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Ein Riegel für Eiweiße

Biologie.- Seit langem basteln Forscher daran, künstliche Proteine herzustellen. Das größte Hindernis dabei ist die äußerst flexible Form von Proteinen. Marburger Chemikern ist nun ein wichtiger Schritt gelungen, um ihnen das gewünschte Aussehen aufzuzwingen.

Von Martin Hubert | 16.11.2010
    Das Alphabet der Proteine setzt sich aus nur 20 Buchstaben zusammen: aus 20 natürlichen Aminosäuren, die sich in bestimmter Reihenfolge in langen Ketten aneinanderlagern. Bisher jedenfalls. Denn in den Laboren der Welt basteln Wissenschaftler schon seit längerem an veränderten Proteinbuchstaben, um bessere Impfstoffe herzustellen oder Hormonkrankheiten zu behandeln. Manche Forscher planten sogar, ganze Aminosäuren völlig neu am Reißbrett zu konstruieren. Armin Geyer vom Fachbereich Chemie der Universität Marburg verfolgt jedoch eine andere Strategie:

    "Also der Ansatz, komplett neue Buchstaben zu nehmen, um dann neue Sprachen zu erfinden, das ist schon so weit weg von dem Bestehenden, dass es eigentlich immer zum Scheitern verurteilt war. Deswegen: der Ansatz, in kleinen Schritten von der natürlichen Struktur wegzugehen ist meines Erachtens sehr viel erfolgsversprechender, weil man immer noch sehr viel mehr Kontrolle hat und vor allem den Vergleich hat mit der natürlichen Struktur, in der man also Schritt für Schritt ein Aminosäuresegment nach dem anderen durch einen unnatürlichen neuen synthetischen Baustein ersetzt."

    Allerdings bereitet auch diese Schritt-für-Schritt-Strategie einige Probleme. Denn sie verlangt gezielte Eingriffe in die komplexe Form von Proteinen, die wesentlich für deren Wirkung ist. Eine entscheidende Rolle spielen dabei Peptide, also relativ kurze Ketten von Aminosäuren.

    Wie jede Kette eines Polymers oder eines Kunststoffs zu einer kugeligen Struktur zusammen schnurrt, so ähnlich rollt sich die Peptidkette zusammen. Dabei gibt es die unterschiedlichsten Formen von Kurven und die grundsätzlichste und häufigste Form einer solchen Kurve ist also die Haarnadelkurve, in der sich die Peptidkette um 180 Grad wendet, die wird auch als "Beta-Turn" bezeichnet.

    Armin Geyers Ziel war es, einen Baustein, der eine solche Haarnadelkurve trägt, in ein Modell-Protein einzubauen. Er sollte dem Modellprotein seine Haarnadelform aufzwingen und damit auch dessen Wirkung beeinflussen können. Tatsächlich gelang es den Marburger Forschern, den Baustein für die Haarnadelkurve aus einem Zuckermolekül zusammenzusetzen und ihn in das Modell-Protein einzuschleusen. Die entscheidende Frage war nun, ob der neue Baustein namens "Hot- Tap" als sogenannter " Peptidmimetiker" arbeitete: er musste zu diesem Zweck einerseits die ursprünglichen Bausteine des Modell-Proteins nachahmen, sodass es stabil blieb.

    Andererseits aber musste er als neues Kurvengelenk dessen Beweglichkeit wie ein starrer Riegel einschränken. Denn normalerweise sind Proteine in ihrer Wirkung deshalb schwer steuerbar, weil sie in ihrer Form relativ stark beweglich sind. Hot-Tap sollte daher die Wirkung des Modellproteins vorhersagbar machen, indem sie ihm die gewünschten Kurvenform einprägte. Der Marburger Biochemiker Lars-Oliver Essen analysierte, inwieweit das gelungen war.

    "Bei dieser Arbeit hat sich gezeigt, dass diese künstliche Haarnadelkurve dem Protein einen sehr hohen Ordnungsgrad verliehen hat, einen für uns überraschend hohen Ordnungsgrad, den wir in der Art nicht erwartet haben. Und wir haben auch erkennen können, warum das so ist. Wir haben nämlich gesehen, dass diese Haarnadelkurve nicht einfach nur den Hauptkettenfortsatz dieses Proteins sehr schön nachbildet, sondern dass es auch die Wechselwirkung mit der Umgebung sehr gut nachahmen tut. Und das ist auch das Besondere dieser Arbeit, denn solche künstlichen Peptidmimetiker sind schon in der Vergangenheit beschrieben worden aber noch keine, die in der Lage sind, mit ihrer Umgebung zu wechselwirken."

    Die Wechselwirkungen zwischen den Aminosäuren eines Proteins werden durch sogenannte Wasserstoffbrückenbindungen realisiert. Sie sitzen sozusagen an den Gelenken der Proteine und bestimmen damit die Beweglichkeit der Eiweißstruktur. Der künstlich in Marburg eingebaute starre Riegel greift genau dort passgerecht ein und erfüllt damit eine wesentliche Voraussetzung, um die Form und die Wirkung von Proteinen gezielt beeinflussen zu können. Die Marburger Forscher hoffen daher, einen Universalbaustein gefunden zu haben, der sich mit ähnlichem Effekt in viele Proteine einbauen lässt.

    Im nächsten Schritt möchte Armin Geyer das am Beispiel der Alzheimer-Krankheit erkunden. Bei Alzheimerpatienten findet man sogenannte Plaques im Gehirn, die sich aus fehlerhaft gefalteten Peptidketten zusammensetzen. Das menschliche Immunsystem besitzt zwar Antikörper, die einzelne Plaquesbestandteile bekämpfen, nicht aber die ganzen Plaques. Man wüsste daher gerne mehr darüber, wie sich die Immunabwehr gegenüber diesen Alzheimer-substanzen erweitern ließe. Allerdings konnte man die einzelnen Peptidketten der Plaques bisher kaum stabil halten und analysieren.

    "Was wir jetzt also als Ansatz haben, dass wir mit unserem starren Riegel in einer vorgegebenen Anordnung diese Alzheimerpeptide zu Zweiergruppen oder Dreiergruppen arrangieren, um dann zu sehen, welche wird von dem Antikörper am besten erkannt. Auf die Art lässt sich dann langfristig vielleicht ein neues Alzheimermedikament entwickeln, kurzfristig kann man auf jeden Fall schon ein Testsystem entwickeln, um zu sehen; ist bei den Leuten, die zu dieser Krankheit geneigt sind, mehr oder weniger von dem Antikörper vorhanden."