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Ein Sieb namens "Fördern und Fordern"

Mit der Novellierung des Zuwanderungsgesetzes wollte die Bundesregierung nicht nur europäische Richtlinien umsetzen, sondern auch das Prinzip des Förderns und Forderns zum Bestandteil der Integrationspolitik machen.

Von Dorothea Jung | 27.08.2008
    Für Wolfgang Bosbach, den stellvertretenden Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, hat sich dieses Prinzip bereits bewährt - auch wenn es nach einem Jahr für eine Gesamt-Bilanz des Zuwanderungsgesetzes noch zu früh sei.

    "Keine Bundesregierung hat in der Nachkriegszeit jemals mehr für Integration getan als jetzt die große Koalition; aber auf der anderen Seite müssen wir auch das Signal aussenden: Wer sich in Deutschland dauerhaft und rechtmäßig aufhält, ist uns hier herzlich willkommen, aber er möge sich bitte um Integration bemühen."

    Schwieriger ist die Zustimmung zum Gesetz für Menschen wie Jennifer G. Die 53-jährige Berlinerin aus Malaysia sitzt an ihrem Neuköllner Wohnzimmertisch und kämpft mit dem Prinzip des Forderns - genauer gesagt: mit den Fragen des neuen Einbürgerungstestes.

    "Welches Organ gehört nicht zu den Verfassungsorganen Deutschlands? Der Bundesrat, der Bundespräsident, die Bundespräsidentin, die Bürgerversammlung, die Regierung. Verfassungsorgane Deutschlands. Was heißt das: Organe. Das ist innerlich, die Organe in meinem Körper. Mein Herz und Denken, mein Gehirn, das ist auch ein Organ; aber hier - was heißt das "Organ"? Das will ich wissen!"

    Jennifer G. lebt seit 27 Jahren in Berlin, ist verheiratet, hat drei Kinder, arbeitet als Reinigungskraft, engagiert sich in ihrer Kirchengemeinde und organisiert Nachbarschaftsfeste in ihrem Häuserblock. Jennifer G. ist integriert. Doch wenn sie einen deutschen Pass haben möchte, muss sie ab dem ersten September 2008 einen Einbürgerungstest bestehen. So will es das Zuwanderungsgesetz. Es verlangt vom einbürgerungswilligen Ausländer nicht nur, dass er seit mindestens acht Jahren in der Bundesrepublik lebt und keine Straftaten begangen hat. Ihm werden außerdem 33 Fragen vorgelegt, von denen er 17 richtig beantworten muss. Zum Beispiel die Frage nach der Bedeutung der Volkssouveränität.

    "Das versteh ich auch nicht: Volkssouveränität. Was heißt das wieder. Das Wort ist mir auch zu schwer zu kapieren. Was mach ich jetzt? Dieser Test, ich schaffe es nicht, und ich denke, ich werde mich nicht, ich werde überlegen, ob ich mich einbürgern lasse."

    Die Fragen stammen aus einem Konvolut von 330 Multiple-Choice-Aufgaben, die jeder im Internet nachlesen kann. Der Einbürgerungstest sei leichter als eine Führerscheinprüfung, urteilt Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble. Doch Jennifer G. fühlt sich von den Fragen überfordert. Noch mehr aber stört sie der Test an sich.

    "Wenn ich an diesen Test denke, dann habe ich Angst, diese Einbürgerung zu machen. Was ich brauche, ist so dieses Gefühl: "Ach, toll, Sie sprechen gut deutsch! Ich versteh Sie ganz gut! Und Sie verstehen mich auch!" Und dass ich willkommen in diesem Land bin; und dass ich auch selber sage: "Hier fühl ich mich wohl", um diese Staatsbürgerschaft zu beantragen. Aber nicht dieser ganze Test. Weil dieser Test verschreckt die Ausländer, die hier leben, diese Einbürgerung zu beantragen."

    Kenan Kolat, dem Vorsitzenden der Türkischen Gemeinde in Deutschland, kommen ähnliche Klagen häufig zu Ohren: Seitdem bekannt ist, dass ein Einbürgerungstest verlangt wird, geben viele Türken in Deutschland ihren Wunsch nach einem deutschen Pass auf - so der Verbands-Funktionär.

