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Eine aussterbende Art

Knapp zehn Prozent der Studierenden in Deutschland haben ihre Schulzeit ganz oder teilweise im Ausland verbracht. Acht Prozent weisen einen Migrationshintergrund auf. Doch nicht immer sind alle auf dem gleichen Bildungsstand. Das soll sich nun ändern.

Von Hildegard Braun |
    Im nördlichen Ruhrgebiet ist alles etwas anders. In der ehemaligen Bergbauregion gibt es kaum Abiturienten, geschweige denn Akademikerfamilien. Viele Schüler kommen aus Gastarbeiterfamilien und ein Studium ist für sie keine Selbstverständlichkeit.

    Mit dem Geld des Stifterverbandes plant die Fachhochschule Gelsenkirchen eine Einstiegsakademie für Studienanfänger. Sie soll Unterschiede im Bildungsniveau ausbügeln. Marcus Kottmann ist dort Pressesprecher:

    "Wir haben einfach eine Sozialstruktur, die ist eben anders. Wenn Jugendliche über ein Berufskolleg die Fachhochschulreife erlangen und dann eine Studienmöglichkeit bekommen, sind sie häufig genug die ersten in ihrer Familie die das tun können und sie müssen sich aber immer wieder Dinge selbst beibringen."

    Die Bewerber der FH Gelsenkirchen kommen mit den unterschiedlichsten Voraussetzungen. Die wenigsten von ihnen haben die allgemeine Hochschulreife. Viele haben ihr Fachabitur auf dem zweiten Bildungsweg erlangt, eine Ausbildung gemacht, einen Real- oder Hauptschulabschluss. Wie Leyla Aduc, ehemalige Hauptschülerin und Migrantin aus der Türkei. Sie hat ihr Fachabitur auf dem Gymnasium geschafft, dann aber zunächst eine Ausbildung als Steuerfachgehilfin abgeschlossen, nach zwei Semestern BWL in Bochum abgebrochen und erst Jahre nach der Schule in Gelsenkirchen ihr Journalistikstudium aufgenommen. Jetzt ist sie im sechsten Semester. Ihr Hauptproblem zu Studienbeginn war die deutsche Sprache:

    "Mit der deutschen Sprache tue ich mich immer noch sehr schwer, ich habe hier und da meine Problemchen, aber gerade deswegen habe ich mich für dieses Studium entschieden, weil ich besser mit der Sprache umgehen möchte und es besser beherrschen möchte."

    Ihr Vater war Bergmann, ihre Mutter Hausfrau, die Eltern sprachen nur gebrochen Deutsch. Erst im Kindergarten hat Leyla angefangen, Deutsch zu lernen. Während ihre Kommilitonen sich bereits fachlich unterhalten konnten, musste sie erst einmal verstehen, um was es in der Vorlesung ging. Ein Zeitfresser:

    "Da bildet man sich selber weiter, in dem man sich Bücher besorgt, nochmal nachschaut, wie war es nochmal in der Schulzeit, ja in der Sekundarstufe 1 mit den vier Fällen, so musste man sich das halt selber aneignen, was nicht gerade einfach ist, aber wo ein Wille ist, ist auch ein Weg..."
    Leyla ist an der Fachhochschule Gelsenkirchen kein Einzelfall. Ein Riesenproblem sind die Unterschiede auch für Ingenieursstudenten: Während einige einen Matheleistungskurs absolviert haben, hatten andere am Berufskolleg gerade mal zwei Stunden Mathematikunterricht in der Woche. Durch den langen Zeitraum zwischen Schule und Ausbildung ist der Unterrichtsstoff außerdem schon lange wieder verblasst. Marcus Kottmann:

    "Das sind schon gewaltige Unterschiede in den Startvoraussetzungen. Was aber unserer Erfahrung nach nicht viel damit zu tun hat, welches Leistungsvermögen dahinter steckt. Also das bedeutet nicht, dass man ein Studium nicht schaffen kann. Man hat nur andere Einstiegsvoraussetzungen und die versuchen wir unter anderem mit der Einstiegsakademie ja anzugleichen."

    Eine Herausforderung für die Hochschule. Zum Start des Pilotprojekts im September soll zunächst ein Test klären, welche Unterschiede die Studienanfänger haben. Dann werden spezielle Tutorien angeboten. Studienanfänger sollen außerdem über einige Semester begleitet werden. Wer Probleme mit der deutschen Sprache hat, bekommt Hilfe in einer Schreibwerkstatt. Leyla Arduc hätte sich schon in der Schule Unterstützung gewünscht.

    " Ich würde definitiv sagen, dass die schulische Ausbildung in der Hauptschule explizit der deutschen Sprache nicht ausreichend ist um ein Studium Journalismus und Public relations zu besuchen beispielsweise. Bei mir hat die Oberstufe sehr viel gebracht, die zwei Jahre wenn auch wenig ... ich war dann so erschöpft, dass ich nach der 12 nicht mehr Abitur machen wollte und auch nicht studieren wollte. Das ich einfach erst mal eine Ausbildung machen wollte."

    Vielen Migranten geht es wie ihr. Aber nur wenige beißen sich so durch's Leben wie Leyla Aduc, weiß Marcus Kottmann.

    "Also insofern führen diese gravierenden Unterschiede schon zu 'nem höheren Anteil von Studienunterbrechungen und gegebenenfalls auch zu Abbrüchen wobei wir das mit unserem Monitoring quantitativ noch nicht richtig beziffern können."

    Die Fachhochschule steht deshalb im regen Kontakt mit den Schulen. Es gibt beispielsweise Informationstage, um Schülern aufzuzeigen, was sie an der FH erwartet. Der eigentliche Appell geht aber an die Politik, denn die, so Marcus Kottmann, stecke viel Geld in die Universitäten und in die Spitzenforschung, aber weniger in soziale Brennpunkte.

    "Es ist vielfach so im Hochschulbereich, dass wir die Mittel die zur Verfügung stehen, nicht dort lokalisieren, wo sie am dringendsten gebraucht werden sondern wir lokalisieren sie eigentlich an Hochschulen wo viele viele Jugendliche hinkommen, die ganz andere Startvoraussetzungen haben, also mit einem Vollabitur beispielsweise."