Donnerstag, 02. Mai 2024

Archiv


"Ein wenig mehr Distanz und Kritik ist angebracht"

Das Urteil im Fall Claudia Pechstein war diese Woche Teil des politischen Diskurses. Dabei stand weiter die Frage im Raum: Hat das Bundesinnenministerium einen Teil der Verteidigung von Claudia Pechstein finanziert?

Von Jessica Sturmberg | 05.12.2009
    Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium Christoph Bergner bestätigte, dass das Gutachten des Berliner Charité-Professors Christof Dame, das Eisschnellläuferin Claudia Pechstein bei der Verhandlung vor dem Internationalen Sportgerichtshof CAS zu ihrer Entlastung eingebracht hatte, von der Bundespolizei bezahlt wurde.

    "Der Hauptzweck war es abzuklären, dass Claudia Pechstein nicht einer gesundheitlichen Bedrohung ausgesetzt ist, was aufgrund der Blutwerte vermutet werden musste oder befürchtet werden musste","


    Konkret habe man "eine molekularbiologische Untersuchung zum Ausschluss einer Erkrankung" durchführen lassen. Außer den veröffentlichten Blutwerten habe es keinen weiteren Anlass gegeben, um über den Gesundheitszustand von Claudia Pechstein besorgt zu sein.

    Die Untersuchung habe 6500 Euro gekostet. Dame habe sich zwar abgesichert, dass er die Werte für andere Zwecke verwenden dürfe, dem Ministerium sei jedoch nicht bekannt gewesen, dass der Charité-Professor die Werte im Zusammenhang mit der CAS-Verhandlung einsetzen würde:

    ""Die Untersuchung wurde von uns nicht in Auftrag gegeben, um gutachterlich aufzutreten. Dies ist gewissermaßen nachträglich unter Verwendung der Untersuchungsergebnisse, die aus medizinischen Gründen erhoben wurden, geschehen."

    Dame hatte dagegen behauptet, die Bundespolizei habe auch das Gutachten in Auftrag gegeben. Diese Woche hatte sich auch der Sportausschuss mit dem Fall Pechstein beschäftigt. Wer dabei eine Debatte über die politischen Schlussfolgerungen des Urteils im Fall Claudia Pechstein erwartet hatte, wurde enttäuscht. Nicht die Frage, ob parlamentarische Initiativen nun sinnvoll wären, stand bei der Diskussion im Vordergrund, sondern vielmehr die emotionale Aufarbeitung des Richterspruchs. Der stellvertretende Ausschussvorsitzende Joachim Günther von der FDP kam zu der Einschätzung:

    "Bei diesem Fall ist aus meiner Sicht, ich drücke es vorsichtig aus, ein fader Beigeschmack vorhanden. Dieses Urteil, was hier vorliegt, kann man wissenschaftlich durch verschiedene Interpretationen unterschiedlich sehen."

    Nicht nur wissenschaftlich wurde das Urteil unterschiedlich ausgelegt, auch die juristische Einordnung fiel kontrovers aus. Um Dopingvergehen rasch sanktionieren zu können und langjährige Verfahren zu vermeiden, muss der Athlet im Sportrecht anders als im Strafrecht beweisen, dass er nicht gedopt hat. Es gilt das sogenannte Prinzip "Strict liability" - der Athlet ist dafür verantwortlich, dass sein Körper sauber ist. Vor diesem Hintergrund sagte Winfried Hermann von Bündnis 90/Die Grünen:

    "Ich wundere mich nur sehr über die öffentliche geführte Argumentation von Frau Pechstein, die das darstellt, als wäre das sozusagen die neue Form der Entrechtung von Athleten, die so tut, als gäbe es das Prinzip des 'Strict liabilty' überhaupt nicht, als kennte sie das gar nicht. Da frage ich mich schon, was ist da für eine Aufklärungsarbeit im Verband gelaufen, dass eine Athletin öffentlich bei so einem Verfahren auftreten kann, das ist ja alles unrechtens, die haben da irgendwelche komischen Belege und keine Beweise und ich muss Beweislastumkehr beweisen, dass sie unschuldig bin."

