In diesen Tagen wäre der Schriftsteller und Maler Fritz Mühlenweg hundert Jahre alt geworden. Einigen wird sein Roman "In geheimer Mission durch die Wüste Gobi" unter dem Titel "Großer-Tiger und Christian" noch in Erinnerung sein. 1954 erhielt er dafür den Friedrich-Gerstäcker-Preis. Zu früh als "Jugendbuchautor" deklassiert, erfeute er sich in den 50er Jahren großer Popularität, geriet aber bald nach seinem Tode 1961 in Vergessenheit. Wer den Autor heute wieder aufmerksam und ungekürzt liest, entdeckt in seinen Werken ein wunderschönes Stück Weltliteratur, ein exotisches Panorama kiplingschen Ausmaßes, ebenso sentenzenreich und voller Ironie erzählt. Ähnlich wie Melville nutzt er die Form des Abenteuerromans als Träger philosophischer Fragen.

    Geboren wurde Fritz Mühlenweg in Konstanz. Die Eltern führten dort eine angesehene Drogerie. Zunächst wurde auch Mühlenweg Drogist. Mit 28 Jahren mußte er jedoch feststellen: Er mochte seine Eltern, nicht aber in deren Fußstapfen treten. Ein Konstanzer Bürgerleben stellte für Mühlenweg keine Perspektive dar. Er bewarb sich mit seinen kaufmännischen Fähigkeiten bei der neu gegründeten Lufthansa in Berlin. Auf einer von ihr geförderten Expedition Sven Hedins nach Ostasien sollten Erkenntnisse aus der Wetterbeobachtung für eine Flugverbindung Berlin-Peking gesammelt werden:

    "Viele Jahre lang dachte ich an eine Reise in ferne Länder, die wenig mit der Zivilisation zu tun haben sollten. Ich dachte unablässig daran, und das half. Im Januar reisten wir nacheinander über Moskau mit der sibirischen Eisenbahn nach Peking. Ich hatte das Hauptbuch bei mir und die Listen über den Inhalt der 48 Kisten, und ich genoß die Reise in dem Hochgefühl, daß alles in bester Ordnung war. Wenn einer damals kam und mich fragte, wo es eine staubdichte Uhrkapsel gebe, schlug ich die Liste "Persönliche Bedarfsmittel" auf und sagte: ‘Mach die Kiste 27 auf. In der Mitte befindet sich eine graue Pappschachtel, und in der Pappschachtel sind vierundzwanzig staubsichere Uhrkapseln.’ So ordentlich war alles beisammen. Dann begann das Umpacken. Wer je eine Expedition mitgemacht hat, weiß, was das bedeutet. Es wiederholt sich beinahe täglich. Meine schönen Listen kamen dabei in solche Verwirrung, daß ich sie zerriß und neue schrieb."

    Von 1927 bis 1932 hielt Mühlenweg sich insgesamt dreißig Monate in China und der inneren Mongolei auf. Die herzliche Begegnung mit den Mongolen war für ihn eine entscheidende Erfahrung. Er verinnerlichte ihre Lebensweisheit und lernte auch ihre Sprache.

    "Man muß nicht immer gleich Angst haben. Die Mongolen merken es, und nachher ist es schwer, sich wieder Achtung zu verschaffen. Ganz gelingt es ohnehin selten. Allzulange hatte ich mein Unwissen vom einfachen Leben ahnungslos offenbart und auch noch für richtig gehalten. Ich begann zu überlegen. Viele kleine Erlebnisse, deren Bedeutung ich langsam erkannte, formten das neue Bild von Welt und Wirklichkeit. Es war weniger laut als das gewohnte und weniger ruhmredig. Man machte sich nichts vor. Es kam darauf an, mehr zu sein als zu scheinen, selbst auf die Gefahr, diesen Grundsatz einmal verkehrt herum anzuwenden."

