Archiv


Ein weitgehend ungehobener Schatz

In manchen Regionen steckt die Erde voller Energie - und diese Energie kann auch zur Stromerzeugung genutzt werden. Ungarn gehört zu den in dieser Hinsicht besonders bevorzugten Gebieten. Das Land scheint sich der Bedeutung dieses Schatzes allerdings noch gar nicht richtig bewusst zu sein.

Von Cecilia Szabó |
    Wer traditionelle Badehäuser schätzt, wer sich gerne im warmen Thermalwasser entspannt, der fährt irgendwann auch nach Osteuropa. Das heiße Thermalwasser kann aber nicht nur entspannen oder heilen. Es kann auch zur Gewinnung von Energie genutzt werden. Die geothermische Energie gehört zu den erneuerbaren Energiequellen. Dank seiner geographischen Lage hat Osteuropa ein reiches Vorkommen an geothermischen Quellen, sagt Burkhard Sanner, Präsident von EGEC - der Industrievertretung der geothermischen Energie in Brüssel:

    "Geothermische Energie ist ein spezieller Fall, wenn es um Osteuropa geht, denn hier gibt es schon sehr lange und in manchen Ländern sehr weit verbreitet eine Anwendung. Das Potential ist sehr groß, vor allen Dingen im und um das pannonische Becken - das bedeutet: Ungarn, Teile Rumäniens, Slowakei, Slowenien, Nordserbien und Kroatien. Noch aus Zeiten des letzten Jahrhunderts gibt es dort relativ viele Anlagen in Fernwärme aber auch in Gewächshausheizungen. "

    Ungarn hat das reichste Vorkommen an Thermalwasser in dieser osteuropäischen Region. "Wer hier bohrt, findet zwar kein Öl, aber heißes Wasser", so Judit Szönyi, Hydrogeologin und Dozentin an der Universität ELTE in Budapest:

    "Es ist praktisch egal, wo wir in Ungarn bohren, wir können fast sicher sein, dass wir Thermalwasser finden. Es gibt hier Quellen, die 100 Grad heiß sind. Noch höhere Wassertemperaturen haben wir bisher in drei Quellen gefunden. Bohrungen in 2,5 bis 3 Kilometer Tiefe haben aber teilweise Wasser mit einer Temperatur von 150-200 Grad Celsius zu Tage gefördert. "

    Seit vielen Jahrzehnten nutzen überwiegend landwirtschaftliche Betriebe erfolgreich das heiße Wasser: zum Trocknen von Obst und Gemüse, zum Beheizen von Gewächshäusern, zum Schneeschmelzen oder in der Fischzucht. In Rumänien und Ungarn werden auch private Wohnungen, Hotels und öffentliche Gebäude mit dem Thermalwasser beheizt. Auf diesen Erfolgen kann sich Ungarn aber nicht ausruhen. Das Land nutze seine Möglichkeiten noch lange nicht genügend aus, klagen ungarische Experten. Und: Die Europäische Kommission hat jeden Mitgliedstaat beauftragt, seinen Anteil an erneuerbaren Energien bis 2020 deutlich anzuheben. Ungarn will seinen Anteil auf 13 Prozent steigern - derzeit sind es 4,7 Prozent. Die Regierung in Budapest will vor allem auf Sonnenenergie setzen, das Thermalwasser soll bestenfalls die zweite Geige spielen. Trotzdem arbeiten private Investoren aus Ungarn und aus dem Ausland an neuen ehrgeizigen Projekten. So wollte das ungarische Ölunternehmen MOL dieses Jahr in dem ungarischen Dorf Iklódbördöce mit dem Bau des ersten geothermischen Kraftwerks in Osteuropa beginnen. Doch seit einigen Wochen steht die Entscheidung fest: das Projekt ist gescheitert. Attila Kujbus, Leiter der geothermischen Projekte bei MOL:

    "In Iklódbördöce haben wir zwei Quellen getestet. Wassermenge und Wassertemperatur hätten hier für die Erzeugung von etwa 1 Megawatt Strom ausgereicht. Bei den derzeitigen Subventionen der Energiepreise wäre aber eine Leistung von 2 Megawatt erforderlich, um die Anlage wirklich wirtschaftlich betreiben zu können. Deshalb haben wir von dem Bau dieses geothermischen Kraftwerks Abstand genommen."

    Die ungarische Regierung setzt bisher auf die Energieversorgung aus dem Ausland. Russland ist der Hauptlieferant für Gas, die Preise sind auch heute subventioniert. Für die Energiepreise aus erneuerbaren Energiequellen gibt es kaum Subventionen. Deshalb sind sie für Investoren und Endabnehmer zu teuer. Das hat Folgen: Es wird kaum in die Erforschung der Geothermie investiert. Die ungarische Regierung hat keine konkrete Strategie, wie das Land künftig mit seinem geothermischen Potential wirtschaften will. Auch die rechtlichen Rahmenbedingungen stiften immer wieder Verwirrung. Investoren brauchen aber dringend Klarheit, so Attila Kujbus:

    "Nach meiner Einschätzung gibt es gegenwärtig in Ungarn nicht eine Person, die unsere geothermische Branche wirklich überblickt. Es gibt kein Ministerium, das für diese Branche verantwortlich wäre. Wir pendeln zwischen den Umwelt-, Wirtschafts-, und Finanzministerien, die Investoren erhalten in jedem Ministerium und bei jeder Behörde eine andere Information. Und bei jedem Geschäftspartner hören sie wieder etwas anderes. Es muss gewährleistet werden, dass die Interessenten und Investoren umfassend und angemessen informiert werden können. "

    Auch wenn das geothermische Kraftwerk bei Iklódbördöce vorerst nicht gebaut wird: das ungarische Energieunternehmen MOL bleibt am Ball. Die steigenden Öl- und Gaspreise - so hofft das Unternehmen - werden in der Zukunft die entscheidende energetische Wende bringen.