Archiv


Ein Truppenübungsplatz wird zum Urwald

Es gibt in Deutschland eine gute Hand voll Wälder, die der Natur überlassen werden. Nun soll noch ein weiteres Stück Wildnis hinzukommen. Und zwar im Bundesland Brandenburg auf dem Gelände des ehemaligen Truppenübungsplatzes Jüterborg-West im Fläming. Das Areal ist so stark mit Munition belastet, dass an eine zivile Nutzung nicht zu denken ist. Nun soll der Bereich als riesige Wildnis- und Urwaldfläche ausgewiesen werden.

von Christoph Richter |
    Majestätisch kreist der Kranich über weite Felder und Wiesen. Der Wald hier: der wächst wild und krumm. Ein richtiges Dickicht. Und wechselt sich ab, mit schier endlos sandigen Hügeln. Eine trügerische Idylle! Denn: das hier ist der ehemalige Truppenübungsplatz Jüterbog West. Gerade mal eine Autostunde vom Berliner Kurfürstendamm entfernt, war hier das Knattern der Maschinengewehre oder Rasseln der Panzerketten über 150 Jahre lang vollkommen normal. Bis 1992! Seitdem liegen giftige Altlasten im Boden. Verrostete Granaten, Minen oder nicht explodierte Bomben. Aber, und das klingt paradox: Wegen der militärischen Nutzung hat sich hier eine einzigartige Natur entwickelt. Die soll erhalten bleiben, erzählt Petra Riemann von der Stiftung Naturlandschaften Brandenburg. Ihr Traum: Wildnis und Urwald mitten in Brandenburg:

    "Wäre schön, wenn das so schnell und einfach geht. Wir sprechen von Wildnis, Wildnisgebiet, Wildniserleben. Unser Ziel ist, dass auf dem größtmöglichen Teil von diesen Flächen wirklich Wildnis entstehen oder sich entwickeln wird."

    In der so genannten roten Zone soll das passieren. Die ist über 70 Quadratkilometer groß und der gefährlichste Bereich des in drei Zonen eingeteilten Geländes. Bis heute weiß keiner exakt, welche Stoffe dort im Boden verborgen sind. Experten gehen davon aus, dass neben diversen Kampfmittelresten aus über 150 Jahren sogar nuklear verseuchte Waffenteile im Boden vergraben wurden. An welchen Stellen das allerdings auf dem 3000 Hektar großen Geländes genau geschehen ist, darüber gibt es bis heute keine gesicherten Angaben.

    Deshalb gilt auch auf unabsehbare Zeit: Betreten strengstens verboten. Um später möglichst vielen einen Eindruck dieser "unberührten Landschaft" zu geben, wird neben Aussichtstürmen rings um die explosive Wildniszone ein Wegenetz gebaut. Petra Riemann:

    "Also dass man wirklich ein kleines Wegenetz hat, wo die Menschen sich die Flächen selber anschauen können. Und wenn so ein bisschen das Bewusstsein vorhanden ist, dass Wildnis zum einen nicht was Schlimmes ist, und dass auch solche Flächen notwendig sind für den Naturschutz, und dass sich das alles schon selber regulieren kann."

    Durch die alles zermahlenden Panzerfahrten ist eine bizarre Dünenlandschaft entstanden. So auch die größte Flugsanddüne im deutschen Binnenland. Das alles erinnert eher an die ferne Sahara, als an die heimische Mark Brandenburg. Doch jetzt, 13 Jahre nachdem der letzte Soldat Jüterbog verlassen hat, wachsen hier wieder Heidekraut, knöchelhohes Silbergras und kleine Birken. Sie erobern als erste Pflanzen die Wüsten-Landschaft wieder zurück. Stück für Stück entsteht so, ganz ohne menschliche Hilfe, eine urige Brandenburger Landschaft. Für den Forstexperten Franz Watzek ein schönes Experiment:

    "Wildnis gibt’s ja bei uns gar nicht mehr. Und hier wäre mal ein Versuch, trotz anthropogener Einflüsse, die trotzdem da sind, wie Nährstoffeintrag oder Veränderung des Klimas, zu sehen wie es sich jetzt unter diesen heutigen Gegebenheiten entwickeln würde. So wie vor tausend, zehntausend, hunderttausend Jahren. Und jetzt haben wir mal die Möglichkeit die Freientwicklung zuzulassen, dass wir eigentlich verloren haben durch die Intensivbewirtschaftung."

    Im Herbst soll der erste frei begehbare Wanderweg fertig sein. Die Umgestaltung des ehemaligen Truppenübungsplatzes für die zivile Nutzung würde Brandenburg einen mehrstelligen Millionenbetrag kosten, und 40 bis 50 Jahre in Anspruch nehmen. Geld und Zeit, die man hier nicht hat. Eine einmalige Chance für die Stiftung Naturlandschaften Brandenburg, sagt die Biologin Petra Riemann. In einer sonst in Mitteleuropa kaum existierenden Dimension wird auf dem ehemaligen Truppenübungsplatz Jüterbog West die Natur einfach sich selbst überlassen. Ohne starres Entwicklungsziel, ohne menschlichen Eingriff kann damit in der Gegend zwischen Jüterbog, Luckenwalde und Treuenbrietzen märkische Wildnis entstehen, die vielleicht in hundert Jahren wieder so aussieht wie ursprünglich:

    "Also der größte Teil wird Waldflächen sein. Kiefern, Birken, Eichen. Eben mit einem sehr großen Kiefernanteil. Das ist die Baumart die hier am meisten vorkommt. Aber es wird mosaikartig sein. Also da sind auch Feuchtgebietsflächen auch drin, aber auch Wiesenflächen oder Heideflächen. Aber im Großen und Ganzen wird’s ein Waldgebiet werden."