Donnerstag, 02. Mai 2024

Archiv


Eine andere Kunstgeschichte

Seit 2008 dokumentiert das Projekt "re.act.feminism" feministische und gender-kritische Performance-Kunst der 60er- und 70er-Jahre. Als lebendiges Archiv will "re.act.feminism" auch seinerseits Kunstwerke anregen - und geht dazu auf Tour durch Europa. Derzeit gastiert es in der Berliner Akademie der Künste.

Von Carsten Probst | 26.06.2013
    "Performance Returns" - Die Performance kehrt zurück: So lautete noch vor fünf Jahren, als dieses Projekt begann, der Arbeitstitel, und aus heutiger Sicht wäre das vielleicht sogar die kunsthistorisch treffendere Botschaft gewesen, denn "Performance" ist mittlerweile fast schon zu einer Schlüsselqualifikation für die Aufmerksamkeitsökonomien des Kunstmarktes geworden. Aber dann wurde doch re.act.feminism daraus, und das ist gut so, weil es die politische Dimension dieser Kunstform betont, auch wenn bei Weitem nicht alle Akteure, die dieses Projekt inzwischen versammelt, Frauen oder gar bekennende Feministinnen sind. Dennoch bleibt die schon bei der ersten großen Ausstellung vor fünf Jahren gewonnene Erkenntnis, dass es zu einem erheblichen Teil feministische Künstlerinnen der 60er-Jahre waren, die über ihre oft politisch intendierten Performanceaktionen zugleich auch der Video- und Medienkunst einen historischen Impuls gaben. Auch jene Mischformate, die man heute als "Performative Installation" bezeichnet - Rauminstallationen, die das Publikum selbst zur Aktion zwingen oder die sich als Aufbauten für Performances verstehen - sind nicht vorstellbar ohne die Inventionen zahlreicher Künstlerinnen, deren Werk und Namen sich immer noch im Schatten einer männlich dominierten Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts wiederfinden.

    Bei "re.act.feminism" ging es zunächst um den weiblichen Blick auf den weiblichen Körper und seine Indienstnahme für die klassischen Rollenmuster der Gesellschaft. Valie Export, mittlerweile eine der prominenten Grande Dames der Medienkunst, steht dafür mit einer dramatischen Performance, bei der sie nackt durch einen Verhau aus Stromdrähten kriecht und scheinbar mit letzter Kraft das Ende dieser selbst errichteten Via Dolorosa erreicht. Berühmt ist Yoko Onos Bühnenperformance, bei der sich auf einer Bühne von Zuschauern Teile ihres Kleides herausschneiden ließ. Martha Wilson in ihrem "Portfolio of Models" inszenierte schon 1974 klassische Frauenkarrieren in Kostümierungen und nahm damit Cindy Shermans berühmte Rollenspiele seit den späten 80er-Jahren vorweg.

    Dass zuweilen dramatische Inszenierungen von Schmerz und Leiden in diesen Aktionen reflektiert werden, ist Künstlerinnen oft als weibliches Selbstmitleid vorgehalten worden. Dabei unterscheidet sich diese Kunst gar nicht von jeder anderen Form politischer und anklagender Kunst. Besonders deutlich wird dies im Fokus auf Künstlerinnen aus dem Untergrund in den einstigen sozialistischen Staaten. Im einstigen Ostblock bereits sanktioniert und mit Repressalien bis hin zu Inhaftierungen belegt, fielen sie im westlichen Kunstbetrieb nach der Wende schnell dem Vergessen anheim. Etwa jene kleine, fast unsichtbare, ironische Performance von Sonja Ivekovic, die sich in den 70er-Jahren selbst auf ihrem Balkon in Belgrad bei der Lektüre amerikanischer Bücher und in amerikanischen Klamotten fotografiert, während direkt unterhalb von ihr eine Parade von Marschall Tito vorbeizieht. Gabriele Stötzer zählte in den 70er-Jahren zu den Vorreiterinnen der experimentellen Kurzfilmszene der DDR und wurde erst in den letzten Jahren wieder neu entdeckt. Die öffentlichen Entkleidungsperformances der Polin Ewa Partoum richteten sich in den Zeiten des polnischen Kriegsrechts unter hohem persönlichen Risiko gegen das Regime. Partoum ging ins westdeutsche Exil. Heute muss sie sich Vergleiche mit den FEMEN-Aktivistinnen gefallen lassen, die zu jeder halbwegs öffentlichen Veranstaltung ziemlich risikolos blankziehen.

    Von einst sechzig künstlerischen Positionen hat sich der Archivbestand von "re.act.feminism" inzwischen auf 180 verdreifacht. Er ist bahnbrechend, mittlerweile umfasst er neben aktuellen Positionen auch Künstlerinnen aus den arabischen Staaten und Südamerika, in denen performativen Ausdrucksformen noch eine ungleich höhere politische Sprengkraft zukommt. Für diesen kunsthistorischen Schatz gibt es bislang keine großen, alles vereinigenden Sammlungen. In diesem Fall aber ist eine Institutionalisierung kein bloßes Kulturmarketing, sondern überfällige Sichtung einer anderen Kunstgeschichte.