    Die Internationale Eisschnelllauf-Union hatte nach Ansicht der CAS-Richter den Beweis durch die auffälligen Blutwerte erbracht, dass Pechstein mit unsauberen Methoden gearbeitet hat. Das sah Stephan Mayer von der CSU wiederum anders:

    "Es trifft eben nicht zu, lieber Kollege Hermann, dass bewiesen wurde, dass Claudia Pechstein gedopt hat. Es gibt Indizien, die dafür sprechen. Es gibt aber genauso auch Indizien, die dagegen sprechen."

    Zweifel an dem Urteil des Internationalen Sportgerichtshofs CAS hegte auch Jens Petermann von den Linken:
    "Hier entsteht schon der Eindruck, dass ein Exempel auf dem Rücken einer Athletin statuiert worden ist. Es ist einerseits ein Blutprofil genutzt worden, das aber andererseits nicht auf einer validen Datenbasis beruht. Das heißt, das ist an sich eigentlich schon gar nicht verwertbar normalerweise. Im Übrigen ist es so, dass Expertisen, die eingereicht worden sind, zurückgewiesen wurden. Es ist völlig unklar, warum das geschehen ist. Das waren also auch Expertisen, die eine Entlastung zur Folge gehabt hätten."

    Frank Steffel von der CDU schloss sich dieser Einschätzung an.

    "Ich will noch mal die Frage stellen, ob es zutrifft, wie für zumindest der veröffentlichte Eindruck ist, dass eine Mehrheit möglicherweise sogar eine überwältigende Mehrheit von Wissenschaftlern der Auffassung ist, dass man nur mit einem Blutwert diesen Vorwurf, der hier jetzt juristisch festgestellt wurde, eigentlich nicht seriös nachweisen kann."

    Weithin bekannt ist bisher nur eine solche Einschätzung. Der frühere Berliner Oberbürgermeister-Kandidat ergänzte seine Ausführungen durch persönliche Bekundungen:

    "Ich meine, dass Claudia Pechstein um ihre Lebensleistung gebracht wird, ist glaube ich unstreitig, dass das Ehre und Reputation unwiederbringlich - egal was jetzt noch passiert - für den Rest ihres Lebens beschädigt, ist glaube ich auch nachvollziehbar. Und es ist insofern natürlich auch eine sportlich persönlich menschliche Tragödie, die alle, die Claudia Pechstein und ich komme aus Berlin wie sie wissen und habe sie insofern öfter gesehen als vielleicht der eine oder andere und maße mir trotzdem kein Urteil an, aber ich halte in Kenntnis des Charakters der Persönlichkeitsstruktur von Claudia Pechstein unverändert das alles für eine wirklich tragische Entwicklung."

    Die Fürsprecher der erfolgreichsten deutschen Winterolympionikin im Ausschuss schlossen sich zudem der Argumentation der Pechstein-Seite an, dass das Urteil anders hätte ausfallen müssen, wenn die vor drei Tagen verabschiedeten neuen WADA-Richtlinien schon vorher gegolten hätten. Dazu erläuterte der als fachjuristische Experte geladene Sportjurist Dirk-Rainer Martens, ebenfalls Richter am Sportgerichtshof:

    "Meine Auffassung ist, dass das Urteil nicht anders ausgefallen wäre, wenn die Guidelines schon in Kraft getreten wären. Die Guidelines sagen ausdrücklich, dass sie nicht zwingend sind, das sagen sie ausdrücklich. Es bleibt bei der Grundsatzentscheidung, nämlich, das sagt der WADA-Code ganz eindeutig, der Dopingverstoß kann durch jedes zuverlässige Mittel nachgewiesen werden. Jedes Mittel. Der CAS hat gesagt, so jedenfalls lese ich das Urteil, ich finde einen Blutparameter, der, darüber waren sich - glaub ich - alle einig, alle, alle, alle, abnormal ist. Der kann nur auf Doping zurückzuführen sein, es sei denn die Athletin hat irgendwelchen körperlichen Abnormalitäten, muss nicht unbedingt eine Krankheit sein. Damit musste das Urteil so ausfallen, wie es ausgefallen ist."

    So gefühlsbetont, wie die Debatte gelaufen war, mahnte die Ausschuss-Vorsitzende. Dagmar Freitag schließlich an, dass die Akzeptanz dieses Richterspruchs bedeute:

    "Dann müssen wir zumindest davon ausgehen, dass nicht sämtliche Leistungen sauber erzielt worden sind, von daher denke ich schon, dass ein wenig mehr Distanz und ein wenig mehr Kritik durchaus auch angebracht wären."