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Ein seltener Shakespeare

Shakespeares Königsdrama "Richard II" wird selten gespielt, und das hat seinen Grund: Das Personengeflecht ist kompliziert, und bei allen Wirrungen der Handlung bleibt nur die Hauptfigur als ein Charakter mit Anflügen von Modernität. Am Schauspielhaus Zürich hat nun Elias Perrig das Stück auf die Bühne gebracht. Ihm gelang eine scharfe psychologische Charakterisierung des von Selbstzweifeln heimgesuchten Königs.

Von Christian Gampert |
    Das Stück wird selten gespielt, und das hat seinen Grund: das Personengeflecht ist kompliziert, und bei allen Wirrungen der Handlung bleibt nur die Hauptfigur als ein Charakter mit Anflügen von Modernität. Richard II ist der schwache, von Selbstzweifeln heimgesuchte König, einer, der nicht kämpfen und eigentlich auch nicht regieren will. "Mein Reich ist dahin? Es hat mich nur belastet", sagt der Mann, als er endlich gestürzt ist - oder vielmehr sich selbst gestürzt hat. Er sucht Freundschaft und Liebe, und die bittere Wahrheit ist, dass man die als Machthaber, als politischer Taktierer nicht finden kann. "Die zwei Körper des Königs" heißt ein Aufsatz von Ernst Kantorowicz, und gemeint sind der natürliche Körper, ein Leib aus Fleisch und Blut, der sich nach Zuneigung sehnt, und der "politische Körper", die Inkarnation der Macht oder, um es in den Begriffen der Shakespeare-Zeit zu sagen, des Gottesgnadentums.

    In Zürich hat man wirklich Hand an das Stück gelegt. Ein Posaunenchor vermummter, lächerlicher Gestalten, heruntergekommener Parka-Träger behauptet anfangs noch musikalisch die Strahlkraft von Richards Entscheidungen, doch in der Komposition von Biber Gullatz schwingt immer schon mit, dass wir hier einer Beerdigungsmusik lauschen. Und der vorzügliche Dramaturg Stephan Wetzel, der das Stück durch kulturhistorische Analyse aufreißt, hat - zusammen mit dem handwerklich sehr genauen Regisseur Elias Perrig - das Personal reduziert und auch den Text so gekürzt und umverteilt, dass er psychologisch schärfer wird.

    Am Anfang treten nicht die beiden Ehrgeizlinge Bolingbroke und Norfolk auf, die von Richard bestraft werden müssen, sondern Bolingbroke allein. Und Richard verbannt nicht den einen für zehn, den anderen aber nur für sechs Jahre, sondern brummt dem Aufrührer Bolingbroke nach langer Beratung zunächst 10 Jahren Exil auf, um die Strafe dann auf 6 Jahre zu reduzieren. Der ganz in sich gekehrt agierende Sylvester Groth kleidet solch tödlichen Wankelmut, das Bedürfnis, mit allen gut Freund zu sein, in bleiche Denkergesten und Haltungen des Zweifels. Aber auch die heroische Entscheidung, nun gegen Irland in den Krieg zu ziehen und wegen der Kosten Land zu verpfänden, ist bei diesem Richard ein Fake, eine mühsam sich abgerungene wüste, aber künstliche Heldenpose, die er sich selbst nicht glaubt. Als er vom Kriegszug heimkehrt, schon verraten ist und die Erde des Vaterlands berühren will, streckt er die Hand von sich wie ein Pantomime.

    "Wie die Flut bricht all das Unglück über dieses Land herein" heißt es in der schönen Übersetzung von Thomas Brasch, und die Bühne von Beate Fassnacht nimmt das auf: seidiger Regen fällt zwei Stunden lang in die Szene. Richard lebt in einer schwarzen Höhle, einem Bunker mit rußigen Wänden, und das heißt: in der inneren Emigration. Er ist umgeben von dubiosen Gestalten: der marottenhafte Siggi Schwientek fistelt den Gaunt, eigentlich der Edelmann als Elder Statesman, als skurrilen Opa hin, und Ludwig Boettger macht aus dem eigentlich loyalen York eine wächserne Figur.

    And now for something different! Bolingbroke, bei Sebastian Blomberg ein Kraftmensch mit Drang zu Höherem und guter Laune, kehrt aus dem Exil heim, von sich selbst besoffen, fordert sein verpfändetes Herzogtum zurück und bekommt von Richard gleich die ganze Krone überreicht. Es ist nicht nur die mangelnde Lust am Regieren, die den intellektuellen Richard des Sylvester Groth in die Resignation treibt, sondern auch die Einsicht, dass er das Eigene, sein persönliches Leben, Glück und Freunde nicht mehr finden wird: die Politik hat ihn zerstört. Groth spielt das schon sehr Hamlet-artig, aber oft sieht man bei ihm auch eine frühe Vorwegnahme des Hanno Buddenbrook in Renaissance-Gestalt.

    Allerdings: sobald sein Gegner Bolingbroke auf dem Thron sitzt, auf einem niedrigeren Thron übrigens, versinkt der in Beschämung und Apathie. Das ist noch einmal ein kluger Schachzug des Regisseurs Elias Perrig: die Macht auch im Nachfolger zu desavouieren. Die nachgereichten Familienzwists im Hause York sind dann allerdings nur krude dramatische Slapsticks, die niemanden interessieren.

    Ganz traditionelles Theater auf sehr hohem intellektuellen Niveau also in Zürich - das ist es ja, was die Züricher - nach der Ära Marthaler - wieder haben wollten.