Burkhard Müller-Ullrich: So selten Alexander Borodins Oper "Fürst Igor" gespielt wird, so musikalisch eingängig sind doch etliche Passagen. Das Werk ist Ende des 19. Jahrhunderts entstanden und verweist um mindestens sieben Jahrhunderte zurück auf eine Zeit, da Steppenvölker von Osten her die Slawen angriffen, eine Kriegszeit also, aus der das zum russischen Nationalmythos gehörende Igorlied stammt. Jörn Florian Fuchs, Sie haben "Fürst Igor" in Zürich gesehen. Fangen wir mal mit der Handlung an, die ist ja relativ simpel: Der Fürst zieht gegen die Tataren und lässt seine Frau zuhause zurück, die es mit seinem ebenfalls zurückgelassenen Stellvertreter ein bisschen schwer hat ...
Jörn Florian Fuchs: Genau. Und derjenige, der zuhause bleibt, das ist sein Schwager und der benutzt also nun diese Interimsregentschaft, um dort wirklich zu huren, zu morden, zu töten, alles mögliche Schlimme zu tun, währenddessen in der Ferne sich noch eine Liebesgeschichte entwickelt, denn der Sohn von Fürst Igor, der gerät in die Fänge der Tochter des vermeintlich feindlichen Herrschers, und die überzeitlich humanistische Botschaft des Ganzen ist dann, dass es einen Gnadenakt dieses eben vermeintlich bösen Herrschers gibt und am Ende ein Happy End. Es finden dann alle zueinander und es stellt sich auch so etwas wie eine Läuterung dann ein.
Müller-Ullrich: Und es ist eine Oper, die musikalisch alles hat: Das heißt folkloristische Elemente, Ballett. Wie war das überhaupt bei der Züricher Aufführung?
Fuchs: Ja man sollte eigentlich davon ausgehen, wenn ein Russe am Pult steht, in dem Fall Vladimir Fedoseyev, dass das wirklich Kraft hat und Power und auch eine Dynamik, die diesem Werk gerecht wird. Dieses ganze wirklich prächtig klingende Werk ist nun von Fedoseyev im Stil der alten russischen Opernschule aufgeführt worden, das heißt, es wummert und kracht vor allem, er verwechselt wohl ein bisschen das kleine Züricher Opernhaus etwa mit der Seebühne in Bregenz oder einem Sportstadion. Das fand ich negativ. Viele Details kommen sehr schön heraus, aber wie gesagt: Ich brauche nicht immer dieses Dauerfortissimo, das dann so klang.
O-Ton Musik:
Fuchs: Das klingt natürlich schon eindrücklich an dieser Stelle, das muss ich einräumen, aber immer wieder ist es so, dass es einfach dann zu laut, zu derb dirigiert wird. Was aber erstaunlicherweise dann doch funktioniert, das ist eigentlich die Koordination mit Chor und den Sängern, die durchweg sehr, sehr gut waren, die auch kaum übersteuert waren, weil sie auch meistens sehr stimmkräftig waren. Dmitri Belosselski etwa, der diesen üblen Übergangsherrscher am heimischen Hof gesungen hat, war sehr überzeugend, auch Peter Sonn als Sohn von Igor, und natürlich Egils Silins als Fürst Igor selber, der auch keinerlei Konditionsprobleme wirklich an diesem Abend hatte bei dieser immens langen, sehr anspruchsvollen Partie.
Müller-Ullrich: Was ist denn über die Inszenierung zu sagen? Der Opernstoff bietet ja allerhand Ankerpunkte für moderne Auffassungen, es geht immerhin um einen "Clash of Civilizations".
Fuchs: Ja. David Pountney inszeniert das leicht aktualisiert. Am Anfang kommen die Choristen daher in alten Trachten, wobei diese Trachten sind aus Pappe, sie halten sich einfach nur bemalte Kartons vor den Körper und irgendwann legen sie die ab und sind dann irgendwie heutig. Es kommen auch irgendwie Attentäter mit Sprengstoffgürteln, vielleicht Tschetschenen oder so hinein. Irgendwie ist das Stichwort des Abends – das ist nicht genau verortet, geht auch aus meiner Sicht eigentlich nicht ganz auf, zumal einige Effekte dann noch sehr albern sind. Einer von den Anführern wirft dann eine Handgranate in den Raum, dann kommt so ein Tischfeuerwerk, das zu immensem Gelächter im Opernhaus führte. Da stimmt dann auch Timing und stimmen die Effekte nicht. Was mich auch ehrlich gesagt geärgert hat, ist, dass diese doch humanistische große Botschaft von Gnade und Versöhnung, dass die eigentlich irgendwie eingedampft wird - vor allen Dingen, weil am Ende dann ein goldenes Pferd mitsamt dem Reiter vom Himmel herabschwebt und das dann eigentlich alles angebunden wird an die Musealität des Stücks. Pountney scheint dann zu sagen, im Grunde ist es doch ein Stück fürs Museum letztlich. Das hat mich gestört und auch enttäuscht.
Müller-Ullrich: Ist es auch Museum in dem Sinne, dass da etwas ausgestellt wird, was ja in Russland sehr zum nationalen Mythos gehört, die Igor-Geschichte?
Fuchs: Ja, aber das müsste man irgendwie dann anders darstellen, finde ich. Ich dachte an Dmitri Tscheniakov zum Beispiel, oder selbst jemand wie Stefan Herheim. Das ist ja jemand, der mit solchen mythischen Geschichten, die wichtig für ein Volk, für eine Kultur sind, umgeht, indem er einen anderen Rahmen schafft, indem er die historischen Teile dieses Werks dann auch wirklich betont, aber vielleicht ein leichtes Augenzwinkern mal zieht, oder vorsichtig ins Hier und Heute holt. Aber hier ist es eben letztlich unausgewogen und zum Teil dann auch sehr statuarisch inszeniert. Wir haben letztlich ein Breitwand-Rampentheater immer wieder, also das ist, finde ich, schade gewesen.
