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Ein Reporter will nicht mehr in den Krieg

Vor einem Londoner Arbeitsgericht wird in diesen Tagen ein Fall verhandelt, den professionelle Kriegsberichterstatter aufmerksam verfolgen. Zugespitzt geht es dabei um die Frage, ob Reporter entlassen werden dürfen, wenn sie sich weigern aus Kriegsgebieten zu berichten. Für Rundfunk-Sender könnte es um Schadenersatzklagen in Millionen-Höhe gehen.

Von Tobias Armbrüster |
    Richard Gizbert hat elf Jahre lang für den amerikanischen Fernsehsender ABC aus London berichtet. Als Korrespondent musste er dabei immer wieder in Krisengebiete reisen. So hat er zum Beispiel die Kriege in Ruanda und Jugoslawien verfolgt. Mit Beginn des Irak-Kriegs und als inzwischen zweifacher Vater hat er seinen Vorgesetzten aber schließlich gesagt, dass er diese Einsätze nicht länger übernehmen will. Dagegen war nichts einzuwenden, denn bei ABC wie bei den meisten großen Fernsehsendern gilt die Regel: In Krisengebiete reisen Reporter nur freiwillig, es darf keinen Druck geben. Trotzdem wurde Gizbert im Juni 2004 entlassen.

    " Meine Vorgesetzten haben mir ganz offen gesagt, dass sie mich durch einen Reporter ersetzen wollen, der auch in den Irak fliegt und von dort berichtet. Es gibt aber bei ABC eine ganz klare, schriftliche Abmachung: Wer diese Jobs nicht übernehmen will, der darf daraus keine Konsequenzen fürchten. Ich war einfach nicht mehr bereit, diese Gefahren auf mich zu nehmen. ABC hat mich deshalb entlassen und damit gegen die eigenen Richtlinien verstoßen. "

    Gizbert hat deshalb vor einem Londoner Arbeitsgericht prozessiert, mit einem ersten Erfolg. Die Richter haben in erster Instanz entschieden, dass seine Entlassung tatsächlich nicht gerechtfertigt war. Der Anwalt von ABC hat argumentiert, der Sender habe einfach das Londoner Büro verkleinern wollen, Gizbert wurde deshalb nicht mehr gebraucht. Nach der Durchsicht von zahlreichen e-mails und mehreren Zeugenaussagen sind die sechs Richter aber zu dem einstimmigen Ergebnis gekommen, dass Gizberts Variante die wahrscheinlichere ist. Die Redaktion "Markt und Medien" hat auch bei ABC mehrfach um ein Interview gebeten, aber keine Stellungnahme erhalten. - Gizberts einziger Zeuge war der ehemalige BBC-Reporter Martin Bell, einer der angesehensten Kriegsberichterstatter Großbritanniens.

    " Dieser Job ist in den vergangenen Jahren sehr viel gefährlicher geworden. Als ich in den 60er Jahren angefangen habe, da bestand die größte Gefahr darin, dass man als Reporter versehentlich in die Schusslinie gerät oder dass man auf eine Mine tritt. Heute werden Journalisten, die von einem Krieg berichten, bewusst angegriffen, sie sind zur Zielscheibe geworden, sie werden gekidnappt oder erschossen."

    Martin Bell sagt, das Risiko werde durch den wachsenden Druck im Mediengeschäft noch verschärft.

    " Gerade bei den amerikanischen Fernseh-Networks wird es brenzlig. Diese Sender verkleinern ihre Auslandsbüros immer weiter und plötzlich wird dann vom Londoner Korrespondenten erwartet, dass er auch die Berichterstattung aus dem Irak übernimmt. In diese Falle ist Richard Gizbert getappt und dass er dagegen prozessiert, sollte man ihm hoch anrechnen. Er hat hier ein Zeichen gesetzt für Journalisten überall auf der Welt."

    Neben der grundsätzlichen Klärung seiner unfairen Entlassung geht es Gizbert, 47, aber auch um die eigene Existenz. Er ist inzwischen britischer Staatsbürger, lebt mit Frau und zwei Kindern in London, und abgesehen von gelegentlichen Aufträgen, ist er arbeitslos.

    " Für Leute wie mich ist es sehr schwer in London Arbeit zu finden. Ich bin Fernsehjournalist – und da kommt es auf die richtige Sprache an. Kein britischer Sender will einen Reporter, der so wie ich mit amerikanischen Akzent spricht. Und die amerikanischen Büros in Großbritannien stellen zur Zeit nur solche Korrespondenten ein, die auch bereit sind, aus dem Irak zu berichten. Für Leute wie mich gibt es vielleicht 15 Jobs in diesem Land. Das macht die Lage für mich sehr kompliziert. "

    Gizbert klagt deshalb auf umgerechnet drei Millionen Euro Entschädigung. Die sollen den Verdienstausfall ausgleichen, den er in den kommenden Jahren hinnehmen muss. Über die Höhe der Kompensation entscheidet das Londoner Arbeitsgericht im Laufe der nächsten Wochen. Gizbert werden aber auch hier gute Chancen eingeräumt. Theoretisch könnte ABC das Verfahren danach mit einer Berufungsklage noch weiter in die Länge ziehen. Aber wahrscheinlicher ist, dass der Sender diesen Fall so schnell wie möglich beenden will – bevor die Geschichte vom Reporter, der nicht mehr in den Krieg will, noch größere Wellen schlägt.