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Ein Spiel um Macht

Oft wird gesagt, die Diskussionen um die Kandidaten für das Präsidentenamt beschädigen dieses Amt. Aber ist das wirklich so? Was wäre das für ein politisches Amt, um dessen Besetzung es keine Diskussionen gäbe? Immer wieder war die Besetzung auch in die politische Strategie der Parteien eingebunden, wurden darüber auch Machtfragen beantwortet.

Frank Capellan |
    Beim Spiel um die Macht, beim Poker um Mehrheiten im eigenen Lager und darüber hinaus, hat auch Johannes Rau selbst mitgemischt. 1999 gibt er das Amt des Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen erst ab, als er das Versprechen von Bundeskanzler Gerhard Schröder in der Tasche hat, ihn dann zum Bundespräsidenten zu küren. Mit diesem Deal kann Schröder seinen Wunschpartner Wolfgang Clement zum Regierungschef am Rhein machen – zum Unmut vieler in der SPD, die schon vor fünf Jahren lieber eine Frau statt Rau ins Schloss Bellevue befördert hätten. Kritik, die den späteren Präsidenten trifft:

    Es gab manche Äußerung, die habe ich nicht nur für unpassend gehalten, manche hat mich auch verletzt.

    Doch Personalkungeleien wie im Fall Rau sind nichts Neues, seit Theodor Heuss im September 1949 erster Bundespräsident wird. Der damalige Chef der Liberalen erkauft sich das Amt gewissermaßen durch die Zusage an Konrad Adenauer, den Christdemokraten wenig später auch tatsächlich zum ersten deutschen Bundeskanzler zu küren. Zehn Jahre später dann ein Coup ganz anderer Art. Konrad Adenauer:

    Sie werden sehr erstaunt gewesen sein, meine lieben Landsleute, dass ich mich zur Wahl als Nachfolger unseres verehrten Herrn Bundespräsidenten Heuss gestern zur Verfügung gestellt habe.

    Konrad Adenauer hatte zuvor versucht, den von ihm nicht geschätzten Ludwig Erhard loszuwerden und zum Bundespräsidenten zu machen: Als der ablehnt, wirft Adenauer selbst seinen Hut in den Ring, allerdings in der Absicht, nicht nur zu repräsentieren, sondern im Amt gleichsam weiter über einem Bundeskanzler Erhard zu regieren:

    Die Stellung, die Aufgabe und die Arbeit des Bundespräsidenten ist viel größer als man schlechthin glaubt!

    Drei Wochen vor der Wahl zieht Adenauer überraschend zurück. Parteifreunde hatten ihm klargemacht, dass er auch als Bundespräsident nicht die Richtlinien der Politik bestimmen werde. Die CDU/CSU ist zunächst ratlos, dann wird Bundesernährungsminister Heinrich Lübke ins Rennen geschickt. Weil Christdemokrat Lübke auch als Bundespräsident kein Hehl aus seiner Sympathie für eine Große Koalition macht, genießt er das besondere Vertrauen der SPD. Noch ehe sich CDU und CSU auf eine Wiederwahl des eigenen Mannes verständigt haben, macht sich SPD-Vize Herbert Wehner für Lübke stark, klare Vorleistung für die Große Koalition zwei Jahre später. Weil sich die beiden Volksparteien einig sind, haben die Liberalen am 3. Juli 1964 mit einem bloßen Zählkandidaten das Nachsehen. Lübke bleibt Präsident:

    Für das Vertrauen, das Sie mir mit Ihrer Entscheidung bekundet haben und Ihre herzlichen Glückwünsche danke ich Ihnen sehr. Ich werde auch künftig meine ganze Kraft einsetzen zum Wohl unseres Volkes!

    Bei der Wahl fünf Jahre später aber schlägt die Stunde der FDP: Diesmal können sich Union und SPD nicht auf einen gemeinsamen Kandidaten verständigen, beiden aber fehlt die absolute Mehrheit in der Bundesversammlung, die FDP wird zum Zünglein an der Waage. Dem linksliberalen Walter Scheel, gerade zum neuen Parteivorsitzenden gewählt, gelingt es, seine Wahlmänner dazu zu bewegen, ihre Stimmen für den SPD-Kandidaten Gustav Heinemann abzugeben: Mehrere Stunden dauert die Wahl, erst im dritten Wahlgang, bei dem die relative Mehrheit reicht, setzt sich Heinemann gegen den damaligen Verteidigungsminister der CDU, Gerhard Schröder durch – der erste sozialliberale Schulterschluss ist gelungen: ein halbes Jahr später regiert in Bonn eine Koalition von SPD und FDP.

    1974 sind die Mehrheitsverhältnisse sicher: ohne Probleme wird Freidemokrat Walter Scheel im ersten Wahlgang neuer Bundespräsident, fünf Jahre später allerdings wird er von seinen sozialliberalen Koalitionären vergeblich gedrängt, eine Kampfkandidatur gegen Karl Carstens von der Union zu wagen. Denn wie Johannes Rau heute musste auch Walter Scheel damals fürchten, abgewählt zu werden. Noch ist Helmut Schmidt Kanzler, doch SPD und FDP haben nach mehreren Niederlagen bei Landtagswahlen die Mehrheit in der Bundesversammlung verloren. Vergeblich appelliert SPD-Fraktionschef Herbert Wehner im Deutschlandfunk kurz vor der Wahl an die Wahlmänner der Union den alten Präsidenten wiederzuwählen:

    Die Art und Weise, in der die beiden Unionsparteien mit dem Träger des höchsten Amtes unserer Bundesrepublik Deutschland umgehen, signalisiert, dass sie dem gemeinsamen Staat den Respekt versagen und damit die Mitbürgerinnen und Mitbürger vor vollendete Tatsachen zu stellen versuchen.

    Tatsächlich hatte die CDU/CSU den Vorsitzenden der FDP, Hans-Dietrich Genscher, Monate zuvor in Aussicht gestellt, Walter Scheel wieder mitzutragen, wohl in der Hoffnung, die Liberalen damit als künftigen Koalitionspartner gewinnen zu können. Doch als sich die Mehrheitsverhältnisse verschieben, setzt CDU-Chef Helmut Kohl auf stur: Erstmals in der deutschen Geschichte wird mit Karl Carstens ein Mann Bundespräsident, der keiner Regierungspartei angehört.

    Machtpolitisch interessant wird schließlich die Bundespräsidentenwahl von 1994: Johannes Rau tritt gegen Roman Herzog an – und erlebt ein Desaster. Hildegard Hamm-Brücher, Kandidatin der FDP, wird nach dem zweiten Wahlgang von der FDP-Spitze fallen gelassen:

    Im dritten Wahlgang bin ich dann sozusagen aus dem Verkehr gezogen worden, aber es hat eine Bresche geschlagen, und ich denke, dass dieser Parteien-Kuhhandel nicht gut ist für dieses Amt und die Person, die dieses Amt dann antritt.

    Doch der Kuhhandel funktioniert auch 1994. Das Kalkül Raus, Stimmen von verärgerten Liberalen zu erhalten, geht nicht auf: Parteipolitisch korrekt wählen die FDP-Delegierten den Unionsmann Herzog.

    Vor fünf Jahren schließlich waren die Mehrheitsverhältnisse klar: Gerhard Schröder konnte Johannes Rau das Amt versprechen. Diesmal aber wird Rau selbst ein Opfer der neuen Konstellationen.