Karajan kehrt wieder. Nicht als Gespenst, sondern als mediale Realität. An den 100. Geburtstag des prägenden Dirigenten der deutschen Nachkriegszeit erinnert würdig ein Gedenkkonzert - in der hinteren Hälfte des Salzburger Sommer-Programms 2008. Ganz distinguiert dient Ein deutsches Requiem von Brahms dem etwas heiklen Zweck. Denn die Musikwelt ist mit sich nicht im Reinen hinsichtlich des in besonderer Weise nationalsozialistisch kontaminierten und in entscheidenden Fragen lebenslänglich unbelehrbaren Salzburgers. Eine Hotelkette nutzt das spätexpressionistisch bleiche Konterfei des Kapellmeisters derzeit als Emblem, kombiniert mit dem unschlagbar österreichischen Slogan "Die Kunst zu sein". Na, ihr seid doch, möchte selbst der Skeptiker den Salzburgern zuraunen. Und: der große Sohn der Stadt ist doch Euer, auch wenn ihr Euch von ihm in den letzten Jahren entwöhnt habt. So, wie das Theater uns vom Wald entwöhnt hat. Dass man den "Freischütz" ohne Baum und Schonung zeigt, wurde ebenso selbstverständlich wie die moderne Urbanität, die Mozarts "Don Giovanni" zugedacht wurde. Zuletzt präsentierte ihn Michael Haneke in Paris spektakulär als Widerling unter Konzernerben (in Stahl- und Glas-Architektur), Jossi Wieler in Amsterdam in einer Bettenlandschaft (mit lauter zur Liebe unfähigen Mitmenschen) - und in Feldkirch war er vor einer Wellblech-Schiebewand und einem Mehrzweck-Container zu sehen. Claus Guth aber hat Don Giovanni, den Stadtmenschen der frühen Neuzeit, nun - ganz gegenläufig! - in den Wald geschickt. Eine launische Volte!
Don Giovanni im Wichtelgebirge - das war der womöglich fällige Gegenzug gegen die grassierende Mode. Doch ist es sehr viel mehr: Wird doch der dichte Wald traditionell mit Gefahr und Angst konnotiert (nicht nur das Unterholz ist psychoanalytisch höchst ergiebig). Exzessiv hebt Guth ein Element des Librettos hervor - die Anbindung des "sehr leichtfertigen jungen Edelmanns" an die Welt der Bauern (in diesem Fall nun Waldbauern) und der Bäuerinnen, denen er ja auch zusprechen möchte].
Christian Schmidt hat auf der Bühne ein finsteres Fichtengehölz bereitgestellt, ohne Schloss und Kirchhof: einfach einen Waldhügel für rasche sexuelle Bedürfnisse. Für Verstecken, Suchen, Belauern, Abtauchen, Täuschen und Zufälle. Sogar für das letzte Abendmahl, das hier zum Picknick wird und dem Titelhelden nicht gut bekommt: der auferstandene Komtur schaufelt ihm das Grab. Mozarts d-moll-Musik, getrieben von Bertrand de Billy, befördert ihn in die Grube. Und aus ist's mit ihm und vorbei. Stunden zuvor war das hohe Paar in einer Limousine auf einem Waldweg vorgefahren: der hier grotesk natürlich wirkende Tenor Matthew Polenzani als Don Ottavio und die stimmprächtig akkurate Annette Dasch als Donna Anna. Don Giovanni hilft ihnen, das havarierte Fahrzeug wieder in Gang zu bringen.
