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Ein Stückchen Heimat

In dieser Woche hat die irische Regierung – kurz nach der britischen – das vorübergehende Ende der europäischen Solidarität verkündet: Rumänen und Bulgaren dürfen nach dem EU-Beitritt ihrer Länder in gut zwei Monaten nicht ungehindert in Irland arbeiten. Vor zweieinhalb Jahren, als acht mittel- und osteuropäische Länder beitraten, war das noch anders: da öffnete Irland seine Pforten vom ersten Tag an und wurde regelrecht überrannt. Martin Alioth hat die polnische Diaspora in Dublin besucht.

26.10.2006
    Jeden Samstag treffen sich polnische Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter in einem Salon am Dubliner Fitzwilliam Place zu Kaffee und Kuchen. 120.000 bis 150.000 Polen leben derzeit in Irland, schätzt die polnische Botschaft. Danuta, zum Beispiel, verdient als Näherin und mit Kinderhüten weit mehr als sie in Polen erwarten könnte. Die polnische Wirtschaftslage trieb sie nach Irland.
    Die Buchhalterin Dorotta hingegen wollte schon immer weg. Sie wollte, wie sie sagt, mehr Kapitalismus als es in Polen gab. Aber alle ihre polnischen Freunde wollen zurück, sie hängen zu sehr an Polen und an ihren Familien. Nur sie sei anders, weil sie bleiben wolle. Andrew, ein 38-jähriger Mechaniker, der Windschutzscheiben einpasst, fühlt sich sehr unwohl. Warum?
    Die Iren hätten andere, eigenartige Gewohnheiten und Sitten. Er nennt das reichliche Trinken und, nach einem verschämten Zögern, irische Frauen. Immer seien sie tätowiert und überdies zu dick. Auf die Frage, wie lange er denn noch bleiben wolle, gibt er eine ehrliche Antwort: "So rasch wie möglich heim", sagt er, er sei nur wegen des Geldes gekommen.
    Und so bevorzugen die Polen in Irland die Gesellschaft von Ihresgleichen. Lech zum Beispiel, ein 55-jähriger Angestellter einer irischen Kanalisationsfirma, der seit fünf Jahren von seiner Familie in Polen getrennt lebt, fühlt sich überhaupt nicht einsam:
    In seinem Haus verkehrten viele Polen. So sitzen sie am Samstagnachmittag im polnischen Club und tauschen Erfahrungen aus. Hier finden sie die Unterstützung, die ihnen der irische Staat, der sie einst gerufen hatte, verweigert. Polnische Zeitungen und Radio-Programme vervollständigen die Heimat im Exil, denn sie wollen ja nicht bleiben.
    Als sie noch in Polen war, fasst die Näherin Danuta zusammen, galt Irland als das Paradies, als Garten Eden. Aber ohne die Sprache und ohne Geld habe sich herausgestellt: auch Irland ist nicht Eden.
    Vor fünf Wochen erhielt die polnische Diaspora einen Ankerplatz in Dublin: Die Erzdiözese Dublin überließ den Polen die Pfarrkirche St. Audeon’s im Stadtzentrum, die passenderweise von normannischen Einwanderern gegründet worden war. Joszef, Kardinal Glemp, der polnische Primas, las die erste Messe. Etwa tausend, großteils einfach gekleidete Emigranten, sprachen das Glaubensbekenntnis. Jetzt liegt Polen an der Dubliner High Street. Jacek Rosa, polnischer Botschaftsrat in Irland, freut sich:
    "Die Leute endlich werden eigene Platz zum Beten haben und ein Stück von polnische Heimat, hier."

    Die irische Regierung begründete diese Woche ihre Entscheidung, Rumänen und Bulgaren vorerst nicht unbeschränkt in Irland arbeiten zu lassen, mit der noch immer unvollendeten Integration der Polen, Balten und Slowaken. Mit anderen Worten: weshalb sollten wir uns Ärger einhandeln, wenn doch alles zur besten Zufriedenheit läuft? Die Unternehmensberaterin Katarzyna Mejger, die Kontakte zwischen polnischen und irischen Firmen vermittelt, sieht das ganz nüchtern:
    "Dafür werden die Polen ja gerade gelobt: sie arbeiten, zahlen Steuern und machen keine Scherereien."

    Kein europäischer Idealismus also, die Beziehungen bleiben strikt geschäftlich.