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Ein Schalter für die Tobsucht

Neurowissenschaft.- Im Normalfall greift eine männliche Maus niemals ein Weibchen an. Außer, wenn jene Zellgruppen im Hirn, die für aggressives Verhalten zuständig sind, gezielt stimuliert werden. Genau das taten nun Forscher des Langone Medical Center der Universität New York in einem Versuch.

Von Katrin Zöfel | 17.07.2012
    Es ist ein ehernes Gesetz in der Mäusewelt: Ein normaler Mäuserich wird niemals eine weibliche Maus angreifen. Die bloße Anwesenheit eines Weibchens unterdrückt bei ihm jede aggressive Regung. Dieser Regel entspricht, sagt die amerikanische Neurowissenschaftlerin Dayu Lin, die Morphologie des Gehirns.

    "Die Nervenzellen im Gehirn, die das Paarungsverhalten steuern und jene, die aggressives Verhalten steuern, liegen sehr dicht beieinander. Und sie sind offensichtlich nie gleichzeitig aktiv: Zwischen ihnen gibt es diese feine Balance. Ist ein Weibchen in der Nähe, wird beim Männchen nicht nur das Paarungsverhalten angeregt, gleichzeitig werden die für Aggression zuständigen Nervenzellen blockiert."

    Beide Nervenzellgruppen, von denen Dayu Lin hier spricht, liegen im sogenannten Hypothalamus. Es ist eine – evolutionär gesehen – alte, also sehr ursprüngliche Hirnregion. Dass von hier aus angeborene Verhaltensmuster wie Sexualität und Aggression gesteuert werden, ist schon seit Jahrzehnten bekannt: Die Forscherin Lin in ihrem Labor am Langone Medical Center der Universität New York ist nun dabei genauer zu klären, welche Nervenzellgruppen im Hypothalamus für aggressives Verhalten wichtig sind. Dass Paarung und Aggression nahe beieinander liegen, war für die Forscherin zunächst nur hinderlich.

    "Als ich anfing, die Grundlagen für Aggression zu erforschen, merkte ich bald, dass das eine wirklich schwierige Aufgabe sein würde. Immer lagen die Zellen, die bei Aggression angeregt wurden, ganz nah bei Zellen, die während und nach der Paarung aktiviert sind."

    Doch inzwischen kann die Forscherin die einzelnen Nervenzelltypen sauber auseinander halten und sogar gezielt von außen anregen.

    "Wir haben dann genau diese Zellgruppen angeregt, die im Hypothalamus für Aggression wichtig sind, und uns angeschaut, wie die Männchen dann auf ein Weibchen reagieren, das sie ja normalerweise nie attackieren würden. Das Ergebnis: sie greifen selbst die Weibchen heftig an, genauso scharf wie sie einen männlichen Konkurrenten angehen würden."

    Als Lin im nächsten Experiment die entsprechenden Nervenzellen mit einem Nervengift zeitweise außer Gefecht setzte, wurden die aggressiven Mäuseriche zu ausgesprochen friedlichen Tieren.

    "Man sieht dann kein bisschen Erregung oder so etwas. Selbst wenn man dem Tier einen männlichen Rivalen in den Käfig setzt, reagiert es ganz ruhig. Die Tiere beschnuppern sich gegenseitig, aber Kampf gibt es keinen."

    Im nächsten Schritt testete Dayu Lin, welche Rolle Hirnregionen spielen, mit denen das Aggressionszentrum im Hypothalamus über Synapsen verbunden ist.

    "Wenn wir bestimmte Nervenzellen im Mittelhirn blockierten, sieht das ganz anders aus. Da können wir sehen, dass das Mausmännchen versucht, den Eindringling zu bedrängen. Es stößt ihn mit der Nase oder schubst ihn mit den Pfoten, aber er kann nicht richtig angreifen."

    Nur wenn beide Hirnregionen, die für Aggressionsverhalten wichtig sind- im Mittelhirn und im Hypothalamus – ungestört aktiv werden können, kommt es also zum Angriff. Dayu Lin ist sich sicher, dass ihre Ergebnisse nur erste Hinweise liefern, wie verschiedene Hirnregionen und Nervenzellgruppen gemeinsam aggressive Reaktionen kontrollieren. Eines ihrer nächsten Forschungsziele ist: sie will herausfinden, was im Mäusehirn geschieht, wenn Mäuseweibchen, die zunächst fast aggressionsfrei leben, ab dem Zeitpunkt, wo sie Nachwuchs zu verteidigen haben, plötzlich auf Angriff umschalten können.