Müller-Ullrich: Jörn Florian Fuchs besprach eine Züricher Produktion der Oper "Fürst Igor" von Alexander Borodin.
Infos:
opernhaus.ch
Jörn Florian Fuchs: Genau. Und derjenige, der zuhause bleibt, das ist sein Schwager und der benutzt also nun diese Interimsregentschaft, um dort wirklich zu huren, zu morden, zu töten, alles mögliche Schlimme zu tun, währenddessen in der Ferne sich noch eine Liebesgeschichte entwickelt, denn der Sohn von Fürst Igor, der gerät in die Fänge der Tochter des vermeintlich feindlichen Herrschers, und die überzeitlich humanistische Botschaft des Ganzen ist dann, dass es einen Gnadenakt dieses eben vermeintlich bösen Herrschers gibt und am Ende ein Happy End. Es finden dann alle zueinander und es stellt sich auch so etwas wie eine Läuterung dann ein.
Müller-Ullrich: Und es ist eine Oper, die musikalisch alles hat: Das heißt folkloristische Elemente, Ballett. Wie war das überhaupt bei der Züricher Aufführung?
Fuchs: Ja man sollte eigentlich davon ausgehen, wenn ein Russe am Pult steht, in dem Fall Vladimir Fedoseyev, dass das wirklich Kraft hat und Power und auch eine Dynamik, die diesem Werk gerecht wird. Dieses ganze wirklich prächtig klingende Werk ist nun von Fedoseyev im Stil der alten russischen Opernschule aufgeführt worden, das heißt, es wummert und kracht vor allem, er verwechselt wohl ein bisschen das kleine Züricher Opernhaus etwa mit der Seebühne in Bregenz oder einem Sportstadion. Das fand ich negativ. Viele Details kommen sehr schön heraus, aber wie gesagt: Ich brauche nicht immer dieses Dauerfortissimo, das dann so klang.
O-Ton Musik:
Fuchs: Das klingt natürlich schon eindrücklich an dieser Stelle, das muss ich einräumen, aber immer wieder ist es so, dass es einfach dann zu laut, zu derb dirigiert wird. Was aber erstaunlicherweise dann doch funktioniert, das ist eigentlich die Koordination mit Chor und den Sängern, die durchweg sehr, sehr gut waren, die auch kaum übersteuert waren, weil sie auch meistens sehr stimmkräftig waren. Dmitri Belosselski etwa, der diesen üblen Übergangsherrscher am heimischen Hof gesungen hat, war sehr überzeugend, auch Peter Sonn als Sohn von Igor, und natürlich Egils Silins als Fürst Igor selber, der auch keinerlei Konditionsprobleme wirklich an diesem Abend hatte bei dieser immens langen, sehr anspruchsvollen Partie.
Müller-Ullrich: Was ist denn über die Inszenierung zu sagen? Der Opernstoff bietet ja allerhand Ankerpunkte für moderne Auffassungen, es geht immerhin um einen "Clash of Civilizations".
Fuchs: Ja. David Pountney inszeniert das leicht aktualisiert. Am Anfang kommen die Choristen daher in alten Trachten, wobei diese Trachten sind aus Pappe, sie halten sich einfach nur bemalte Kartons vor den Körper und irgendwann legen sie die ab und sind dann irgendwie heutig. Es kommen auch irgendwie Attentäter mit Sprengstoffgürteln, vielleicht Tschetschenen oder so hinein. Irgendwie ist das Stichwort des Abends – das ist nicht genau verortet, geht auch aus meiner Sicht eigentlich nicht ganz auf, zumal einige Effekte dann noch sehr albern sind. Einer von den Anführern wirft dann eine Handgranate in den Raum, dann kommt so ein Tischfeuerwerk, das zu immensem Gelächter im Opernhaus führte. Da stimmt dann auch Timing und stimmen die Effekte nicht. Was mich auch ehrlich gesagt geärgert hat, ist, dass diese doch humanistische große Botschaft von Gnade und Versöhnung, dass die eigentlich irgendwie eingedampft wird - vor allen Dingen, weil am Ende dann ein goldenes Pferd mitsamt dem Reiter vom Himmel herabschwebt und das dann eigentlich alles angebunden wird an die Musealität des Stücks. Pountney scheint dann zu sagen, im Grunde ist es doch ein Stück fürs Museum letztlich. Das hat mich gestört und auch enttäuscht.
Müller-Ullrich: Ist es auch Museum in dem Sinne, dass da etwas ausgestellt wird, was ja in Russland sehr zum nationalen Mythos gehört, die Igor-Geschichte?
Fuchs: Ja, aber das müsste man irgendwie dann anders darstellen, finde ich. Ich dachte an Dmitri Tscheniakov zum Beispiel, oder selbst jemand wie Stefan Herheim. Das ist ja jemand, der mit solchen mythischen Geschichten, die wichtig für ein Volk, für eine Kultur sind, umgeht, indem er einen anderen Rahmen schafft, indem er die historischen Teile dieses Werks dann auch wirklich betont, aber vielleicht ein leichtes Augenzwinkern mal zieht, oder vorsichtig ins Hier und Heute holt. Aber hier ist es eben letztlich unausgewogen und zum Teil dann auch sehr statuarisch inszeniert. Wir haben letztlich ein Breitwand-Rampentheater immer wieder, also das ist, finde ich, schade gewesen.
Müller-Ullrich: Jörn Florian Fuchs besprach eine Züricher Produktion der Oper "Fürst Igor" von Alexander Borodin.
Infos:
opernhaus.ch