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Ein Strichcode für Taxonomen

Biologie. - Je nach Schätzung gibt es auf der Erde zwischen vier und über 100 Millionen verschiedene Arten von Lebewesen, doch bekannt ist davon nur ein Bruchteil. Um einen besseren Überblick zu bekommen, setzen kanadische Wissenschaftler auf Gentechnologie.

Von Monika Seynsche |
    Der kleine Vortragssaal im Kongresszentrum von Barcelona füllt sich langsam mit Zuhörern. Auf einem Tisch liegen Hochglanzbroschüren zum Mitnehmen, verziert mit Bildern farbenprächtiger Fische, Papageien und Seeanemonen. Ein Mann mit grauen kurzen Haaren und rechteckiger Brille tritt ans Rednerpult. Er wolle über den "International Barcode of Life” sprechen, sagt er. Über eine Bibliothek in die jedes Lebewesen aufgenommen werden soll, das einen Zellkern besitzt. Paul Hébert von der kanadischen Universität in Guelph will diese Bibliothek aufbauen und dafür sucht er händeringend Geldgeber – deshalb die bunten Hochglanzbroschüren und eindringlichen Worte.

    "Das Leben auf unserem Planeten ist bedroht. Ein Drittel aller Arten könnte bis zum Ende dieses Jahrhunderts verschwinden. Wir haben keine Zeit mehr abzuwarten, sondern müssen jetzt handeln."

    Nur was bekannt ist, kann auch geschützt werden. Vor 250 Jahren begann der schwedische Naturwissenschaftler Carl von Linné Tier- und Pflanzenarten nach einem ausgeklügelten System zu beschreiben und mit lateinischen Doppelnamen wie etwa Homo sapiens zu belegen. Seitdem werden überall auf der Welt Arten nach ihrem Aussehen und bestimmten Merkmalen in Ordnungen, Familien und Gattungen eingeordnet. Ein Art zu beschreiben, ist aufwändig und oft nur durch Spezialisten möglich. Denn je nach Lebensphase, Umgebung und Geschlecht können die Mitglieder einer einzigen Art vollkommen unterschiedlich aussehen. Paul Hébert will die Arten deshalb anhand eines kleinen Erbgut-Schnipsels unterscheiden. Dieser Schnipsel kommt bei allen Lebewesen mit Zellkern vor, also beim Elefanten genauso wie bei der Forelle oder der Fruchtfliege. Es sei ein Teil der DNS der Zellkraftwerke, der Mitochondrien, erzählt Paul Hébert nach seinem Vortrag.

    "In den Mitochondrien fehlen ausgefeilte Reparatursysteme für das Erbgut. Das heißt, die DNS hier verändert sich zehnmal so schnell wie die im Zellkern selbst. Dadurch unterscheiden sich die einzelnen Arten in ihrer Mitochondrien-DNS viel stärker voneinander als in der restlichen DNS. Wenn Sie jetzt verschiedene Arten vergleichen wollen, brauchen sie ein Gen auf dieser Mitochondrien-DNS dass bei allen Arten vorkommt. So ein Gen ist CO1."

    Von diesem CO1 oder ausgeschrieben Cytochrom-c-Oxidase-1-Gen untersuchen Hébert und seine Kollegen einen kleinen Abschnitt, der 650 Erbgutbausteine, so genannte Basenpaare enthält. Das ist Routinearbeit mit herkömmlichen Geräten und dauert keine zwei Stunden. Danach halten sie einen 650-stelligen Strichcode in der Hand, den sie mit einer Datenbank abgleichen können, um herauszufinden, zu welcher Art das Tier gehört.

    "Damit haben wir einen Generalschlüssel für alle Tierarten des Planeten. Und da wir uns nur auf diesen Genabschnitt konzentrieren, ist es egal, wie das Tier aussieht, ob es noch im Larvenstadium oder schon ausgewachsen ist, ob es ein farbenprächtiges Männchen oder ein unscheinbares Weibchen ist. Darüber hinaus ist so ein Strichcode schnell erstellt und billig. Noch kostet er drei Dollar pro Art, aber bald könnten es Pennys sein und eine Arbeit von Minuten."

    Wenn ein Taxonom eine Art bestimmen will, braucht er so viele Informationen wie möglich und ein möglichst vollständig erhaltenes Tier. Paul Hébert und seinen Kollegen dagegen reicht ein Stück DNS. Das bedeutet, sie können auch dann noch Arten bestimmen, wenn sie nur gehäckseltes Fleisch, Federstückchen oder Fellreste vor sich haben. Zurzeit versuchen sie, 150 Millionen Dollar zusammen zu bekommen, um ihre Strichcode-Bibliothek des Lebens aufbauen zu können.

    "Wir wollen so viele Lebewesen wie möglich mit einem Strichcode versehen. Deshalb versuchen wir zurzeit 150 Millionen Dollar zusammen zu bekommen für das "International Barcode of Life"-Projekt. Dabei setzen wir besonders auf Kanada, die Europäische Union, China und die USA. Wir hoffen das Projekt offiziell am 1. Januar 2010 starten zu können und dann ein digitales Identifikationssystem allen Lebens aufbauen zu können."

    Neben der Finanzierung müssen sie allerdings noch ein anderes Problem lösen. Denn das CO1-Gen eignet sich zwar gut, um Tierarten voneinander zu unterscheiden. Bei Pflanzen hingegen funktioniert es nicht. Dort sucht Paul Hébert noch nach dem perfekten Strichcode.