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Eine andere Moderne

Lange als zu akademisch abgetan, wird der Symbolismus derzeit europaweit wiederentdeckt. Mit Werken von Arnold Böcklin bis zu Max Klinger zeigt die Bielefelder Schau, wie der Akademismus am individuellen Stil gebrochen wurde und dieser wiederum der Selbsterforschung des Künstlers diente.

Von Carsten Probst | 25.03.2013
    Manchem modernen Künstler erschienen die Symbolisten einfach als zu spät gekommene akademische Maler, die ihrem traditionellen Stil verkrampft noch etwas Leben einhauchen wollten, indem sie Mythen und Fabeln beschworen und viel okkultistischen Rauch aufsteigen ließen.

    Max Klinger beispielsweise, der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Leipzig phänomenale Erfolge gefeiert hatte, wurde von den Expressionisten, vor allem bei den Dresdner Brücke-Künstlern um Max Pechstein heftig abgelehnt. Klingers raffiniert gezeichnetes, zunehmend aus hybriden Montagen verschiedener Genres bestehendes Werk erschien ihnen "zu durchdacht" und "naturalistisch", während sich Kunst nur aus unmittelbarer Empfindung speisen solle. Mit Klingers Tod 1920 geriet sein Werk fast postwendend in Vergessenheit. Berühmt-berüchtigt ist das Diktum Julius Meier-Gräfes, wonach Max Klinger es verdiene, nun endgültig begraben zu werden. Während des Dritten Reiches widerfuhr Klinger und einigen anderen Symbolisten auch noch das posthume Unglück, von den Nazis für ihre Darstellung nackter mythologischer Körper als "arisch-heroisch" vereinnahmt zu werden, während die Expressionisten als "entartet" galten. "Brücke" und "Blauer Reiter" wurden nach dem Krieg in der damaligen Bundesrepublik zu Ikonen des besseren, des demokratischen Deutschlands gedeutet. Der deutsche Symbolismus dagegen rangierte unter ferner liefen als protofaschistische Kunst.

    Werner Hofmann, der kürzlich verstorbene einstige Direktor der Hamburger Kunsthalle hatte sich schon in den 1960er-Jahren bemüht, die "Kunst um 1800" zu rehabilitieren. Wirklich verändert hat sich die Rezeption aber erst nach der Wende von 1989, unfreiwillig vielleicht auch mit dem Aufkommen der neuen Leipziger Schule um den Maler Neo Rauch. Derzeit wird der Symbolismus europaweit wiederentdeckt – die Bielefelder Ausstellung, die den Symbolismus als "die andere Moderne" zeigen will, ist sozusagen brandaktuell.

    Sie legt den Fokus weniger auf den vielfach akademischen Stil der symbolistischen Maler, Friedrich Meschede, Direktor der Bielefelder Kunsthalle, lobt diesen Stil mittlerweile sogar, wer hätte das gedacht, als exquisit und höchst genießbar. Die Auswahl der Bilder in dieser Ausstellung gibt ihm zumindest teilweise völlig recht. Auch Skeptiker des Akademismus im 19. Jahrhundert müssen anerkennen, dass Max Klinger ein überwältigender Collageur und Stilist ist, der einen Max Ernst durchaus blass aussehen lassen kann. Sie müssten zugeben, dass die Landschaften von Leo Putz den Expressionismus zuweilen mehr als nur vorwegnehmen und dass ein Hans Thoma oder ein Oskar Zwintscher unglaubliche Licht- und Fantasielandschaften entworfen haben, die nichts, aber auch gar nichts mit Akademismus oder gar Protofaschismus zu tun haben – von den großen Namen Böcklin, Corinth, Lehmbruck oder Franz von Stuck ganz zu schweigen.

    Anders als im Expressionismus gibt es keine durchgehende Lehre, keine Gruppen und keinen einheitlichen Stil im Symbolismus – oder gerade das Uneinheitliche, Individuelle ist ein Prinzip dieser Malerei. Kuratorin Jutta Hülsewig-Johnen geht es dagegen um ein anderes Charakteristikum: Der Akademismus wird am individuellen Stil gebrochen, der individuelle Stil wiederum dient der Selbsterforschung des Künstlers und seiner eigentlichen inneren Motive. Der Symbolismus versucht dem Rätsel der Kunst selbst nahezukommen und bedient sich als Hilfsmitteln verschiedener kunstgeschichtlicher Inhalte, die nun höchst individuell umgedeutet werden. Mitunter spielt hier bereits der Einfluss der neuen Psychowissenschaften am Ende des 19. Jahrhunderts mit hinein. Im französischen Raum ist der Surrealismus ohne den Symbolismus nicht denkbar. Faune und Feen, Eros und Sinnenfreude, Femme fatale, Mächte der Finsternis, Sitz der Götter und erhabene Natur - so sind die Abteilungen dieser Ausstellung überschrieben, und das klingt aus heutiger Sicht nach dem schwülstigen Erbe des 19. Jahrhunderts. Tatsächlich verweisen in dieser Ausstellung manche Linien unvermutet gerade auch auf die Zeit der 1960er- und 70er-Jahre, als die künstlerischere Selbsterforschung des Inneren im Fluxus und im Happening eine völlig neue Dimension annahm.