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Ein wenig Terror, ein wenig Antisemitismus

In seinem jüngsten Buch "Die Bombe im jüdischen Gemeindehaus" rekonstruiert Kraushaar, der als Chronist der Studentenbewegung gilt, diesen gescheiterten Anschlag und macht ihn zum Ausgangspunkt für Reflexionen über linken Antisemitismus. Dabei entsteht eine Art Wolpertinger aus ein wenig Terror, ein wenig Antisemitismus, ein wenig totalitär links, ein wenig totalitär faschistisch.

Von Karin Beindorff |
    Die deutsche Protestbewegung der 60er wies im internationalen Vergleich vor allem zwei Besonderheiten auf: Sie entwickelte sich in einem Land ohne kommunistische Partei; und sie entwickelte sich in einer Gesellschaft, die sich, so sehr sie sich auch davon abzugrenzen bemühte, das kulturelle und sozialpsychologische Erbe des Nationalsozialismus mitschleppte. Die KPD, an der verfassungsgebenden Versammlung noch beteiligt, wurde 1956 verboten, die traditionelle Linke auch aus der Gewerkschaftsbewegung ausgeschlossen. Dass die Neue Linke zunächst antistalinistisch und antidogmatisch war, hatte auch mit den Erfahrungen mit dem DDR-Sozialismus zu tun.

    So entstand eine Gesinnung, die, ohne den staatsreligiösen Antikommunismus der Bundesrepublik zu teilen, jede Art von Totalitarismus ablehnte und sich deshalb als antiautoritär begriff. Dass dennoch auch in den Altersgruppen dieser antiautoritären Neuen Linken Einstellungen etwa des Rassismus, der Frauenfeindlichkeit und eben auch des Antisemitismus fortlebten, ist ebenso wahr wie wenig verwunderlich.

    Die moralische Konstruktion, die Wolfgang Kraushaars neuestem Buch zugrunde liegt, zeigt sich daher von vornherein als ideologisch: Die Voraussetzung seiner Empörung über die Bombe im Jüdischen Gemeindehaus ist der Popanz einer historischen Unschuld, den der Autor aufbaut, um ihn anschließend selbst umzupusten. Denn die moralische Substanz des gesellschaftlichen Feldes, das etwas vereinfacht als Protestbewegung bezeichnet wird, besteht ja keineswegs in ihrer Unschuld; sie besteht in der permanenten Reflexion der historischen Schuld, die sie in ihrer eigenen Praxis vorfand: Erbschaft dieser Zeit.

    Der Anschlag zur Gedenkfeier für die Reichspogromnacht, den Kraushaar als Ausgangspunkt seines Buches gewählt hat, zeigt das bis ins Einzelne. Doch der Autor versucht nicht herauszufinden, warum dieser Selbstreflexionsprozess über die deutsche Schuld bei Kunzelmann und seinen wenigen Adepten offenbar so völlig misslungen war, sondern er konstruiert eine vage angedeutete Verbindung zwischen Antisemitismus, neulinker Politik und Gegenkultur, die insinuiert, ohne genau zu begründen, eines führe da irgendwie zum anderen.

    Kraushaars Methode ist primitiven Formen positivistischer Gesellschaftsforschung entlehnt. Er isoliert die verschiedenen, zeitlich, sachlich und logisch zusammengehörigen Faktoren des Ereignisses, um sie dann im Sinne seiner vorgefassten Interpretation neu zusammenzusetzen. Dabei entsteht eine Art Wolpertinger aus ein wenig Terror, ein wenig Antisemitismus, ein wenig totalitär links, ein wenig totalitär faschistisch.

    Welches Ereignis bildet nun den Focus von Kraushaars Thesen? Am 10. November 1969 fand eine Putzfrau des jüdischen Gemeindehauses in Berlin einen Sprengsatz. Er war am 9. November, dem Tag der Gedenkfeier zur Reichspogromnacht, gelegt worden. Explodiert war er nicht. Polizei und Presse - in Berlin hieß das: die Blätter des Hauses Axel Springer - verdächtigten sofort Dieter Kunzelmann und Ina Siepmann.

    Kunzelmann gehörte zu den Gründern der Kommune I und zu dieser Zeit zu den so genannten Tupamaros Westberlin, einer handvoll selbsternannter Stadtguerilleros. Ina Siepmann war damals seine Freundin. Sie schloss sich später terroristischen Gruppen an und verschwand spurlos im Libanon. Kunzelmann dagegen, schon zu diesem Zeitpunkt mindestens zur Hälfte ein Medienkonstrukt, das es später sogar zum Abgeordneten der Alternativen Liste brachte, geisterte noch Jahre als selbstinszeniertes Spektakel durch Zeitungen, Fernsehen und Subkultur.

    Kunzelmann war bereit, der selbstkreierten Kunstfigur des Provokateurs jedes Opfer zu bringen. Im wohlverstandenen Sinn des Wortes war er ein Idiot. Der Bombenleger allerdings war Albert Fichter, der sich anschließend ins Ausland absetzte. Er äußert sich in Kraushaars Buch zum ersten Mal zu seiner Tat.

    "Das kann ich mir im Nachhinein nur durch diese Psychostress-Situation erklären. Von Kunzelmann bin ich dauernd bearbeitet worden, ich sei ja ein Kleinbürger und hätte nichts als Angst. Und dann kamen die Drogen dazu und natürlich meine rebellische Einstellung gegenüber dem Zionismus, die ich damals hatte. Mir ist dann klar geworden, dass das eine antisemitische Sache war und keine antizionistische - das ist für mich ein großer Unterschied."