    "Die Menschen sagen mir: "Herr Kolat, wir wollen uns nicht mehr einbürgern." Das sagen die Leute, die diesen Test auch bestehen würden! Es geht nicht um "die Fragen sind blöd oder nicht blöd". Sondern die Leute sagen mir: "Es werden neue Hürden aufgebaut." Und das ist, denke ich mal, die Botschaft dieser Tests ist das Problem und nicht der Inhalt! Und das führt dazu, dass die Menschen sich nicht unbedingt näher zu diesem Land fühlen, sondern umgekehrt ist das der Fall."

    Kenan Kolats Kritik zielt nicht aber nur auf den Einbürgerungstest. Auch die im Zuwanderungsgesetz festgelegten Einschränkungen beim so genannten Ehegatten-Nachzug stoßen seiner Meinung nach bei den türkischen Einwanderern überall auf Unverständnis.

    Im türkischen Teelokal in Berlin Kreuzberg setzt Osman K. sein Teegläschen energisch auf dem Cafétisch ab, sobald er auf das Thema angesprochen wird. Der Sportlehrer ist verärgert.

    "Kein Türke kann Familie gründen und die Frau hierher holen, wenn sie nicht Deutsch kann. Zum Beispiel, wenn ich jetzt meinen Bruder heiraten lasse in der Türkei, wenn wir ein Visum beantragen, deutsche Regierung verlangt von meinem Bruder, dass seine Frau, wenn sie hier her kommen will, sie muss deutsch sprechen können. Also, ich weiß nicht, wie sie überhaupt drauf kommen - bevor sie überhaupt hierher kommt!"

    Als Vorsitzender der türkischen Gemeinde in Deutschland hat Kenan Kolat den Eindruck gewonnen, dass diese Regelung nicht alltagstauglich ist. So müssten in der Türkei zum Beispiel Bewohner ländlicher Gebiete, in denen keine Lehrgänge in deutscher Sprache angeboten werden, nach Ankara, Izmir oder Istanbul fahren, wo die Goethe-Institute Kurse offerieren. Wer sich diese Fahrt- und Hotelkosten nicht leisten könne, habe sich auf dem privaten türkischen Bildungsmarkt nach Sprachlehrern umzuschauen und laufe Gefahr, durchzufallen. Denn allein die Goethe-Institute seien berechtigt, den Abschlusstest vorzunehmen.

    "Diejenigen, die einen Deutschkurs beim Goethe-Institut abgelegt haben, haben bis zu 90, 95 Prozent bestanden, die anderen haben bis zu 80 Prozent nicht bestanden. Damit haben wir eine Situation: Diejenigen, die es sich leisten können, finanziell, können an diesem Kurs teilnehmen und auch bestehen, und diejenigen, die sich das nicht leisten können und in anderen Städten, außerhalb Ankara, Izmir und Istanbul wohnen, die Nicht-Reichen haben nicht bestanden."

    Die Anzahl der Ehegatten-Nachzüge aus der Türkei in die Bundesrepublik hat sich laut Kolat in den vergangenen zwölf Monaten im Vergleich zum Vorjahr halbiert. Seiner Meinung nach liegt das nur zu einem sehr geringen Teil daran, dass seit Inkrafttreten des neuen Zuwanderungsgesetzes das Nachzugsalter für Ehegatten auf mindestens 18 Jahre festgelegt wurde.

    Eine Maßnahme, mit der die Bundesregierung Minderjährige vor einer Zwangsheirat bewahren möchte. Kolat führt den Rückgang zum überwiegenden Teil auf den geforderten Sprachtest im Heimatland zurück. Diese Vorschrift sei sozial ungerecht und wirklichkeitsfremd. Christdemokrat Wolfgang Bosbach kann diese Kritik nicht nachvollziehen.

    "Wir sprechen hier nicht von Touristen, sondern wir sprechen hier von Personen, die ihren Lebensmittelpunkt auf Dauer im Wege des Ehegatten-Nachzuges in die Bundesrepublik Deutschland verlegen möchten. Und da liegt es eigentlich im Interesses des Betroffenen, dass er sich zumindest rudimentäre deutsche Sprachkenntnisse aneignet; die Kosten sind doch nicht so hoch, dass jemand wegen der Kosten daran gehindert wird, in die Bundesrepublik Deutschland einzureisen. Hier geht es offensichtlich um die Mühe. Mit dem Sprachtest im Heimatland testen wir auch ein bisschen, ob die Betroffenen sich überhaupt in der Bundesrepublik Deutschland integrieren wollen."

