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Ein richtiger Amerikaner

Der 1882 in Nyack bei New York geborene Edward Hopper inspirierte die US-amerikanische Kunst bis in unsere Tage. Seine Motive entnahm der Maler seiner nächsten Umgebung: Straßen, Eisenbahnabteile, Kinosäle, Drugstores oder Motels.

Von Jochen Stöckmann |
    New York bei Nacht, eine menschenleere Häuserschlucht: Nur hinter dem hell erleuchteten Panoramafenster verrichtet ein Barkeeper mit weißem Käppi still seine Arbeit. Neben chromblitzenden Kaffeemaschinen sitzt am Tresen ein schweigendes Paar, die Dame im roten Kleid starrt auf ihre Fingernägel, der tough guy zu ihrer Rechten schaut ins Leere, ein letzter Barbesucher kehrt uns den Rücken zu. Wie in einem Aquarium hat der Maler Edward Hopper 1942 seine wenig später so berühmten "Nighthawks" arrangiert, in all ihrer Einsamkeit auf die Großstadtbühne gebracht mit ihren Theaterfoyers, Kinosälen und eben den Nachtbars.

    Das zeigte in einer großen Hopper-Retrospektive Ende 2004 im Kölner Museum Ludwig Kurator Kasper König:

    "Hopper ist sehr amerikanisch, aber er schildert eben Phänomene einer Konsumgesellschaft, noch vor dem Fernsehen, wo Film eben noch wie Theater etwas Öffentliches ist, wo man hingeht. Das ging durch das Fernsehen total verloren."

    Bei Hopper ging es noch nicht um prominente Gesichter in Großaufnahme. Allein durch Gestik und Körperhaltung gewinnen seine anonymen Figuren inmitten einer versteinerten, vom Maler mit geometrischer Perfektion austarierten Szenerie magische Anziehungskraft. Das konnte die geistesabwesende Platzanweiserin im Kinosaal der 40er Jahre sein oder auch ein Tankwart neben drei knallroten Zapfsäulen an einer dämmrigen Landstraße.

    Der Filmregisseur Wim Wenders spricht von "Bildern in Wartestellung", er sieht in diesen Motiven des am 22. Juli 1882 in New York geborenen Malers Ausgangspunkte für Kinogeschichten des 21. Jahrhunderts. Und Alfred Hitchcock war so beeindruckt von der Atmosphäre latenter Angst und Aggression, dass er das Gemälde eines allein stehenden, neogotischen Hauses für den Film "Psycho" verwendete. Denn hinter Hoppers scheinbar so nüchternem Realismus verbergen sich zuweilen seelische Abgründe.

    Als Nährboden dieser melancholischen Fantasie diente schon dem Kunststudenten, der sich dann jahrelang als Illustrator durchschlagen musste, die ganz reale Welt. Etwa die Nyack-Schiffswerft, in deren Nachbarschaft Hopper aufgewachsen war, ein New Yorker Wohnblock oder die Küstenlandschaft von Cape Cod, wo der eingefleischte Großstädter alljährlich sein Feriendomizil bezog. Ein wortkarger Einsiedler, der mit Bildern geizte.

    Edward Hopper: "”Es liegt eine lange Zeit zwischen zwei Gemälden. Ich muß mich ins Motiv versenken, ein komplizierter Prozess, schwer zu erklären. Auf jeden Fall hat es mit meiner Persönlichkeit zu tun. Ich male zwei Bilder im Jahr, nicht genug – sei es drum: Ein gutes Bild wiegt tausend mittelmäßige auf.""

    Hopper-Bilder waren in den USA heiß begehrt, kaum ein Dutzend seiner Gemälde fand den Weg in europäische Museen oder Sammlungen. Dabei hatte dieser Maler vor dem Ersten Weltkrieg entscheidende Impulse in Frankreich empfangen, sich in langjährigen Studienaufenthalten an Impressionisten orientiert und den Pointillismus entdeckt, um dann in New York zu konstatieren:

    "Als ich zurückkehrte, kam mir hier alles entsetzlich primitiv und roh vor. Ich brauchte zehn Jahre, ehe ich über Europa hinwegkam."

    Dann aber entdeckte Edward Hopper sein Thema, die Großstadt als amerikanische Landschaft des 20. Jahrhunderts. Seine Bilder demonstrieren nicht nur die Einsamkeit inmitten von Millionen Menschen, sie zeigen auch die Architektur, und zwar, wie ein Kunstkritiker nach Edward Hoppers Tod 1967 schrieb:

    "In einer Klarheit und Präsenz, die man im Leben nur in ganz seltenen Augenblicken intensivster Wahrnehmung erlebt."

    Andere Kritiker nahmen Hopper für eine "American Scene" in Anspruch, wollten in dem hermetisch-lakonischen Werk einen Ausdruck typisch amerikanischen Wesens und ein Symbol westlicher Lebensweise sehen. Aber auch das hat sich 40 Jahre nach dem Tod dieses Ausnahmekünstlers geändert, bemerkte Museumsdirektor Kasper König:

    "Dass 'the american way of life' das verbindliche sei – darum geht es bei Hopper nicht. Hopper war sehr konservativ, möglicherweise sogar ein Republikaner, aber hier geht es um ein Innenleben und nicht um eine missionarische Projektion – es geht um Kunst, um Malerei!"