Archiv


Ein zarter Blindenstock für Physiker

Technik. - Will man sich die Struktur des Mikrokosmos dreidimensional erschließen, so ist dies ein Fall für das Rastertunnelmikroskop, das mit einer feinen Nadel die Oberfläche des Objektes abfährt. Allerdings kann so nur die Oberfläche erfasst werden, nicht aber der innere Aufbau von Mikrogebilden. Kernspintomographen könnten diese Aufgabe bewältigen, doch ihre Auflösung reicht dazu bei weitem nicht aus. Wissenschaftler von IBM entwickeln derzeit ein Instrument, das beide Eigenschaften vereint und dazu neue Rekorde in der Mikromanipulation aufstellt.

    Auf der Reise zu den Atomen passiert der Beobachter die Treppe der Größenordnungen. Mit jedem Faktor Tausend erhalten die Ausmaße neue Vornamen: Milli, Mikro, Nano, Piko, Femto und Atto. So ist Zepto schließlich ein ausgemachter Zwerg, dessen Größe mindestens 18 Nullen nach dem Komma ertragen muss, bevor ein Wert auftaucht. Solche Winzlinge mit der Kraft von gerade 800 Zepto-Newton müssen Physiker von IBM in den Griff bekommen, wenn sie ihren Traum eines 3D-Mikroskops für einzelne Teilchen wahr werden lassen wollen. Selbst den hartgesottenen Experten gehen angesichts solcher Wenigkeit die anschaulichen Analogien aus.

    Das Herzstück der Apparatur, an der John Mamin und Dan Rugar vom IBM-Forschungszentrum in San José werkeln, gleicht in etwa einem Sprungbrett in einem winzigen Schwimmbad. Das einen Mikrometer breite Katapult besteht aus einem Streifen Silizium mit einer magnetischen Beschichtung auf der Oberseite und schwingt auf und ab. Gelangt ein magnetisches Partikel unter das Sprungbrett, so verändert sich die Frequenz, mit der der Siliziumstreifen schwingt. Das Verfahren ist so sensibel, dass Mamin damit bald die Kraft messen will, die der Spin eines einzelnen Elektrons auf den magnetischen Streifen des Sensors ausübt. "Zwar sollten wir die etwa 13 Atto-Newton des Elektrons mit unserer Auflösung von 800 Zepto-Newton messen können, doch das hängt davon ab, ob das Elektron seine Spin-Richtung über mindestens eine Zehntelsekunde beibehält." Oszilliere die magnetische Drehrichtung des Teilchen dagegen schneller, schlage das Experiment fehl.

    Weiteres Problem des winzigen Laufsteges für Partikel-Singles: Das Magnetsprungbrett muss konstant sehr kalt gehalten werden, damit es keine Energie durch Wärme aufnimmt und seine Frequenz so beeinflusst wird. Daher kühlen die kalifornischen Forscher ihre Apparatur auf wenige Milligrad Celsius über dem absoluten Nullpunkt herunter. Der Haken: Ein Laser misst die Frequenz des Siliziumkatapults und heizt es dabei auch leicht auf. "Um den Effekt zu verringern, verwenden wir eine relativ lange Wellenlänge des Lichtes, um die Absorption durch das Silizium auszuschließen. Überdies ist die Brettdicke so gewählt, dass möglichst viel Licht reflektiert wird", erklärt John Mamin. Gelingen all diese Minimal-Rekorde, so kann das neuartige Resonanzkraft-Mikroskop tiefer blicken als herkömmliche Raster-Tunnel-Mikroskope: "Unser Ziel sind 3D-Aufnahmen, wie jene aus Kernspintomographen, allerdings auf atomarer Ebene," so Mamin.

    [Quelle: Jan Lublinski]