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Eine App für Misanthropen

Immer wissen, wo sich der andere gerade aufhält. Das verheißen nicht nur Geheimdienste, sondern auch verschiedene Freunde-Find-Programme für Smartphones. Ein Medienwissenschaftler aus New York hat nun eine App entwickelt, mit der man Freunden leichter aus dem Weg gehen kann.

Von Johannes Nichelmann |
    "Man kann sich irgendwie versuchen interessanter zu machen."

    Francisca, 28 Jahre alt aus Berlin, weiß, was ihre Freunde machen. Und ihre Freunde wissen, was sie macht. "Foursquare" heißt die App, mit der sie verfolgen und verfolgt werden kann. Knapp 20 Millionen Menschen nutzen diese Applikation für ihr Smartphone. Per "GPS" stellt "Foursquare" fest, wo sie sich gerade aufhält. Auf Knopfdruck kann Francisca den Ort mit ihren Freunden teilen. Dazu noch Beobachtungen und Tipps in ein Kommentarfeld eintragen. Gerade ist sie am Herrmannplatz.

    "Das ist ja alles ganz großartig. Man kann seine Neugier befriedigen. Man kann sehen, wo Leute sind. Man kann sich selber ein bisschen verarschen, weil man natürlich durch seine Check-ins kannst du ja zeigen, wie toll du bist. Welche Leute du kennst. Wie du im Kiez aktiv bist."

    Leute treffen - Der New Yorker Kommunikationswissenschaftler Scott Garner will genau das nicht. Er hält das System Foursquare für außerordentlich befremdlich und umgeht seine Freunde lieber.

    "Hi! My Name is Scott Garner and today I am avoiding people."

    Garner hat, als kleine Satire-Aktion und mit Hinblick auf die Probleme, die er generell mit sozialen Netzwerken hat, eine eigene App geschaffen: "Hell Is Other People". Francisca hat die App für die App auf ihrem Smartphone installiert.

    "Ja, ich hab deinen Link angeklickt und man kann sich dann reinwählen, mit seinen Foursquare-Daten. Also es ist eine Karte, wo dein Standpunkt zu sehen ist, wo du das letzte Mal eingecheckt hast. Und du siehst mit anderen Farben, Punkte von deinen Freunden von dir, wenn die irgendwo um dich herum eingecheckt haben."

    Grüne und orangene Punkte leuchten auf einer schwarzen Google-Maps-Karte auf. Sie zeigen, wo sich Franciscas Freunde zuletzt angemeldet haben. Weiße Linien zeigen jetzt den besten, nicht immer kürzesten, Weg an, sie zu umgehen.

    Eine App für Menschenfeinde? Der Name, das Zitat, "Hell Is Other People", stammt aus dem Theaterstück des französischen Philosophen und Dramatikers Jean-Paul Sartre. Die Handlung: Drei Personen sind gemeinsam in einen fenster- und türlosen Raum gesperrt. Sie können sich nicht ausstehen. Das Licht brennt immer, die Menschen haben keine Augenlieder mehr – können sich also unter keinen Umständen aus dem Weg zu gehen. Für die Ewigkeit! Das hier ist die Hölle!

    "Ja, das ist auf Deutsch 'die Hölle sind die anderen'. Eben das meint, dass die Beziehung zwischen Menschen sehr schwer ist. Das hatte Sartre sehr ausführlich erläutert. Die elementaren Beziehungen zwischen Menschen, wie er sie dort analysiert, sind die Blicke. Und ich sehe den anderen und er sieht mich. Wenn ein Dritter auftaucht, sieht er noch, wie ich den anderen sehe. Und dann entsteht eine komplexe Situation."

    Vincent von Wroblewsky, Präsident der Sartre-Gesellschaft in Deutschland.

    "Bei dieser Blickrelation gibt es zwei Grundmöglichkeiten. Entweder ich mache den anderen zum Objekt, um mich zum Subjekt zu machen. Oder der andere schafft es, sich zum Subjekt zu machen, der mich zum Objekt macht. Und das, sagt Sartre, das sind zwei Grundhaltungen, die man auch beschreiben kann als masochistische oder sadistische."

    Von Wroblewsky hat über den vor 33 Jahren verstorbenen Intellektuellen promoviert. Seit seiner Jugend gehört der Franzose zu seinem Leben. Er glaubt, Sartre wäre entsetzt, wüsste er von Handyapplikationen, die das Aufspüren jedes Einzelnen so einfach machen.

    "Das wäre wirklich die Realisierung der Hölle auf einer anderen Ebene. Das schließt ja fast Freiheit des Einzelnen und seine Spontanität aus, die für Sartre ja sehr wichtig ist. Bei ihm steht im Zentrum die Freiheit des Individuums. Und das ist auch der Ausgangspunkt für jede Form von Gesellschaft, die dann entsteht. Und wenn diese behindert oder verhindert wird gar, dann ist eine Gesellschaft eigentlich nicht mehr möglich."

    "Ja, das ist eigentlich Freizeitluxus."

    Francisca, unsere "Hell Is Other People"-Testkandidatin, ist übrigens Soziologin und hält - rein beruflich - ihr "Foursquare"-Verhalten manchmal für etwas komisch. "Hell is Other People" findet sie aber viel schlimmer!

    "Weil, wenn es eine App gibt, die sich überlegt, wie man Leuten nicht begegnet, dann traut sie den Menschen ja überhaupt kein eigenes Denken mehr zu."