Archiv


"Eine Beglaubigung, dass der Gegner besiegt ist"

Solange ein konkreter Bildbeweis für den Tod Osama bin Ladens fehle, werde es Gerüchte und Verschwörungstheorien geben, sagt der Medienphilosoph Florian Rötzer. Das Zurückhalten der Bilder des toten Terroristenführers sei Strategie der USA, um Emotionen herunterzukochen.

Florian Rötzer im Gespräch mit Dina Netz |
    Dina Netz: Ein paar Männer in Hemdsärmeln und eine Frau sitzen um einen Tisch mit Laptops, dazwischen Pappkaffeebecher. Alle starren links aus dem Foto heraus. Es könnte eine Powerpoint-Präsentation sein, die ihre Aufmerksamkeit fesselt, ist es aber nicht. Dieses Foto zeigt die amerikanische Regierung dabei, wie sie die Ermordung Osama bin Ladens am Bildschirm beobachtet. Dieses denkbar unspektakuläre Bürofoto hat die US-Regierung veröffentlicht. Außerdem gibt es noch ein Bett mit Blutflecken daneben, aber keine martialischen Bilder des toten Terroristenchefs. Die wird es auch nicht geben, hat die amerikanische Regierung gestern beschlossen – zu grauenhaft. Das ist neu. Die Bilder des toten Saddam Hussein zum Beispiel sind wohl den meisten noch im Gedächtnis. – Florian Rötzer ist Medientheoretiker und Chefredakteur des Online-Magazins "Telepolis". Ich habe ihn gefragt: Schon im Mittelalter wurden die Köpfe der Feinde vor den Toren der Stadt aufgespießt. Welche Funktion hat das Vorzeigen des toten Feindes in der Geschichte und bis heute?

    Florian Rötzer: Das ist erst mal eine Beglaubigung, dass der Gegner besiegt ist und getötet ist und praktisch nicht mehr auftauchen kann, und gleichzeitig dient es natürlich der Abschreckung, also auch der Gefolgschaft des jeweiligen, der da getötet worden ist, als auch den eigenen Leuten, die beruhigt sein können, dass er eben verschwunden ist. Das ist die große Funktion, sozusagen so eine Art Beglaubigung und Abwehrzauber.

    Netz: Was diese Beglaubigung angeht, Herr Rötzer, es sind ja bereits gefälschte Fotos des toten bin Laden im Umlauf. Bilder taugen heute allgemein eigentlich nicht mehr als Beweis, wir wissen um ihre Manipulierbarkeit. Warum werden sie jetzt in dieser Situation als Beweis trotzdem eingefordert?

    Rötzer: Es ist natürlich, denke ich, auch eine Funktion der Mediengesellschaft, die lauert auf Bilder, ist ganz geil sozusagen auf Bilder, und auch wenn sie gefälscht sind, so sind sie sozusagen doch beeindruckend und faszinierend. Also da geht es dann, glaube ich, auch weniger darum, dass es tatsächlich ein faktischer, empirischer Beweis für den Tod von bin Laden ist, sondern dass man einfach irgendetwas in der Hand hat, was man vorzeigen kann, denn ich glaube, dass heute auch fast niemand mehr davon ausgeht, dass ein Foto als Beweis dienen kann und nicht manipuliert ist. Wir haben so viele manipulierte Fotos schon im Laufe der letzten zehn Jahre gehabt, dass das wohl ein naiver Glaube ist, dem kaum mehr jemand anhängen wird.

    Netz: Welche Funktion genau hat denn dann so ein Foto, wenn es eigentlich als Beweis nicht mehr funktioniert? Sie haben gerade schon gesagt, es ist vielleicht dann eher so eine emotionale Beglaubigung. Was genau ist das?