    Fichter war allerdings eine Figur ohne jeden Einfluss in der Berliner Linken - im Gegensatz zum Lieferanten und Konstrukteur des Sprengsatzes. Peter Urbach agierte auf Rechnung des Verfassungsschutzes, ein agent provocateur, der u.a. auch an dem Mord am Studenten Ulrich Schmücker durch Mitglieder der Bewegung 2. Juni begünstigend beteiligt war und bemerkenswerter Weise nie zur Rechenschaft gezogen wurde.

    Das Thema des Spitzels, des Verrats, der Fallenstellerei, des Provokateurs und des Idioten, der sich ihm ausliefert, wird von Kraushaar leider nur am Rande gestreift. Auch die Beschreibung der Bühne, auf der sich das Drama zutrug, ist seltsam selektiv: Berlin, die Frontstadt des Kalten Krieges unter dem Einfluss der Springer-Presse und einer Sozialdemokratie, deren Angst wieder einmal als vaterlandslose Gesellin zu gelten, sie zu antidemokratischem Gehabe greifen ließ, eine Bevölkerung, deren Hass auf die linken Studenten durch den realen Sozialismus nebenan noch gesteigert und von Presse und Politik hemmungslos angestachelt wurde.

    Doch Kraushaar verteilt die Gewichte anders. Für ihn ist Dieter Kunzelmann die Symbolfigur der so genannten Haschrebellen, eine Art Chefinspirator der antiautoritären Bewegung. Diese Stellung muss Kraushaar seinem negativen Helden einräumen, um dessen politisch verkleideten Antisemitismus als ein verleugnetes Wesenselement linken Bewusstseins dieser Zeit generell erscheinen zu lassen.

    Dieter Kunzelmanns Politisierungsgeschichte nahm in der Münchner Künstlergruppe SPUR erste Formen an. Er stilisierte sich als Angehöriger einer Avantgarde, die in der Kunst als Aktion zugleich das Neue und den Neuen Menschen anschaulich machen wollte. Die Ambivalenz solchen Denkens hatten schon vorher die italienischen Futuristen erkennen lassen, die bekanntlich mit Mussolini paktierten.

    Jürgen Habermas hatte nach der Ermordung Benno Ohnesorgs am 2. Juni 67 die Befürchtung geäußert, in der Protestbewegung könnten sich womöglich linksfaschistische Tendenzen zeigen. Diese Befürchtung war, in den geistesgeschichtlichen Grenzen, die Habermas zog, nicht unbegründet. Man kann in den damaligen Überlegungen des Frankfurter Philosophen nun auch eine Vorlage für das Kraushaarsche Denken sehen. Allerdings fehlt ihm die selbstkritische Einschränkung, die Habermas machte. Kraushaar unterstellt reale Zusammenhänge, wo Habermas theoretische und literarische Parallelen zieht. Bei Kraushaar öffnet sich zwischen seinen Thesen und den Sachverhalten eine Deckungslücke. Denn was immer sich im Bewusstsein Kunzelmanns und seiner wechselnden Gesellen zugetragen haben mag - es stieß in der Neuen Linken sofort auf Kritik, auf öffentliche Selbstreflexion der deutschen Erbschaft.

    Der Sprengsatz in der jüdischen Gemeinde wurde von Kunzelmann als antizionistischer Protest gerechtfertigt. Deutsche Juden, Überlebende der industriellen Massenvernichtung, wurden so zum Symbol, das für den Zionismus, die israelische Kolonialpolitik gegen die Palästinenser stand. Die Bombe, wäre sie scharf gewesen, hätte aber nicht Symbole, sondern überlebende Lebendige getroffen. Wenn die Politik der israelischen Regierung als Wesenselement des Judentums behauptet wird, um so die Judenheit als Feind kenntlich zu machen, gegen den Gewalt gerechtfertigt sei, ist das fraglos antisemitisch. Die Verurteilung durch den Republikanischen Club, einem geistigen Zentrum der Berliner Linken, erfolgte prompt:

    "Für uns hört jede - auch zähneknirschende - Solidarität mit Leuten an dem Punkt auf, wo die Grenzen zwischen der ultralinken Philosophie des Stärkeren und dem Faschismus fließend werden. Wer unter dem Vorwand, faschistische Tendenzen in Israel zu bekämpfen, antifaschistische Mahnmale beschmiert oder die Kranzniederlegung für die Opfer der Kristallnacht (egal, was man von solchen Zeremonien hält) zu einem Bombenanschlag benutzt, ist entweder geistesgestört oder selber ein Faschist. Also waren es keine Linken. Wir haben im Gegensatz zu manchen ‚Genossen’ klare Vorstellungen davon, was links und was rechts ist. Wenn es ultralinks manchmal nur eines kleinen Anstoßes bedarf, um die Leute nach rechts kippen zu lassen, so ist das nicht unser Problem."

    Es ist typisch für Kraushaars Verfahren, dass er auch hier wieder trennt, was doch eigentlich zusammengehört: die falsche Praxis und die Reflexion. Er liest diese Aufkündigung der Solidarität nur als Versuch, sich des Problems des Antisemitismus in den eigenen Reihen durch Leugnung zu entledigen. Über das Thema Antizionismus, Israelkritik und Antisemitismus kommt gegenwärtig endlich eine Debatte in Gang. Kraushaars Bombe im Jüdischen Gemeindehaus zielt leider an der Substanz dieser aktuellen und kontrovers geführten Diskussion weit vorbei.

    Wolfgang Kraushaar: Die Bombe im Jüdischen Gemeindehaus.
    Hamburg: Hamburger Edition