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Ein Stück Arbeit

Josef Bierbichler zählt zu den markantesten deutschen Charakterdarstellern. An der Berliner Schaubühne hatte in dieser Woche ein Solo-Programm Bierbichlers Premiere: "Holzschlachten. Ein Stück Arbeit" ist ein Stück über den KZ-Arzt Hans Münch, der nach dem Krieg im ersten Krakauer Prozess freigesprochen wurde und erst Jahrzehnte später seine wirkliche Rolle enttarnte, die eines Täters, der sich als Mitläufer sah.

Von Michael Laages | 22.06.2006
    Ein kleiner Wald steht vor der dem Halbrund aus Beton, das den historischen Mendelsohn-Bau der Berliner "Schaubühne" abgrenzt zum Kurfürstendamm hin; sorgsam aufgestellt sind in der Mitte des leeren Raums ein paar Dutzend Stück Meter-Holz, und sie erinnern unübersehbar deutlich an die Stelen auf dem Feld des Mahnmals für Europas ermordete Juden am Potsdamer Platz. Langsam taucht die tote Masse auf im Schummerlicht, während vorne, gemütlich im Sessel, ein Mann gegen historische Schuld schwadroniert: Josef Bierbichler spricht Bekenntnisse jenes Auschwitz-Arztes Hans Münch, der lange Zeit als Gutmensch galt, weil er im ersten Krakauer Prozess über die Gräuel im Konzentrationslager als einziger Angeklagter freigesprochen wurde - und der erst vier Jahrzehnte später, in Interviews mit einem Journalisten, die eigene Rolle enttarnte: als Täter, der sich selber allerdings nur als völlig unbetroffenen Mitmacher sah; und die eigenen Taten, Menschenversuche und Tötungen immerhin, nur als Teil eines alltäglichen und letztlich für die Selbsterhaltung des Gemeinwesens unverzichtbar nützlichen Arbeitsprozesses beschrieb, in dem "das Schlechte" selektiert wird, damit "das Gute" überlebt.

    Halt wie der Förster den Wald ausholzt.

    Wie um den äußerst heiklen Gedanken möglichst nah an sich heran zu holen, fährt darauf hin in einer Film-Sequenz Bierbichler selber durch den Wald; den eigenen - dem Schauspieler, aufgewachsen auf dem Lande in bayerischer Provinz, gehört inzwischen ein beträchtliches Stück Forst. Und er selektiert Baum für Baum; die Kettensäge geht ans Werk, das Holz fällt. Festmeter um Festmeter stürzen Techniker des Theaters auf die Bühne herunter. Und Bierbichler spaltet mit gewaltigem, sicheren Hieb Stück für Stück - mit Kopfhörern auf den Ohren und zum Text des ersichtlich verwirrten Schriftstellers Florian List, der sich kurz vor dem Tod in die Wälder bei Dachau zurück zog; und wohl in eine Art Paranoia - am schwefelgelben Nachthimmel sah er den atomaren Gau herauf ziehen, aus Katzenaugen, so erzählte er, schienen zuweilen "verwunschene Menschen" heraus zu schauen. Auf eine Art Scheiterhaufen aus gespaltenem Holz lässt Bierbichler diesen Getriebenen sich legen, nackt, während weißer Nebel wie Gas zwischen die Stämme des Stelenfeldes kriecht - um gegen Ende dieses kleinen, aber zutiefst beunruhigenden Exorzismus noch einmal kurz in die Rolle des auf eigener Nicht-Verantwortung beharrenden Killer-Arztes zurück zu kehren.

    Ein klug reflektierter Text im Programmheft benennt das auch auf der Bühne unübersehbare Fundament für Bierbichlers Schuld-Beschwörung - Martin Walsers Dankesrede anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels in der Frankfurter Paulskirche, acht Jahre liegt die schon wieder zurück, in der Walser bekanntlich von der "Moralkeule" sprach, als die eben die Erinnerung an deutsches Verbrechen verwendet werde, und vom Recht der Deutschen, auch mal weg zu hören und zu sehen, wenn einmal mehr von deutscher Schuld und Schande die Rede ist.

    "Holzschlachten", dieses "Stück Arbeit" für die Bühne, erzählt vor allem von der Aussichtslosigkeit der wohlfeilen Hoffnung, dieses innere Echo jemals wirklich wieder los zu werden; wie sehr sich der SS-Arzt Münch auch darauf berufen mag, dass er ja nur ein bisschen Karriere machen wollte und dafür halt machte, was alle machten im Arbeitsablauf, der "Auschwitz" hieß und jedes Gefühl schnell abtötete, für Moral etwa oder sonst welche Kategorien exotischer Art im menschlich-widermenschlichen Handeln. Mehr noch: wie geschickt sich auch der nachgeborene Paranoiker List vierzig Jahre später im Dachauer Forst verstecken mag, per Funkkontakt nur verbunden mit einem einzigen Vertrauten - vor "verwunschenen Menschen", die in Katzenaugen lauern, gibt's kein Entrinnen; und auch nicht vor dem Himmel, wenn er schwefelgelbe Tränen weint, oder schwarz war über den Öfen von Birkenau, über den Todesfabriken in der kleinen polnischen Stadt Oswiecim.

    Bierbichler kämpft sich dieses Trauma von der Seele: kalt und unberührt zunächst, dann mit der ebenso gewaltigen wie präzisen Energie des Holzhackers, des Holz-Schlachters, des Exorzisten - was für ein Bild, wenn ein akkurat gesetzter Schlag das Holz-Fleisch spaltet! Ein paar dramaturgische Ungenauigkeiten fallen da nicht mehr wirklich ins Gewicht - vor dem Halbrund der haushohen Brandmauer in der Schaubühne kreiert er im Stelenfeld einen Raum, der kein Entrinnen möglich macht.

    Und übrigens auch kein falsches Einverständnis im politisch korrekten Dauerjubel - nach zwei kollektiven Verbeugungen mit Technikern und Team ist definitiv Schluss. Draußen flattern an diesem Abend kaum Fahnen vorbei, nur die notorisch schwarz-rot-gelb Dauerbeflaggten. Ansonsten nur argentinische.