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Ein schlechter Scherz

In Tschechien steht derzeit einer der prominentesten Autoren des Landes unter dem Verdacht, Anfang der 50er Jahre mit dem Geheimdienst der stalinistischen CSSR kollaboriert zu haben: Milan Kundera. Sein erster Roman von 1967, Der Scherz, ist die Geschichte des Studenten Ludvik, der - durch einen unbedachten politischen Scherz gegenüber einer Kommilitonin aus Universität und Partei fliegt und sich bei einem Strafbataillon in der Kohlengrube bei Ostrava wiederfindet. Wer den fulminanten Romanerstling Kunderas kennt, wird ihn seit den jüngsten Ereignissen mit anderen Augen lesen. Aus Prag unser Korrespondent Peter Hornung:

    Der Autor äußert sich nur noch schriftlich - oder er lässt jemand anderen sprechen. Milan Kundera wehrt sich zwar weiterhin gegen die Vorwürfe, die gegen ihn erhoben wurden. Doch seine Stimme ist nirgends mehr zu hören- und das sei sein gutes Recht, sagt Kunderas Agent Jiři Srstka.

    "Er will darüber nicht mehr öffentlich reden. Es gibt Schriftsteller, die sich hinter ihrem Werk verstecken, und er ist eben so. Und dazu hat er jedes Recht. Um Gotteswillen, er ist doch ein freier Mensch. Ich denke, die Situation wäre ganz anders, wenn er nur Belletristik schreiben würde. Er aber hat sich oft in seinen Essays geäußert und er sieht das als absolut präzise Darstellungsform. Er glaubt an das Schriftliche mehr als an das Mündliche. Dort findet sich alles, seine ganzen Reflexionen, jeder kann sie nachlesen."

    Dennoch: Milan Kundera lässt auch in den vergangenen Tagen nicht unkommentiert, was über ihn gesagt wurde. "Eine Lüge" hat er es von Anfang an genannt, was das Prager Institut für das Studium der totalitären Regime über ihn verbreitet - und was vor zwei Wochen die spektakuläre Titelgeschichte des tschechischen Magazins Respekt war. Er habe im Jahr 1950 einen Regimegegner an die Volkspolizei verraten- mit schlimmen Folgen für das Opfer, das für 14 Jahre ins Gefängnis musste. Das vom Institut, das tschechische Pendant der deutschen Birthler- Behörde, vorgelegte Dokument sei falsch, so Milan Kundera. Er wolle nun eine förmliche Entschuldigung vom Magazin "Respekt", sagt Kunderas Agent. Bemerkenswert: Adressat seiner Forderung ist nicht der Chefredakteur, sondern der Milliardär Zdeněk Bakalá, der das Magazin jüngst gekauft hatte.

    "Milan Kundera hat vom Besitzer von Respekt eine Entschuldigung gefordert, ganz konkret, wie man es in solchen Fällen macht, also genau vorgeschrieben, wo sich Respekt entschuldigen soll und mit welcher Formulierung. Falls sie es nicht tun, wird er natürlich vor Gericht gehen."

    Die Debatte um Kundera geht derweil weiter. Im Zentrum steht die Frage: Ist das Dokument, das von den Historikern vorgelegt wurde, tatsächlich aussagekräftig und ist es echt? Kann man einem Protokoll der kommunistischen Volkspolizei aus dem Jahr 1950 glauben? Größte Skepsis sei angebracht, so die Meinung der tschechischen Akademie der Wissenschaften. Eine so schwerwiegende Beschuldigung könne man nicht nur auf ein einziges Dokument stützen, aus Sicht des Historikers habe eine solche Veröffentlichung keinen Wert, heißt es in einer Erklärung. Eine Meinung, die auch Ex-Präsident Václav Havel teilt. Wenn man mit solchen Papieren nicht vorsichtig umgehe, dann richte man mehr Schaden an, als dass man Nutzen bringe. Doch es gibt auch andere Stimmen. Die von Jiři Gruša zum Beispiel. Den Wahrheitsgehalt des Dokumentes könne auch er nicht bestimmen, sagt der Schriftsteller und Diplomat, doch im Zusammenhang mit Kundera überrasche ihn das Thema Verrat keineswegs.

    "Das Thema Denunzierung, der Verrat, ist einfach ein ganz übliches Thema für ihn, das sich immer wiederholt, das bedeutet, da steckt auch eine Erfahrung darin. Kundera hat daraus große Literatur gemacht. Ein Literat versöhnt sich so mit der Vergangenheit, und kein großes literarisches Werk ist ohne einen persönlichen Schock entstanden."

    Kundera habe zu einer Generation kommunistischer Enthusiasten gehört, so Gruša. Es sei notwendig, auch über diese Aspekte des Autors eine Debatte zu führen. Schließlich habe Kundera in frühen Texten den Stalinismus verherrlicht.

    "Ich erinnere mich noch, dass ich in der Schule ein Lied von Milan Kundera über die Freundschaft mit der Sowjetunion gelernt habe: "Auf, auf, folgt Stalin nach" - das hat Kundera als junger Mann geschrieben. Vorsicht, ich werfe ihm nichts vor, und ich möchte auch nicht, dass diese Debatte zu einer Neubewertung seines späteren Werkes führt, weil es eben nur die erste Etappe war, und danach eine zweite kam und eine dritte."

    Ob Milan Kundera tatsächlich seine Entschuldigung bekommen wird, ist mehr als fraglich. Vom Besitzer des Magazins Respekt, Zdeněk Bakalá, nimmt man an, dass er sich nicht in Redaktionelles einmischen wird - und die Redaktion selbst ist weiterhin von ihrer Geschichte überzeugt. Aber ob Kundera dann wirklich vor Gericht geht? Selbst wenn, würde der 79-Jährige dort wohl kaum mehr sagen, als er das vor zwei Wochen tat - im ersten und einzigen Telefoninterview, das er jemals tschechischen Journalisten gab.

    "Es ist nicht wahr. Wie mein Name dorthin gelangt ist, ist ein einziges Rätsel, das ich nicht erklären kann."

    Unser Prager Korrespondent Peter Hornung zum neuesten Stand der Dinge im Fall Milan Kundera. Sein eingangs erwähnter erster Roman, "Der Scherz" ist in der SPIEGEL-Edition zum Preis von 4 Euro und 95 Cent lieferbar.