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"Ein stiller Horrorfilm"

Markus Schleinzers Film "Michael" sei ein Film, "wo man erst mal Angst hat, reinzugehen", sagt der Kritiker Rüdiger Suchsland. Ein alleinstehender Mann hält in seinem Keller einen zehnjährigen Jungen gefangen. Der Film konzentriert sich auf den Täter, ohne auch nur einen Moment mit ihm zu sympathisieren.

Rüdiger Suchsland im Gespräch Doris Schäfer-Noske | 22.01.2012
    Doris Schäfer-Noske: Ein aufstrebender Mathematiker, der wegen Burnout zum Verstoßenen wird, eine Liebe zwischen Europa und Asien, die an kulturellen Gegensätzen scheitert, oder eine bankrotte Rentnerin, die zum Kampf gegen die Banken aufruft. Das sind nur drei von vielen Geschichten, die diese Woche in Saarbrücken erzählt wurden - beim Max-Ophüls-Filmfestival. Die Suche nach jungen Talenten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz hat man sich hier auf die Fahnen geschrieben, und so wetteiferten wieder 90 Spielfilme, Dokumentationen und Kurzbeiträge von Nachwuchsfilmern um die insgesamt 100.000 Euro Preisgeld. Gestern Abend wurden dann die Preise vergeben. Frage an meinen Kollegen Rüdiger Suchsland: Herr Suchsland, wer hat denn den Hauptpreis bekommen?

    Rüdiger Suchsland: Der Hauptpreis ging an einen österreichischen Film von Markus Schleinzer. Der Film heißt "Michael" und kommt auch in der nächsten oder übernächsten Woche schon in die deutschen Kinos. Das ist ein Film, der das Publikum gespalten hat, und man kann der Jury eigentlich nur gratulieren. Der Vorsitzende war Hans W. Geißendörfer, den man zwar nur kennt über die "Lindenstraße", der natürlich aber auch ein renommierter Filmregisseur ist, und er hat mit seinen Kollegen einen sehr guten Geschmack bewiesen, weil ich glaube, es macht mehr Sinn, bei so einem eindeutigen Nachwuchsfestival auch wirklich einen Debütanten hervorzuheben und Filme auszuzeichnen, die in irgendeiner Weise kontrovers sind, die in irgendeiner Weise was wagen, die nicht vielleicht in jeder Hinsicht perfekt sind oder allemal nicht allen gefallen und noch nicht so in diesen Üblichkeiten der typischen Filmdramaturgie sich eingefunden und gemütlich gemacht haben. "Michael" nun ist ein formal sehr guter Film, ein Film, von dem ich auch denke, dass er sehr wenig Fehler hat. Es ist trotzdem ein Film, wo man erst mal Angst hat, reinzugehen, denn man weiß schon durch den Katalog – und das wird auch in den ersten Minuten schon klar -, dass es um einen Mann geht, alleinstehend, er hat eine Arbeit, und ein Haus, in dem er alleine lebt, und unten im Keller hat er einen zehnjährigen Jungen gefangen. Bei Österreich denkt man dann sofort an Fälle wie den Fall von Amstetten und an Frau Kampusch, die gefangen gehalten wurde. Darauf spielt das natürlich an, aber es ist dann doch etwas ganz anderes und es ist ein sehr aufregendes Drama, was dem Zuschauer lange Zeit keine Erleichterung gibt, dann aber doch, und insofern lohnt sich der Film.

    Schäfer-Noske: Wie wird denn dieses schwierige Thema behandelt?

    Suchsland: Der Regisseur Markus Schleinzer, der hat lange für Michael Haneke gearbeitet, als Castingdirektor. Das heißt, er hat die Schauspieler eigentlich für ihn ausgesucht, auch mit den Kindern ganz viel gearbeitet. Das ist ein sehr sensibler Film. Es ist schon ein Täterfilm, der sich auf diesen Täter konzentriert, aber keinesfalls mit ihm sympathisiert. Auf der anderen Seite ist es auch kein Film, der so diese mittelalterliche Strafjustiz ausüben will, der also nicht diese Affekte des Zuschauers befriedigt, dass man diesen Typ wirklich hasst und vielleicht irgendwelche Aggressionen auf ihn projiziert, sondern das ist ein Film, der zeigt, was der tut und wie er es tut, und insofern ist es ein stiller Horrorfilm, aber natürlich unbedingt auch ein Horrorfilm, nur einer völlig ohne Blut.

    Schäfer-Noske: Dann gab es noch eine Art Black-Swan-Geschichte: "Die Unsichtbare" von Christian Schwochow hat eine lobende Erwähnung bekommen.

    Suchsland: Ja. Das war sicher ein Film, der auch für viele favorisiert war. Auch dieser Film kommt sehr bald ins deutsche Kino, kann ich auch jedem Zuschauer nur empfehlen. Christian Schwochow wurde bekannt durch "Novemberkind", der vor ein paar Jahren hier auch schon in Saarbrücken einen Preis bekommen hat. Sein zweiter Spielfilm, "Black Swan": Es geht um eine Schauspielerin, die gewissermaßen mit ihrer Rolle – sie spielt eine Hauptrolle – nicht fertig wird, und in dieser Spannung zwischen privater und theatraler Rolle zerbricht. Man erfährt viel über sie privat, man erfährt auch viel über einen Lehrer, der so was sehr Autoritäres hat, auch was Charismatisches. Den spielt Ulrich Noethen in einer, wie ich finde, atemberaubenden Rolle. Zwischendurch denkt man, das ist ein Schurke und ein Sadist; man begreift dann aber auch, der ist leidenschaftlich, dem geht es im Grunde auch nur darum, gute Kunst zu erzeugen. Aber dafür geht er gewissermaßen über Leichen, ohne es zu merken.

    Schäfer-Noske: Konnten Sie denn diesmal in Saarbrücken Entdeckungen machen, Herr Suchsland?

    Suchsland: Ja. Diese beiden genannten Filme sind natürlich unbedingt Entdeckungen, auch wenn Markus Schleinzer's Film schon in Cannes lief, aber da ging er doch ziemlich unter unter anderen Filmen. Also es gab ein paar Filme, Dokumentarfilme zum Beispiel ziemlich gute. Dann gibt es auch immer Kurzfilme und mittellange Filme. Man hat dann so eine Art Ernte des deutschen Kinos, vor allem des jungen. Man ahnt, was bevorsteht, und was sich zum Beispiel eindeutig sagen lässt, dass sich die Regisseure wieder viel stärker für politische Themen interessieren. Sie haben ja auch schon ein paar genannt in der Anmoderation. Es gibt Filme zum Beispiel über den Crash, den Banken-Crash, und die Reaktionen der Geschädigten. Es gibt Filme über einen Arzt, der in einem zusammenbrechenden Gesundheitssystem die Obdachlosen pflegt, "Dr. Kittel" heißt dieser Film. Beides sind Berliner Filme. Man sieht dann auch, dass die Regisseure sehr souverän ihre Mittel gebrauchen, mit Filmzitaten aus der Filmgeschichte spielen, und insofern ist das eine sehr interessante Sache. Manche dieser Filme sind nicht perfekt, aber es lohnt sich, sie anzusehen, weil man da Kino in einem Rohzustand spürt, was noch so ganz nah an der Mache dran ist und was gewissermaßen die Seele der Regisseure direkt widerspiegelt.

    Schäfer-Noske: Rüdiger Suchsland war das mit einer Bilanz des Max-Ophüls-Filmfestivals in Saarbrücken.

    Weitere Informationen:

    Max Ophüls Preis