    Die grüne Opposition spricht beim Thema "Ehegatten-Nachzug" von einer "Verletzung des Rechts auf eheliches Zusammenleben". Josef Winkler, der migrationspolitische Sprecher der bündnisgrünen Fraktion im Deutschen Bundestag, hofft auf ein Eingreifen des Bundesverfassungsgerichtes. Es gebe bereits eine ganze Reihe von Klagen.

    "Was wir wissen, dass eine Vielzahl von Ehe-Absichten nicht zustande kommt, weil es eben in vielen Ländern der Erde überhaupt keine Möglichkeit gibt, diese Kurse abzulegen beim Goethe-Institut. Zum Teil wäre man darauf angewiesen, das Land zu verlassen, in ein Nachbarland zu gehen. Und es steht im Grundgesetz nicht, dass nur Menschen, die das Alphabet, das Deutsche beherrschen, ein Recht auf eheliches Zusammenleben haben. Haben wir Fälle gehabt, wo gesagt wurde, du musst dich erst in Deiner Muttersprache alphabetisieren und dann den deutschen Kurs ablegen. Es sind inzwischen Hunderte von Menschen, die wollen nichts anderes als friedlich zusammenleben mit ihrem Ehepartner, und es wird ihnen verwehrt."

    Unterrichtspassage:

    "Guten Morgen, meine Damen und Herren.

    Guten Morgen!

    Wie geht's Ihnen?

    Danke, gut."

    Als weiteren Punkt sieht das Zuwanderungsgesetz vor, die bereits im Jahr 2005 eingeführten Integrationskurse für arbeitslose Ausländer mit Deutschproblemen zur Pflicht zu machen. Falls ein Teilnehmer nicht zum Kurs erscheint, kann das ernste Folgen haben: Der Aufenthaltsstatus ist gefährdet, Sozialleistungen können gekürzt werden. Dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, dem die Organisation der Integrationskurse obliegt, ist bislang aber kein Fall bekannt geworden, bei dem ein Ausländer wegen einer Verweigerung des Kurses abgeschoben worden wäre.

    "So, jetzt setzen Sie sich bitte in Dreiergruppen zusammen, wie viel sind wir heute?"
    Berlin Schöneberg, Hartnack-Sprachenschule. Integrationskurs bei Monika Wünsche.

    Hier sitzt eine schüchterne Türkin mit Kopftuch neben einer mondänen Dame aus Moskau. Japan trifft auf Afrika und Argentinien auf die USA.

    "Ich brauche Deutsch, ich kann viel verstehen, aber ich kann nicht grammatisch sprechen, das ist das Problem.

    Ich kann Deutsch verstehen, aber ich kann nicht schreiben; ich möchte richtig und perfekt deutsch sprechen und schreiben."

    Fast alle hat das Jobcenter geschickt. Dozentin Monika Wünsche hat aber die Erfahrung gemacht, dass nicht das Herkunftsland über den Erfolg des Teilnehmers entscheidet, sondern seine Vorkenntnisse.

    "Gerade Teilnehmer, die keine guten Bildungsvoraussetzungen mit bringen haben es schwer, das Ziel in den 630 Stunden zu erreichen, viele versuchen dann noch, auf eigene Kosten ein Modul zu wiederholen, wenn sie sich das leisten können; dann der Orientierungskurs namens "In acht Tagen Deutschland", wo dann auch noch der letzte Tag dem Test vorbehalten ist, das ist einfach unmöglich."

    Für eine Integration in die Arbeitswelt reicht das vorgesehene Stundenkontingent der Integrationskurse schon gar nicht aus. Dieser Meinung ist der Gewerkschafter Volker Roßocha.

    "Es ist eigentlich erforderlich, einen weiteren berufsbezogenen Kurs zu machen. Und wir haben ein paar Untersuchungen unter anderem auch von der, vom IAB, die, Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung, die sehr genau belegen, dass eigentlich nicht die berufsbezogene Sprachförderung mit der allgemeinen Sprachförderung verzahnt werden müsste, sondern die berufsbezogene Sprachförderung mit der beruflichen Qualifizierung verbunden werden muss."

    Je mehr die Kurse auf die Bedürfnisse der Teilnehmer zugeschnitten waren, desto bessere Ergebnisse seien erzielt worden, berichtet Berlins Integrationsbeauftragter Günter Piening.

