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Ein Violinkonzert in g-moll

Max Bruch war ein Wunderkind: Schon mit zehn begann der vor 170 Jahren geborene Kölner zu komponieren, mit 14 nahm er ein Kompositionsstudium in Frankfurt auf. Bruch hatte Unglück im Glück: Schon sein erstes Violinkonzert wurde so berühmt, dass es sein Gesamtwerk überschatten sollte.

Von Dietmar Polaczek | 06.01.2008
    Wer unter den Musikliebhabern kennt nicht diesen Ohrwurm?

    " Ich kann dieses Concert nicht mehr hören, habe ich vielleicht bloß dies Konzert geschrieben?"

    erboste sich der Komponist, dem 1866 dieser geniale Wurf gelang, als er erst 28 Jahre alt war, damals Musikdirektor in Koblenz. Kein Geiger, mag er das 19. Jahrhundert lieben oder nicht, kommt am ersten Violinkonzert von Max Bruch vorbei. Geigerischer kann ein Werk kaum sein. Es steht in g-moll, der Tonart mit dem Grundton auf der tiefsten Saite der Violine. Bruch holte sich, wie sein Vorbild Felix Mendelssohn-Bartholdy, bei einem Spezialisten Rat: bei Joseph Joachim, dem bedeutendsten Geiger seiner Zeit. Ihm ist das Konzert gewidmet, er führte es 1868 in Bremen auf. Am berühmtesten ist der langsame Satz.

    Max Bruch, am 6. Januar 1838 in Köln geboren, wuchs in einem bürgerlichen Umfeld voll Musik auf. Die Mutter war Sängerin und gab ihm den ersten Unterricht. Er war ein Wunderkind, komponierte schon mit zehn, und mit vierzehn errang er mit einem Streichquartett ein Stipendium der Mozart-Stiftung in Frankfurt. Dort studierte er Komposition bei Ferdinand Hiller. Er war kein Revolutionär. Sein Pech, dass er mit seiner großen Begabung stets im Schatten des wenig älteren Brahms stand, ein Konservativer wie dieser, in heftiger Feindschaft zur Neudeutschen Schule von Liszt und Wagner.

    In der Tat beruhen viele seiner Werke auf Melodien der Volksmusik, so die Schottische Fantasie für Violine und Orchester, oder die Suiten nach russischen und schwedischen Volksliedern. Er war Mitherausgeber einer monumentalen Liedersammlung, die 1906 zu erscheinen begann und als "Kaiserliederbuch" bekannt wurde. Aber auch in der Volksmusik verfolgte ihn, wegen eines einzigen Werkes, posthum das Unglück.

    Dieses eingängige Werk für Cello und Orchester heißt "Kol Nidrei". Max Bruch hat eine jüdische, sephardische Melodie aus dem Mittelalter verwendet. Kol Nidrei ist der Titel des jüdischen Reuegebets für Yom Kippur, das Versöhnungsfest.

    Der eine Titel genügte, um Max Bruch, dreizehn Jahre nach seinem Tod, bei den nationalsozialistischen Barbaren den Ruf einzutragen, er sei Jude gewesen. Damit verschwand im Dritten Reich seine Musik aus den Programmen. Doch schon zu Lebzeiten fiel er immer stärker aus seiner Zeit, trotz einer glänzenden akademischen Laufbahn, die er als Lehrer einer Meisterklasse an der Preußischen Akademie der Künste beendete, mit erfolgreichen Schülern wie Oscar Straus oder Ralph Vaughan Williams. Halbvergessen starb er in Berlin am 2. Oktober 1920 im Alter von 82 Jahren. Länger als ein halbes Jahrhundert, das die Werke Richard Wagners heraufkommen sah, die Skandale um Strawinsky, die Wiener Schule, hatte er den Erfolg seines Violinkonzerts aushalten müssen, und den lauen Erfolg seines übrigen Oeuvres. Er profitierte nicht einmal davon, denn er hatte die Rechte für eine Pauschalsumme verkauft. Die musikalische Entwicklung der Zeit ging an ihm vorbei, er interessierte sich nicht mehr dafür. Bruch war im Abseits, ein Anachronismus. Aber das Violinkonzert in g-moll ist frisch wie am ersten Tag.