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Ein verkannter Flugpionier

"Wer hoch steigt, der fällt tief" heißt es im Volksmund, und mit diesem Sprichwort ist schon das ganze Schicksal des Herrn Berblinger ausgedrückt. Der Ulmer Schneider scheiterte mit einem öffentlichen Flugversuch - und musste dafür einen hohen Preis bezahlen.

Von Robert Schurz | 31.05.2011
    "D'r Schneider von Ulm hats Fliega probiert,
    hot'n d'r Deifel en d'Donau neug'führt.”


    Fliegen zu wollen, eine Anmaßung war es schon, mit der ein gewisser Albrecht Ludwig Berblinger provozierte. Und doch folgte dieser Schneider aus Ulm einem uralten Menschheitstraum. Von Sagengestalten wie Ikarus oder Wieland dem Schmied bis hin zu Leonardo da Vinci mit seinen Entwürfen: Sie alle hatten den gleichen Traum. Der Schneider aber beließ es nicht beim Träumen. Im Hörspiel von Barbara Honigmann klingt an, was er plante.

    "Wie ein Engel möchte ich sein. Ich brauche Flügel, - ich muss mir welche bauen. Jetzt nähe ich kein Kleid mehr. Und dann flieg ich los.”"

    Albrecht Ludwig Berblinger kam am 24. Juni 1770 in Ulm als jüngster Spross einer armen und kinderreichen Familie zur Welt. Sein Vater starb, als er 13 Jahre alt war. Er kam ins Waisenhaus, wo man ihn nötigte, eine Schneiderlehre zu beginnen, obwohl ihm sein Sinn eher nach einer Uhrmacherlehre stand. Strebsam, gewissenhaft und begabt erwarb er schon bald den Meistertitel und seine Geschäfte gingen gut. Nebenher frönte er seiner Neigung zur Tüftelei. So erfand er für einen Kriegsversehrten eine funktionierende Beinprothese mit Gelenk, ein veritables Werk für diese Zeit. Dann aber erfasste ihn, angeregt durch Berichte über die Flugversuche des Wiener Uhrmachers Jakob Degen, eine andere Obsession. Im Frühjahr 1811 konnte man in einer Ulmer Zeitung folgendes Inserat lesen.

    "Ulm, 24. April. Nach einer unsäglichen Mühe in der Zeit mehrere Monate, mit Aufopferung einer sehr beträchtlichen Geldsumme und mit Anwendung eines rastlosen Studiums der Mechanik, hat der Unterzeichnende es dahin gebracht, eine Flugmaschine zu erfinden, mit der er in einigen Tagen hier in Ulm seinen ersten Versuch machen wird, an dessen Gelingen er, bestärkt durch die Stimme mehrerer Kunstverständiger, nicht im Geringsten zweifeln zu dürfen glaubt. Berblinger.”

    Da der württembergische König Friedrich 1811 einen Besuch in Ulm plante, wurde der spektakuläre Flug über die Donau auf den 30. Mai verlegt. Die Bürger von Ulm hatten den Schneider schon bei erfolgreichen Versuchen beobachten können und waren deshalb zuversichtlich, den König nicht zu enttäuschen. Doch Berblinger schien geahnt zu haben, dass die Winde nicht gut für ihn wehten; er brach den Versuch ab und behauptete, an seinem Flügel wäre eine Strebe gebrochen.

    ""Denk ihr, dass ich das für euch mache? Jetzt gehe ich wieder nach Hause. – Du sollst fliegen – Wir wollen dich fliegen sehen – Bleibt doch oben – Spring! – Fliege! – Na, dann passt auf. Jetzt könnt ihr einen fliegen sehen!"

    Der König zeigte sich gnädig, schenkte dem Schneider 20 Louisdor und reiste ab. Sein Bruder aber blieb und die Stadt, die sich keine Blöße geben wollte, drängte Berblinger, am nächsten Tag den abgebrochenen Versuch zu wiederholen. Am 31. Mai strömten Tausende an die Donau, um dem Ereignis beizuwohnen. Als der Schneider, der von einem eigens erbauten Holzgerüst starten wollte, abermals zögerte, wurde er, so eine wahrscheinliche Version, von einem Polizeidiener vom Gerüst gestoßen ... und stürzte ab, denn über der kalten Donau gab es kaum Aufwinde. Zwar erreichte Berblinger unverletzt das Ufer, aber er musste vor dem Zorn seiner Mitbürger, die sich vor dem Königshaus blamiert wähnten, fliehen.

    Berblinger stürzte in der Tat nicht nur in die Donau, er stürzte auch insgesamt in seinem Leben ab. In seiner Heimatstadt wurde er zur Persona non grata. Die Familie verarmte; seine Frau verstarb. Zwar hoffte der fliegende Schneider noch einmal auf einen Neubeginn, heiratete eine Schweizerin und versuchte, beruflich wieder Fuß zu fassen, aber es blieb beim Versuch. Schließlich wurde er obdachlos und starb am 28. Januar 1825 an Abzehrung wie es hieß. Wo er beerdigt wurde, ist in den Annalen der Geschichte verloren gegangen.

    In einer groß angelegten Rekonstruktion wurde 1986 bewiesen, dass Berblingers Gerät, das ein wenig einem heutigen Gleitschirm glich, tatsächlich flugtauglich war. Und so reiht sich der Schneider von Ulm nun doch ein in die Reihe großer Flugpioniere.