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Eine Affäre für vier Nächte

Das Berliner Festival "Foreign Affairs" sorgt nicht nur auf der Bühne, sondern auch im Publikum für ungewohnte Begegnungen: Das Festivalprojekt "Fremdgehen!" bringt wildfremde Menschen dazu, an vier Samstagen gemeinsam ins Theater zu gehen. Die Theatersingles finden ihre Partner fürs Bühnen-Date per Lotterie.

Von Christoph Richter |
    "Normalerweise hole ich mir zwei Karten und suche dann jemand aus meinem Bekanntenkreis. Es ist aber oft recht mühsam."

    Angela Deutsch-Meyer. Enge Jeans, schlank, Mitte 40, die dunklen Haare fallen ihr immer wieder ins Gesicht. Eine der Teilnehmerinnen des durchaus ungewöhnlichen Theaterexperiments "Fremdgehen!", das vom Berliner Festival Foreign Affairs organisiert wird. Sie gesteht:

    "Ja, ein bisschen nervös bin ich schon."

    Die Idee ist simpel. Über mehrere Wochen hinweg soll man mit einer völlig fremden Person ins Theater gehen. Angela Deutsch-Meyer lächelt. Noch. Denn, was auf sie zukommt, sie weiß es nicht.

    "Es kann sein, dass es sehr mühsam wird. Und dann sind es vier Vorstellungen, da habe ich mir natürlich auch schon überlegt, was ist, wenn man es ganz unangenehm findet."

    Einen Moment lang zweifelt die alleinerziehende Mutter.

    "Das habe ich mir noch nicht recht überlegt, bin ich auch spontan. Vielleicht verschenke ich meine Karten an irgendwelche Freunde und sag, sie sollen mal fremdgehen."

    Ein unmoralisches Angebot soll das Theaterexperiment "Fremdgehen!" jedoch nicht sein, betont Frie Leysen, die belgische Kuratorin des Berliner Festival "Foreign Affairs". Ihr gehe es auch nicht um die rapide sinkende Geburtenrate, die ständig steigenden Singlehaushalte, Tendenzen, die sie sowieso nicht aufhalten könne. Stattdessen wolle sie Menschen zusammenbringen, zum Gespräch animieren. Und zwar über alle soziale Grenzen und Barrieren hinweg.

    "Geschieht mir oft, dass ich mit einer Person in ein Stück gehe und wenn wir rauskommen habe ich das Gefühl, wir haben ein anderes Stück gesehen. Und das finde ich dann spannend, darüber zu reden. Wenn man mit Freunden ins Theater geht, ist man zu viel auf der gleichen Ebene, man kennt einander. Aber mit einem Fremden und mit einer ganz anderen Perspektive auf die gleiche Arbeit hinzugucken, ist was anderes."

    Die 62-jährige Frie Leysen - die Grand Dame der freien Theaterszene, die einst in Antwerpen ein eigenes Kunstzentrum gegründet hatte, unter anderem in Brüssel, Mülheim, Essen sowie Kairo, Ramallah oder Tunis wirkte - will letztlich ein total durchmischtes, ein diversifiziertes Publikum, wie sie es nennt.

    "Mit diversifiziert meine ich, unterschiedliche Alter, aber auch unterschiedliche Hintergründe. Von unterschiedlichen Vierteln aus Berlin. Das ist immer noch so isoliert. Und das ist so eine kleine Aktion, mit der ich hoffe, dass wir ein bisschen über die Grenze gehen."

    Das Prozedere ist einfach: Man meldet sich an, und schon ist man dabei. Doch ob jetzt Rechts- und Linkshänder, Ossis und Wessis oder Frauen und Männer einander zugelost werden, keiner weiß es. Und soll eine Überraschung sein.

    Letztlich soll das Ganze ein großes Spiel mit dem Publikum sein, dessen Nähe Frie Leysen permanent sucht, beispielsweise beim Experiment "Fremdgehen!":

    "Was ich schön da dran finde, und das steht für das ganze Festival, ist eigentlich ein bisschen Lust auf Abenteuer. Es geht echt um ein Bad voller Abenteuer."

    Doch so ganz trauen sich die Menschen noch nicht. Denn bisher haben sich lediglich zehn Personen angemeldet. Da ist noch Luft nach oben: Denn sonst wird aus der prickelnden Theateraffäre, nur ein laues Lüftchen.