Archiv


Ein Vorläufer der illustrierten Massenpresse

Die Karikaturen von Honoré Daumiers spiegeln die französische Gesellschaft des 19. Jahrhunderts wider. Ob Politiker oder Bauern - sie werden mit viel Spitzfindigkeit in seiner Bildsatire festgehalten. Unter den 240 ausgestellten Werken in der Pinakothek der Moderne befinden sich auch einige vollständige Serien Daumiers.

Von Christian Gampert |
    Würde Honoré Daumier heute noch leben und lithografieren, das Publikum würde sicherlich mit einer äußerst unvorteilhaft wirkenden Angela Merkel und mit einem nicht wirklich attraktiven Guido Westerwelle bekannt gemacht. Wer die Münchner Ausstellung abschreitet, der wird gleich zu Beginn mit den "Parlamentarischen Idyllen" konfrontiert, mit den Physiognomien der Nationalversammlung, und man kann nicht sagen, dass Daumier hier besonders viel Zartgefühl walten lässt. Im Gegenteil, es sind groteske Wesen, die da ans Pult treten - oder die als Décadents, als Dekadenzler in einer bukolischen Landschaft à la Fragonard vor sich hindämmern.

    Dieser polemische, agitatorische Zugriff bezeichnet jedoch auch die größte Schwäche von Daumiers Karikaturen: eine reaktionäre oder auch traumtänzerische Politik auf schlechten Charakter, Raffgier, Geiz, Blindheit und Egoismus zu reduzieren, welchselbige sich dann auch körperlich in dicken Nasen, Bäuchen und spillerigen Beinchen niederschlagen, das unterschätzt die Komplexität politischer Probleme ganz beträchtlich.

    Es ist deshalb ein milder Hohn, dass die Sammlung von über 3000 Daumierlithografien, die der "Museumsstiftung zur Förderung der staatlichen bayerischen Museen" kürzlich übereignet wurden, von einem Banker und Fondsmanager stammt. Walter Kames hat offenbar schon als Praktikant an der Düsseldorfer Börse Gefallen an Daumiers Druckgrafik gefunden, die er in der Mittagspause im Antiquariat erspähte. Besonders mochte er die Arbeiten, die sich über die Finanzwelt lustig machten - ein Banker, der über sich selber lacht. Heute ist Kames weit über 70, und die Pinakothek der Moderne stellt nun 240 Daumiers aus seiner Sammlung quasi als Appetitanreger aus - sagt der Kurator Andreas Strobl.

    "Die Qualität der Sammlung Kames liegt in einer im Privatbesitz wohl niemals mehr erreichten Vollständigkeit. Also er hat nicht die Druckgrafik von Daumier völlig komplett, aber in einer sehr hohen Vollständigkeit - es fehlen ein paar Hundert Blatt. Und das ist im deutschen Museumsbesitz meines Wissens ziemlich einmalig."

    In der Münchner Ausstellung sind vor allem Serien von Karikaturen zu sehen, deren Einzelblätter aufeinander Bezug nehmen. Man erfährt dort nicht nur Menschlich-Allzu-menschliches, das bei Daumier bisweilen etwas stereotyp an eingebildeten Bürgern und Kleinbürgern durchexerziert wird, sondern eben vieles über die Sozialgeschichte von Zweiter Republik und Zweitem Kaiserreich. Aberglaube und Wahrsagerei, Mieter und Vermieter, korrupte Anwälte, politische Heuchler und fiese Börsenmakler, Katastrophen und Sensationen, die Vergnügungen des Pariser Bürgertums - Daumier ist die Begleitmusik zum französischen Roman des 19.Jahrhunderts, und er ist ein Vorläufer der illustrierten Massenpresse.

    Der Bürgerkönig Louis Philippe wird von Daumier als nimmersatter Fresser, als Rabelais'scher Gargantua verhöhnt. Säufer und eitle Künstler, Müßiggänger, Spießbürger und Arme bevölkern die Szenen, die alle aus der Perspektive eines fortschrittlich denkenden Linksliberalen gezeichnet sind. Allein in der Frauenfrage war Daumier anderer Ansicht: Die Emanzipationsbewegung wird von ihm gnadenlos niedergemacht - disputierende Hausfrauen, die ihre Kinder vernachlässigen, das ging gar nicht.

    Rein handwerklich aber gehören diese Blätter zum Besten, was druckgrafisch im 19.Jahrhundert geleistet wurde: Die Hell-dunkel-Kontraste, die virtuose Linienführung, die Reduktion auf das Wesentliche sind absolut modern. Und doch: Es war Gebrauchsgrafik, es waren Zeitungskarikaturen. Die Auflage der immer wieder mit Prozessen überzogenen Zeitschrift "Le Charivari" betrug zwischen 700 und 2000 Exemplaren - und man muss als Sammler nun jene Exemplare finden, in die auf dem Markt noch kein Fisch eingewickelt wurde. Dem großzügigen Walter Kames ist das gelungen.