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Eine Billion auf dem Sparbuch

Das ehemals ärmlich-agrarische Norwegen ist heute eine der reichsten Gesellschaften der Welt. Um auch den Lebensstandard der kommenden Generationen zu sichern, werden Einnahmen aus dem staatlichen Öl- und Gasgeschäft in einem Fonds angelegt. Doch die Versuchung, jetzt schon aus dieser Reserve zu schöpfen, ist groß. Marc Christoph Wagner berichtet.

    Die Atmosphäre auf Akker Brygge am Osloer Hafen ist ausgelassen. Von den Fähren spazieren die Pendler gemütlich in Richtung Innenstadt. Entlang des Kais sitzen gut gekleidete Menschen auf den Terrassen der Cafés - lesen Zeitung oder blicken hinaus aufs blaue Wasser.

    Aker Brygge symbolisiert den Wandel der norwegischen Gesellschaft von einem ärmlich-agrarischen Land zu einer der reichsten Gesellschaften weltweit wie kaum ein anderer Ort. Das ehemalige Werftgelände beherbergt heute ein modernes Geschäfts-, Einkaufs- und Finanzzentrum. Die meisten der namhaften Banken und Versicherungsgesellschaften sind hier vertreten:

    "Die norwegische Wirtschaft ist in einer sehr guten Verfassung. Viele Leute meinen, der alleinige Grund hierfür seien die Öleinkünfte, aber ich denke nicht, dass dies die Sache in ihrem Kern trifft. Norwegen hat bislang ja kaum etwas von dem Geld verbraucht, das es durch das Öl- und Gasgeschäft eingenommen hat. Wir haben es in einen Fonds gesteckt, der das Geld wiederum international angelegt hat. Der Grund, warum es uns wirtschaftlich so gut geht, ist meines Erachtens, dass norwegische Unternehmen wie auch die öffentlichen Behörden eine hohe Produktivität aufweisen. Das ist die eigentliche Grundlage unseres Wohlstandes."

    Doch nicht jeder dürfte diese Auffassung von Harald Magnus Andreassen, Chefökonom bei der norwegischen Investmentgesellschaft First Securities, teilen. Neben dem Fischerei- und dem Schifffahrtssektor hat sich das Öl- und Gasgeschäft zu einer der tragenden Stützen der norwegischen Wirtschaft entwickelt. Knapp 1100 Milliarden norwegische Kronen betrug der Wert des Petroleumsfonds am Ende des ersten Quartals 2005 - umgerechnet etwa 138 Milliarden Euro. Allein in den ersten drei Monaten des laufenden Jahres kamen 9,33 Milliarden Euro hinzu. Welche Summen genau aus dem staatlichen Öl- und Gasgeschäft in den Fonds überführt würden, das, sagt der Chefverwalter des Fonds, Knut Kjær von Norges Bank, ist eine politische Entscheidung:

    "Das Staatsbudget muss jedes Jahr ausgeglichen sein. Und die Einnahmen aus dem Öl- und Gasgeschäft werden dazu verwendet, diesen ausgeglichenen Haushalt herzustellen. Alles Geld darüber hinaus wird in den Petroleumsfonds gesteckt."

    Schon heute verwenden norwegische Politiker mehr Geld zum Ausgleich des öffentlichen Haushalts, als manchem Finanzexperten lieb ist. Chefökonom Harald Magnus Andreassen jedenfalls mahnt die norwegischen Politiker zur Besinnung:

    "Das große Risiko auf längere Sicht ist, dass die Versuchung der Politiker wächst, sich aus dem Petroleumsfonds zu bedienen. Dieser entspricht im Moment etwa dem Wert des norwegischen Bruttonationalproduktes. Und schauen Sie: Man ist ja nicht reich, nur weil man ein Jahresgehalt auf der Bank hat - reich ist man erst, wenn man über mehrere Jahresgehälter auf dem Konto verfügt! Die vielen Milliarden aber können die Menschen dazu verleiten, zu glauben, dass wir reich sind, und dass sich Probleme einfach durch den Griff in den Geldtopf lösen lassen, obwohl das ein wirtschaftliches Ungleichgewicht in Norwegen schaffen würde. Noch dazu würden wir das Geld so auch schneller verbrauchen als vorgesehen. Schließlich haben wir beschlossen, es unseren Kindern zu hinterlassen. Und daran sollten wir auch festhalten."

    Diese Einschätzung aber wird nicht von allen Experten geteilt. Espen Barth Eide etwa, Leiter der internationalen Abteilung im Norwegischen Außenpolitischen Institut, hält einen solch rigiden Sparkurs für gefährlich. Anstatt kommenden Generationen einen riesigen Kapitalfonds zu vererben, sollte das Geld lieber heute investiert werden, um die norwegische Wirtschaft für die Herausforderungen der Globalisierung rechtzeitig rüsten.
    "Man kann diskutieren, ob es uns wirtschaftlich so gut geht. Sicherlich ist die Arbeitslosigkeit niedrig, die Krone stabil, wir haben die Sozialleistungen nicht kürzen müssen, wie dies zum Beispiel in Deutschland in den vergangenen Jahren der Fall war. Doch wir dürfen uns vom Öl- und Gassektor nicht derart abhängig machen. In einigen Jahrzehnten wachen wir so vielleicht auf und stellen fest, dass sich Länder wie Finnland, Schweden, Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Irland rechtzeitig umgestellt und den neuen Herausforderungen angepasst haben, während wir uns auf einen zeitlich begrenzten Wirtschaftssektor konzentriert haben. Und dann werden wir uns ärgern, dass wir nicht einen Teil unserer Reserven genutzt haben, um in neue Technologien und Wirtschaftszweige zu investieren."