    Rötzer: Man kann ja eigentlich da nur vermuten. Es ist dann natürlich schon etwas, man sieht noch einmal, dass eine Handlung begangen worden ist, und gerade in dem Fall – Sie hatten ja am Anfang auch erwähnt dieses eine Foto vom Weißen Haus, wo alle auf einen imaginären Bildschirm wahrscheinlich starren, von dem sie direkt aus die Ermordung von Osama bin Laden, wenn er es denn gewesen ist, miterleben -, da fehlt natürlich etwas. Das ist sozusagen so eine Leere, die dann entsteht, und die macht eigentlich sozusagen die Erwartung noch sehr viel höher, nun endlich zu sehen, was da auf diesem Bildschirm gelaufen ist, also Bilder zu sehen, was geschehen ist, weil wir ja wissen, es ist gefilmt worden, die Soldaten hatten ja wohl Kameras auf ihren Helmen, sodass diese Szene eigentlich auch wirklich vorhanden ist und sie wird uns nicht zugänglich gemacht, und das ist eine Art von Enttäuschung, die natürlich die Erwartungen hoch schürt auf der einen Seite und natürlich, nachdem die Amerikaner auch die Leiche so schnell entsorgt haben, ins Meer geschüttet haben, sodass sie für immer verschwunden ist, ist da das Verlangen natürlich auch groß, dass man dahinter jetzt etwas vermutet, was nicht stimmt. Und solange man sozusagen dieses Bild dann der Öffentlichkeit entzieht, solange werden diese Gerüchte und Verschwörungstheorien natürlich auch weiter gedeihen, nehme ich mal an.

    Netz: Was ist denn Ihrer Meinung nach, Herr Rötzer, dann der Grund für die amerikanische Regierung, für Barack Obama, die Bilder des toten bin Laden nicht zu zeigen? Ich kann mir ja kaum vorstellen, dass es wirklich nur darum geht, dass Fotos eines Erschossenen grauenhaft aussehen. Dazu gibt es einfach zu viele grauenhafte Fotos in den Medien.

    Rötzer: Nun, das ist sicher das eine, was Barack Obama ja selbst gesagt hat, dass er nicht will, dass dieses Bild dann Propagandazwecken dient. Man könnte es natürlich auch entsprechend herrichten, sodass die Leiche nicht mehr so entstellt ist. Dieses Thema der Grausamkeit selber ist sicher nicht der Hauptgrund. Aber ich denke, vor allem ist es der Grund, dass er das Bild lieber nicht der Öffentlichkeit preisgibt, weil er weiß, dass die Muslime ja auch sehr empfindlich sein können auf Bilder. Man hat das ja auch gesehen bei den Mohammed-Karikaturen, man hat es auch bei anderen veröffentlichten Bildern gesehen, dass dort auch große Emotionen geweckt werden können. Wahrscheinlich, nehme ich fast an, ist es ein bisschen Strategie, lieber das zurückhalten, um sozusagen die Wogen ein wenig zu glätten, und dabei aber in kauf zu nehmen, dass natürlich Gerüchte aufkommen und bestärkt werden.

    Netz: Herr Rötzer, die Präsentation der Leiche, wie sie bisher üblich war, zum Beweis des Sieges, das war ja ein sehr archaisches Ritual. Indem Barack Obama das jetzt ablehnt, zeigt er da vielleicht auch eine neue Form der Humanität als Kriegsherr? Würden Sie so weit gehen?

    Rötzer: Das würde ich eigentlich nicht, weil es ist ja auch ein strategischer Entschluss zu sagen, wir wollen sozusagen die Emotionen runterkochen. Das ist natürlich bei einer Macht, wie sie jetzt Barack Obama vertritt, etwas anderes als bei Terroristen. Terroristen zum Beispiel, oder andere Täter, die wollen natürlich, dass die Bilder zirkulieren. Da ist es ja auch gefragt, da ist Blut und viele Verletzte und Tote, das ist sozusagen das, was man will, womit man Propaganda machen kann, während die Toten auf der Seite der angeblich Guten natürlich nicht so gut aussehen. Deswegen hat ja auch die USA immer vermieden, Bilder machen zu lassen oder entstehen zu lassen, die in Kriegsgebieten gemacht werden.

    Es gab ja dann auch die Strategie der eingebetteten Reporter und ähnliche Sachen, um diese Bilderproduktion zu verhindern. Von da aus muss man eigentlich sagen, es ist in einem Medienzeitalter von der einen Seite her wichtig, dass Bilder nicht zirkulieren - man hat ja auch bei Abu Ghuraib gesehen, wie schädlich das dann werden kann -, während es für die andere Seite umso wichtiger ist, und wir haben das ja auch im Laufe des Irak-Krieges immer gesehen, dass beispielsweise Rumsfeld gejammert hat, dass im Medienkrieg die anderen, die ihm die Bilder zeigen können, gewinnen, während die USA dahinter steht. Aber das ist, denke ich, nur einfach eine strategische Entscheidung, hat mit Moral vermutlich eher wenig zu tun.

    Netz: Der Medientheoretiker Florian Rötzer über die ikonografischen Fragestellungen nach dem Tod Osama bin Ladens.