Zuvor hatte im tiefen Tann zwischen ihm, dem eher unscheinbaren Titelhelden Christopher Maltman, und Anna das stattgefunden, was das Werk nur andeutet (also der Phantasie der Zuschauer anheimstellt): Verführung, mit oder ohne Einwilligung. Der Komtur, Annas Vater, hatte die beiden aufgestöbert, den Kerl gestellt; er wurde mit einem rasch vom Boden aufgehobenen Knüppel niedergestreckt, verpasst aber im Fallen Don Giovanni noch einen Bauchschuss. Von da an kann der Angeschossene seine Obsessionen nicht mehr real ins Werk setzen - zunehmend träumt er bloß von dem, was sein Lebenselixier war. Das Ständchen im 2. Akt offenbart schonungslos, wie weit er schon hinüber ist.
Donna Elvira hatte sich im Bushäuschen am Waldesrand eingefunden - höhnisch verliest ihr Leporello die karg bestückte Abfahrtstafel als das Register von Giovannis Dates. Erwin Schrott läuft körperartistisch und stimmlich zu Höchstform auf, Dorothea Röschmann bleibt ihm bei der Darstellung von Elviras blinder Liebeswut und Rachsucht nichts schuldig. Claus Guth hat die emotionalen Konstellationen messerscharf choreographiert und scharf ausleuchten lassen.
Don Giovanni im Wichtelgebirge - das war der womöglich fällige Gegenzug gegen die grassierende Mode. Doch ist es sehr viel mehr: Wird doch der dichte Wald traditionell mit Gefahr und Angst konnotiert (nicht nur das Unterholz ist psychoanalytisch höchst ergiebig). Exzessiv hebt Guth ein Element des Librettos hervor - die Anbindung des "sehr leichtfertigen jungen Edelmanns" an die Welt der Bauern (in diesem Fall nun Waldbauern) und der Bäuerinnen, denen er ja auch zusprechen möchte].
Christian Schmidt hat auf der Bühne ein finsteres Fichtengehölz bereitgestellt, ohne Schloss und Kirchhof: einfach einen Waldhügel für rasche sexuelle Bedürfnisse. Für Verstecken, Suchen, Belauern, Abtauchen, Täuschen und Zufälle. Sogar für das letzte Abendmahl, das hier zum Picknick wird und dem Titelhelden nicht gut bekommt: der auferstandene Komtur schaufelt ihm das Grab. Mozarts d-moll-Musik, getrieben von Bertrand de Billy, befördert ihn in die Grube. Und aus ist's mit ihm und vorbei. Stunden zuvor war das hohe Paar in einer Limousine auf einem Waldweg vorgefahren: der hier grotesk natürlich wirkende Tenor Matthew Polenzani als Don Ottavio und die stimmprächtig akkurate Annette Dasch als Donna Anna. Don Giovanni hilft ihnen, das havarierte Fahrzeug wieder in Gang zu bringen.
Zuvor hatte im tiefen Tann zwischen ihm, dem eher unscheinbaren Titelhelden Christopher Maltman, und Anna das stattgefunden, was das Werk nur andeutet (also der Phantasie der Zuschauer anheimstellt): Verführung, mit oder ohne Einwilligung. Der Komtur, Annas Vater, hatte die beiden aufgestöbert, den Kerl gestellt; er wurde mit einem rasch vom Boden aufgehobenen Knüppel niedergestreckt, verpasst aber im Fallen Don Giovanni noch einen Bauchschuss. Von da an kann der Angeschossene seine Obsessionen nicht mehr real ins Werk setzen - zunehmend träumt er bloß von dem, was sein Lebenselixier war. Das Ständchen im 2. Akt offenbart schonungslos, wie weit er schon hinüber ist.
Donna Elvira hatte sich im Bushäuschen am Waldesrand eingefunden - höhnisch verliest ihr Leporello die karg bestückte Abfahrtstafel als das Register von Giovannis Dates. Erwin Schrott läuft körperartistisch und stimmlich zu Höchstform auf, Dorothea Röschmann bleibt ihm bei der Darstellung von Elviras blinder Liebeswut und Rachsucht nichts schuldig. Claus Guth hat die emotionalen Konstellationen messerscharf choreographiert und scharf ausleuchten lassen.