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Ein russischer Sommer der Repressionen

Heute wird das Urteil gegen die Frauen-Punkband Pussy Riot gesprochen. Dass Wladimir Putin gegen Andersdenkende und Oppositionelle in seiner dritten Amtszeit als Präsident hart vorgeht, zeigt sich auch in anderen Bereichen. Kaum vereidigt, unterzeichnete Putin ein Gesetz, das Mitarbeiter von NGOs wie Umweltschützer und Bürgerrechtler dem Status ausländischer Agenten gleichsetzt.

Von Gesine Dornblüth | 17.08.2012
    Eine Solidaritätsaktion für die Musikerinnen von Pussy Riot. "Mädels, wir lieben euch" und "Freiheit für Pussy Riot" rufen die Männer in Moskau. Kurz darauf sitzen sie selbst im Gefangenentransporter. Vor der Urteilsverkündung gegen die drei Frauen am heutigen Freitag nimmt der Protest gegen das Verfahren zu, und die Behörden reagieren darauf mit aller Härte. Es ist ein Sommer der Repressionen. Die Ermittlungsbehörden und die Justiz nehmen derzeit alle möglichen Regierungskritiker in die Mangel. Zum Beispiel den prominenten Putin-Kritiker Aleksej Nawalnyj. Er soll einen staatlichen Forstbetrieb im Gebiet Kirow falsch beraten und ihn damit um umgerechnet 400.000 Euro Gewinn gebracht haben. Die Sache liegt drei Jahre zurück, ein Gericht hat Nawalnyj in der Angelegenheit bereits für unschuldig erklärt. Ende Juli kramten Ermittler die Akte wieder hervor. Ein Sprecher der Ermittlungsbehörde:

    "Die Ermittler gehen davon aus, dass von Mai bis September 2009 mehr als 10.000 Kubikmeter Holz gestohlen wurde. Der Angeklagte, Alexej Nawalnyj, darf Moskau nicht verlassen."

    Pikant: Nawalnyj seinerseits hatte kurz zuvor herbe Vorwürfe gegen den Chef der Ermittlungsbehörde erhoben. Alexander Bastrykin besitze, so Nawalnyj, eine Firma in Tschechien und mache dort Geschäfte. Das russische Gesetz verbietet hochgestellten Beamten, sich unternehmerisch zu betätigen. Chefermittler Bastrykin hat die Anschuldigungen zurückgewiesen. Für den populären Nawalnyj ist klar: Er soll nun diskreditiert werden.

    "Offenbar hat der Staat, Bastrykin, Putin oder wer auch immer nötig, dass es im landesweiten Fernsehen heißt: Nawalnyj hat 16 Millionen Rubel gestohlen."

    Im Fall einer Verurteilung drohen Nawalnyj zehn Jahre Haft. Sergej Udalzow von der Linksfront, ein zweiter prominenter Anführer der Proteste, schlägt sich derzeit mit vergleichsweise harmlosen juristischen Verfahren herum. Ein Gericht in Uljanowsk an der Wolga verurteilte ihn im Juni zu 240 Stunden gemeinnütziger Arbeit. Er soll angeblich eine Aktivistin einer kremltreuen Jugendorganisation geschlagen haben. Beobachter halten es für möglich, dass die Ermittler eine weitere, weitaus härtere Anklage gegen Udalzow vorbereiten. Es geht um eine Protestkundgebung am 6. Mai, am Vorabend von Putins Amtseinführung. Sie schlug in Gewalt um, es gab zahlreiche Verletzte und viele Festnahmen. Udalzow war einer der Anführer der Kundgebung. Viel spricht dafür, dass die Sicherheitskräfte die Ausschreitungen bewusst provoziert haben. Die Sache "6. Mai" nimmt mittlerweile gigantische Ausmaße an. Ermittler haben mehr als 1300 Zeugen verhört. Etwa ein Dutzend Verdächtige sitzen in Untersuchungshaft. Es sind bis dahin weitgehend unbekannte junge Leute. Alexander Iwanow engagiert sich in einer Gruppe, die diese Häftlinge unterstützt.

    "Die Anklagen gegen sie sind völlig aus der Luft gegriffen. Sie beruhen lediglich auf Aussagen der Polizisten. Konkrete Beweise gibt es nicht."

    Iwanow glaubt, dass die Ermittler die Männer in der Untersuchungshaft dazu bringen wollen, gegen die Anführer der Protestbewegung auszusagen.

    Nicht mal Abgeordnete sind vor den Ermittlern sicher. Gennadij Gudkow von der oppositionellen Partei Gerechtes Russland hat die Proteste der vergangenen Monate mit organisiert. Kürzlich präsentierten die Ermittler auch gegen ihn eine Anklage: Er soll Geschäfte in Bulgarien gemacht haben, die nicht mit seiner Abgeordnetentätigkeit vereinbar seien. Nun muss Gudkow um sein Mandat in der Duma bangen.

    Trotz dieser Repressionen finden sich immer wieder Menschen, die zu Protesten aufrufen - so wie Zoja Svetowa, Journalistin der Wochenzeitschrift The New Times:

    "Wir haben keine Alternative. Sonst holen sie als nächstes uns. Und dann wird unser Land zu einem Gulag. Das dürfen wir nicht zulassen."

    Die Repressionen werden allerdings längst nicht von allen Russen als solche wahrgenommen. In der neuesten Umfrage des unabhängigen Levada-Instituts sagten 59 Prozent der Befragten, in Russland gäbe es ausreichend Freiheiten.