    "Vergleichsweise gut gelaufen sind Kurse, die für spezifische Zielgruppen entwickelt worden sind, zum Beispiel für Nichtalphabetisierte, für Frauen, für Jugendliche, hier konnten einfach die Interessen dieser spezifischen Gruppen viel besser im Unterricht realisiert werden, deswegen glaube ich, dass diese Zielgruppenkurse ein richtiger Schritt ist."

    Nach Angaben des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge ist das Angebot an Integrationskursen für spezielle Zielgruppen im letzten Jahr gestiegen. Insgesamt haben laut Bundesamt im letzten Jahr rund 115.000 Menschen einen Integrationskurs besucht - nicht ganz die Hälfte von ihnen hat den Kurs bestanden. Aber ganz gleich, ob die bisherigen Kurse perfekt waren oder nicht, bilanziert Kursleiterin Monika Wünsche, wichtig sei, dass jetzt Menschen Deutsch lernen, die es früher nicht getan hätten.

    "Dadurch, dass es jetzt relativ flächendeckend angeboten wird, kommen sehr viele gerade auch Frauen in die Kurse, die vielleicht früher nicht hätten kommen können. Also: Integrationskurse, ich sehe die uneingeschränkt positiv, man kann immer was verbessern, aber das ist wirklich einen Schritt nach vorne."

    Szenenwechsel zu einem anderen Passus im Zuwanderungsgesetz. Seit langem war auf zahlreichen Demonstrationen ein Bleiberecht für langjährig geduldete Flüchtlinge in Deutschland gefordert worden. Der Aufenthaltsstatus der Duldung bedeutet, dass die Menschen eigentlich zur Ausreise in ihr Heimatland verpflichtet sind, ihre Abschiebung aber - meist aus humanitären Gründen - nicht vollzogen werden kann.

    Diesen Menschen hat das Zuwanderungsgesetz eine Zukunftsperspektive in Deutschland eröffnet. Nachdem sich Ende 2006 die Konferenz der Bundesinnenminister bereits mit dem Thema befasst hatte, wurde die so genannte "Altfall-Regelung" in das neue Zuwanderungsgesetz aufgenommen. Sie besagt, dass Geduldete, die sich am 1. Juli 2007 bereits sechs Jahre mit Kindern oder acht Jahre als Alleinstehende in Deutschland aufhalten, ein vorläufiges Aufenthaltsrecht erhalten können.

    "Und damit verbunden auch eine Arbeitserlaubnis. Das ist natürlich erst mal eine bessere Ausgangsbasis für sie gewesen. Das Problem war dann eben für sie, dass sie das innerhalb einer gewissen Frist schaffen mussten, Arbeit zu finden und sich unabhängig zu machen von Sozialleistungen, "

    weiß Jens Uwe Thomas vom Flüchtlingsrat in Berlin. Es reiche aber nicht, wenn die Flüchtlinge arbeitswillig sind, sie müssten auch bis zum 31. Dezember 2009 tatsächlich einen Job gefunden haben. Was nicht ganz leicht sei, wenn man über Jahre hinweg nicht arbeiten durfte - und wenn überdies die Anträge der Betroffenen nur schleppend bearbeitet würden. "Die Zeit ist knapp", meint Jens Uwe Thomas.

    "Wir haben immer noch nicht entschiedene Anträge liegen in den Amtsstuben der Ausländerbehörde. Die zweite Frage ist dann, wie viele Leute können es überhaupt schaffen in der relativ kurzen Zeit, also bis Dezember 2009 ungefähr; wie viele können es schaffen, sich überhaupt zu etablieren auf dem Arbeitsmarkt; wenn sie vorher beispielsweise keine Chance hatten, sich fortzubilden oder keine Chance hatten, Erfahrungen zu sammeln. Da fürchten wir eben, dass da eben auch eine größere Anzahl von Betroffenen das nicht schaffen wird."

    Hernand Iles aus Kolumbien jedoch hat es geschafft. Der 47-jährige Agrarwissenschaftler hatte in den 90er Jahren die soziale Bauernbewegung in Kolumbien unterstützt und als Gewerkschafter an einer illegalen Landbesetzung teilgenommen. Dadurch war er ins Visier des kolumbianischen Sicherheitsdienstes und seiner paramilitärischen Stoßtrupps geraten. Sein Leben war bedroht. Hernand Iles floh mit seiner Familie nach Deutschland und beantragte politisches Asyl - was ihm jedoch verwehrt wurde.

