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Einblicke in die Seele eines Täters

"Die Wohlgesinnten", der Roman von Jonathan Littell sorgte vor drei Jahren für Schlagzeilen. Der Theater-Macher Armin Petras hat die fiktive Biografie eines intellektuellen SS-Offiziers auf die Bühne gebracht. Doch bis es soweit war, brauchte es einiges an Überzeugungsarbeit.

Von Eberhard Spreng | 25.09.2011
    "Die moderne Geschichte hat bewiesen, dass jeder oder fast jeder das tut, was man ihm sagt / Ihr habt vielleicht mehr Glück gehabt als ich, doch seit Ihr nicht besser. Ihr könnt niemals sagen: Ich werde nicht töten, das ist unmöglich. Höchstens könnt Ihr sagen: Ich hoffe nicht zu töten."

    Jeder ist ein potentieller Mörder, diese These steht am Anfang von Armin Petras Theaterversion der Wohlgesinnten und er folgt damit den Thesen vom Beginn des 1400-Seiten-Romans von Jonathan Littell. Und um dies im Sinne einer großen szenischen Metapher zu beglaubigen, ragt ein riesiger Spiegel hoch auf über der Vorderbühne und wirft dem Publikum das eigene Spiegelbild entgegen. "Seht euch im Spiegel", lautet diese stumme Aufforderung.

    Zu Beginn der Aufführung erlaubt dieser Spiegel allerdings auch den Blick in den ersten Rang, wo Peter Kurth im dunkelblauen Anzug Platz genommen hat, um als der ältere Maximilian Aue den Rückblick auf seine Kriegserfahrungen zu geben. Und auf der Vorderbühne erscheinen fünf Gestalten in schwarzen Hosen, Hemden und Stiefeln. Zunächst als Chor, dann deuten sich einzelne Figuren an.

    Im Zentrum steht Max Simonischek als der junge Maximilian Aue, nicht als kantiger SS-Scherge, sondern mit großen leeren Augen in die Ferne blickend. In seinem Spiel entsteht nicht das Bild des narzisstischen Intellektuellen mit der tragischen Familiengeschichte und der inzestuösen Neigung zur Schwester, nicht der Muttermörder nach dem antiken Vorbild des Orest. Hier entsteht kein Psychogramm eines Massenmörders, keine der zahlreichen Untaten des Maximilian Aue wird hier begreiflich. Seine vier Schauspielkollegen deuten diverse Nebenfiguren des Romans an. Ohne jeden Nazi- oder Weltkriegsrealismus sind Situationen skizziert, wobei viel mit roter, brauner und schwarzer Farbe hantiert wird.

    Auf einer schrägen Ebene hinter der Vorderbühne gleiten die Akteure gelegentlich in den schwarzen Bühnenhintergrund ab, in den der Spiegel nur Einblick gewährt, wenn er stärker geneigt wird. Dann zeigt er die Akteure auch auf dem zunehmend schmierigen Untergrund wie Kriechtiere in einem Vivarium. Nur zweimal erlaubt Petras seinen Akteuren einen kurzen musikalischen Ausflug aus dem Jammertal.

    "bist du doch darum nicht hier
    dass du erden haben sollt
    schau den himmel über dir
    da da ist dein edles gold
    da ist ehre da ist freud
    freud ohn end ehr ohne neid"


    In dem Theaterelend, in das die Inszenierung seine auswechselbaren Akteure stürzt gibt es Täter und Opfer nicht mehr. Das Leid wird so zu einem anonymen Mysterium, das in der Stalingrad-Episode gipfelt. Da brüllt Thomas Lawinsky seinen Schmerz heraus, schreit wie er versucht, einzelne Granatsplitter aus seinen Gedärmen zu entfernen. Da befiehlt Max Aue, einem schwerverletzten russischen Soldat den Gnadenschuss zu geben, nicht wissend, dass dafür keine Patronen mehr verwendet werden. Da trifft er auf Hohenegg, der die gefrorenen Leichen zu medizinischen Untersuchungen benutzt.

    Auch Aues private Tragödie, der Hass auf Mutter und Stiefvater, sein Mord, die inzestuöse Beziehung zur Schwester, bleibt in Armin Petras Inszenierung merkwürdig konturlos. Hinter einer Maske verbirgt sich der Stiefvater, das ist eine der zahllosen eher konventionellen Ideen, mit denen das Theater aufwartet, wenn es das Geschehen von der psychologischen Verwicklung in unverbindlichen Symbolismus verlagert. Kurios genug: Keine der angestrengten Annäherungen an Motive des Romans geht den Zuschauer etwas an.

    Er bleibt, schlimm genug bei dieser Thematik, merkwürdig unbeteiligt, nichts wühlt auf, nicht provoziert Widerspruch, nichts fordert auf, Position zu beziehen. Armin Petras, der sich im Vorfeld durch Gespräche mit der jüdischen Gemeinde und den einschlägigen Gedenkstädten abgesichert hatte, transferiert das Thema dahin, wo es nicht mehr weh tun kann: Auf die Metaebene voller kunstwilliger Metaphern. Nun zeigt sich auch, wie falsch es war, die provozierende Ausgangsthese des Romans im Bühnenbild so kurzschlüssig zu materialisieren: Da ihr alle genau wie der Jurist Dr. Maximilian Aue hättet Täter sein können, schaut euch jetzt drei Stunden lang in den Spiegel.

    Max Aue ist eben doch auch und vor allem Fiktion, eine romaneske Extremfigur, um die herum historisch sorgfältig recherchierte Ereignisse gruppiert sind. Fast unmöglich, mit diesem Aue von der miesen kleinen Mittäterschaft zu erzählen, der Masse der kleinen Schreibtischtäter, aus deren Zusammenwirken das Projekt der Ermordung von 6 Millionen Juden erst möglich wurde. Um die Spiegelung dieser Menschen hätte es gehen müssen, wenn man die Eingangsthese heute hätte glaubhaft machen wollen.