    Unterdessen hatte Mühlenweg zu malen und schreiben begonnen. Doch zurück in Konstanz spürte er die Diskrepanz zwischen den Umständen und Ansprüchen hier und jener völlig andersartigen Lebensweise dort. In der Mongolei hatte er eine neues Zeitverständnis bekommen und erlebt, wie das scheinbar Nebensächliche Bedeutung trägt:

    "Da stieg ich ab. Es wäre unhöflich gewesen, vorbeizureiten, und im Dämmerlicht sah ich auch schon das Zelt und den Mann, der mir entgegenkam. Wir begrüßten uns, und dann tauschten wir die Schnupftabaksflaschen als Freunde. Nachher stritten wir, wer als erster ins Zelt eintrete, und als ich nachgegeben hatte, stritten wir um die Plätze. Wir stritten lange und heftig und unter stetem Hinweis auf die eigene Nichtswürdigkeit und auf die Erhabenheit des Gegners, bis wir uns schließlich einigten und uns dahin setzten, wo wir der Rangordnung nach hingehörten. Dann fragten wir einander viele Höflichkeitsfragen nach dem eigenen Befinden und nach dem unserer Tiere, und über allem vergingen zehn Minuten oder mehr. Wir waren aber ganz allein und keiner von uns beiden lachte, denn eine Begrüßung ist eine ernste Sache. Zugleich ist sie auch ein Vergnügen, weil es immer schön ist, wenn sich zwei Männer von guter Lebensart begegnen und in ausgesuchten Redewendungen dartun, daß ihnen nichts angelegener ist, als des anderen Lob bis in den Himmel zu heben. Warum sollten wir uns dieses Vergnügen nicht gönnen? In der Mongolei ist die Zeit ein Geschenk der Götter und nur dazu da, um nach Herzenslust verschwendet zu werden."

    Als Mühlenweg 1932 von Assisi nach Wien kam, wurde er angesichts seines Talents als Maler an der dortigen Kunstakademie aufgenommen. Dort lernte er die zehn Jahre jüngere Malerin Elisabeth Kopriwa kennen. In der Zeit, als er sein Studium, kaum begonnen, schon wieder unterbrochen hatte, um in Südfrankreich zu malen, bat er sie nach Beaucaire, wo sie heirateten. Für Mühlenweg war eine solche Ortswahl bezeichnend. Hatte er sich im Ersten Weltkrieg aus französicher Gefangenschaft selbst befreit, kehrte er ohne Feindbild in dieses Land zurück, ja er hegte sogar zeitweise Auswanderungspläne nach Frankreich. 1933 beendete er sein Studium an der Kunstakademie in Wien. Von 1935 an lebte er gemeinsam mit seiner Frau und den schließlich sieben Kindern in Allensbach am Bodensee.

    Während des Zweiten Weltkriegs wurde Mühlenweg als Dolmetscher zum Zoll nach Bordeaux eingezogen. Sein Verhältnis zum Dritten Reich blieb allerdings immer distanziert. Befreundet mit Otto Dix, zog er die innere Emigration vor. Wie einfühlsam sein Werben um Toleranz und Respekt dem Fremden gegenüber war, davon zeugen seine Bücher. In seinen Erzählungen "Kleine mongolische Heimlichkeiten" wie in den Romanen "Fremde auf dem Pfad der Nachdenklichkeit" und "In geheimer Mission durch die Wüste Gobi" verbinden sich wundervolle Abenteuergeschichten mit leisen Weisheiten auf dem Hintergrund seiner eigenen Erlebnisse in der Mongolei. Wie es ihm gelingt, ohne missionarischen Eifer, mit einer ihm ganz eigenen humorvollen Sensibilität, seine Dialoge unaufdringlich mit 'Aphorismen zur Lebensweisheit' anzureichern, ist nur ein besonderes Merkmal dieses großartigen Fabulierkünstlers.

    "Du und ich, wir beide waren verschiedenen Sinnes, und was wir voneinander wußten, war von weit her. Jetzt siehst du mich an, und mein Denken ist dir offenbar; und ich weiß, was du sagen willst, ohne daß davon gesprochen werden muß."