    Während sieben langer Jahre im brandenburgischen Finsterwalde musste er von Sozialleistungen leben und durfte nicht arbeiten. Deutsch zu sprechen hat er sich mit Hilfe von Büchern im Selbststudium ganz allein beigebracht. Das war eine harte Zeit, resümiert Hernand Iles:

    "Man kommt in tiefe Depression, weil die Kinder, die in die Schule gehen, fragen uns immer wieder, warum die Eltern von den anderen Mitschülern Arbeit haben und wir nicht und Ihr nicht? Warum geht nicht zur Arbeit? Warum bleibt hier immer die ganze Zeit zu Haus. Das ist schwer, eine richtige Antwort zu finden; weil vielleicht die verstehen auch nicht diese ganze Situation. Die waren nur Kinder. Seelischer Druck - sehr schwer. Aber die Zeit haben wir eigentlich gut überstanden, glaube ich."

    Die beiden Kinder der Familie Iles besuchen inzwischen Gymnasium und Universität, seine Frau bekam einen Job als Zimmermädchen im Hotel und Vater Hernand verkauft Backwaren und Getränke auf einem Berliner S-Bahnhof.

    "Muss man richtig schnell sein, weil auf dem Bahnhof die Leute haben keine Zeit. Die kommen schnell und gehen schnell. Die S-Bahn kommt, die S-Bahn geht wieder. Und dann müssen wir zack, zack! Das Geld weg, kommt nie wieder. Schnell rechnen, schnell denken. So ist meine Arbeit. Das macht mir Spaß eigentlich."

    Als der Agrarwissenschaftler Iles 1999 in die Bundesrepublik kam, hatte er die Illusion, sein kolumbianisches Diplom an einer Deutschen Universität wiederholen zu können, um wissenschaftlich zu arbeiten. Aber die Jahre als Asylbewerber und geduldeter Flüchtling haben ihn und seine Familie bescheiden gemacht. Hernand Iles beklagt sich jedoch nicht und schaut nach vorn.

    "Seelisch sind wir erleichtert. Wir fühlen uns nicht mehr unbedingt unterdrückt. Solange wir Arbeit haben, haben wir auch die Möglichkeit, eine Verlängerung zu bekommen, mit der Zeit hoffen wir auf einen Niederlassungsaufenthalt, das bedeutet, unbefristet in Deutschland zu bleiben, und unser Ziel ist natürlich, den deutschen Pass zu erreichen, das ist mein Ziel, und das werde ich schaffen auch."

    CDU-Politiker Wolfgang Bosbach ist der Meinung, dass man die Altfall-Regelung im Zuwanderungsgesetz insgesamt als einen Erfolg ansehen muss.

    "Wenn bis heute knapp 45.000 langjährig Geduldeten und ihren Familienangehörigen ein Bleiberecht gewährt werden konnte, dann kann man nicht länger bei der Behauptung bleiben, dass die neue Regelung praktisch leerlaufen würde."

    Den Starken, Gesunden und Arbeitsfähigen, den Intelligenten und Pfiffigen nütze die Altfallregelung vielleicht, räumt Josef Winkler von den Bündnisgrünen ein. Flüchtlinge jedoch, die alt und krank, traumatisiert oder ungebildet sind, hätten kaum Chancen. Und die seien in der Mehrheit. Schließlich gebe es 200.000 Menschen mit Duldungsstatus in Deutschland.

    "Natürlich freue ich mich für jeden einzelnen, der es geschafft hat, aber in der Gesamtabwägung muss ich einfach sagen, es ist nicht Ordnung, so ein Gesetz zu verabschieden, was das Problem nicht löst für die meisten Betroffenen."

    Dass die Bilanz nach einem Jahr Zuwanderungsgesetz so unterschiedlich ausfällt, hat nicht nur mit den unterschiedlichen politischen Standpunkten zu tun. Ganz offensichtlich zielt die Maxime des Gesetzes vom Fördern und Fordern, auf Einwanderer, die in der Lage sind, ihr nachzukommen. Wer das aber, aus welchen Gründen auch immer, nicht leisten kann, hat in Deutschland weniger Perspektiven.