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Ein Urknall und viele Fragen

Astronomie. - Das Universum besteht zu 95 Prozent aus Materie, die wir nicht kennen. Mit den Begriffen Dunkle Energie und Dunkle Materie versuchen die Astronomen dieses Manko im so genannten Standardmodell, mit dem wir uns unser Universum erklären, zu überspielen. Auf der Konferenz "Offene Fragen in der Kosmologie" in Garching diskutieren 150 Kosmologen über die Probleme mit dieser Weltsicht.

Von Dirk Lorenzen |
    Das Universum ist 13,7 Milliarden Jahre alt. Es besteht nur zu fünf Prozent aus "normaler" Materie, die uns aus dem Alltag vertraut ist. Knapp ein Viertel ist anziehende Dunkle Materie und fast drei Viertel des Kosmos bestehen aus abstoßender Dunkler Energie. So besagt es die derzeit beliebteste Theorie über unser Universum. Mit diesem "Standardmodell" wähnen sich viele Forscher bereits in der Ära der Präzisionskosmologie. Doch Tom Shanks, Astrophysiker an der Universität von Durham in England, warnt:

    "Das Modell passt bestens zu einigen Daten - aber die Frage bleibt, ob es wirklich sinnvoll ist. Nach diesem Modell ist das Universum äußerst genau justiert, vor allem die Dunkle Energie. Im frühen Universum muss sie extrem schwach gewesen sein. In der Strahlung, also im Licht, steckte damals 10 hoch 102 mal mehr Energie als in der Dunklen Energie - eine 1 mit 102 Nullen. Woher kommt dieses absurde Verhältnis? Gibt es so etwas wirklich in der Natur? Für mich ist das der am schwierigsten zu akzeptierende Punkt, den das Standardmodell über das Universum aussagt."

    Heute dominiert die Dunkle Energie den Kosmos, treibt ihn immer schneller auseinander. Doch kurz nach dem Urknall muss sie nach dem Modell geradezu aberwitzig unbedeutend gewesen sein. Wäre sie nur minimal größer oder kleiner gewesen, sähe heute der Kosmos ganz anders aus. Zudem lässt sich nur spekulieren, was physikalisch hinter der Dunklen Energie steckt, woher sie ihre treibende Rolle nimmt. Dazu kommt noch die Dunkle Materie, die die Objekte im All anzieht, aber nicht zu sehen ist.

    " Ich glaube auch, dass es Dunkle Materie gibt. Aber die meisten Leute meinen, dass sie aus einem exotischen Teilchen besteht, das in einer physikalischen Theorie vorkommt. Man hofft, dass diese "Supersymmetrie" korrekt ist - aber das ist noch völlig offen. Solange dieses Teilchen nicht bei Laborversuchen nachgewiesen ist, werde ich andere Möglichkeiten vorschlagen. Vielleicht sind viel normalere Dinge für die fehlende Materie im Kosmos verantwortlich, womöglich sogar einfach Gas, aus dem Sterne und Galaxien entstehen. "

    Tom Shanks traut sich, auch unbequeme Fragen zu stellen - stellt sich dabei aber nicht einseitig gegen eine weit akzeptierte Theorie. Das Standardmodell beschreibe wunderbar die Verteilung der Galaxien im Weltall oder die kosmische Hintergrundstrahlung, also das Nachleuchten des Urknalls, das noch immer ganz schwach in den Teleskopen zu sehen ist. Die Frage ist nur, was überwiegt: Die gut zur Theorie passenden Beobachtungen oder die vielen Probleme, die dennoch bleiben. Für sein eigenes Modell hätte Tom Shanks gerne eine ganz bestimmte Beobachtung:

    " In einem auf dem Urknall basierenden Modell gibt es nichts wichtigeres als die Hubble-Konstante. Sie gibt an, wie schnell sich das Universum ausdehnt. Wir sind uns alle einig, dass das Universum expandiert - aber um das Ausdehnungstempo zu bestimmen, muss man für viele Galaxien unabhängig voneinander Entfernung und Geschwindigkeit messen. Das gehört zu den schwierigsten Dingen der Astronomie. Dennoch meinen viele Beobachter, das Problem sei längst gelöst. Aber vielleicht irren die. Ich wüsste gerne ganz genau, wie schnell sich das Universum ausdehnt - das wirklich präzise zu messen, ist extrem schwierig. "

    Vielleicht werden die Daten der nächsten Generation von noch leistungsfähigeren Teleskopen an den großen Theorien über unsere Welt rütteln. Womöglich müssen die Astronomen dann neue Ideen entwickeln - sollte sich aber das Standardmodell bestätigen, wäre die Aufgabe keineswegs einfacher: Dann müssten die Forscher endlich erklären, was hinter Dunkler Materie und Dunkler Energie steckt - also klären, woraus genau 95 Prozent des Kosmos bestehen.