Eine deutsche Börsenhändlerin packt aus, wie sie gezockt, gelogen und betrogen hat. "Die Gier war grenzenlos" - betitelt Anne T. ihre anonymen Geständnisse.
"Sieben Jahre lang war ich Händlerin für komplexe strukturierte Produkte, für exotische Derivate und, ja, für eben diese Zertifikate gewesen, Inhaberschuldverschreibungen. Ich war vor dem Crash ausgestiegen, weil das gesamte Business mich ankotzte."
Bei ihrem ersten Geschäft verzockt sie 60.000 Euro, weil sie so langsam ist, aber sie lernt dazu. Im Kreis ihrer geifernden Kollegen, Anne T. ist die einzige Frau im Derivatehandel ihrer Bank und sie beschreibt ihre Kollegen als einen Haufen asozialer Egomanen, lernt sie, immer neue Produkte ohne Wert zu schnüren und mit klangvollen Namen zu versehen. Und die werden dann Stiftungs- und Pensionskassenverwaltern, Kirchenvermögensverwaltern und kleinen Banken verkauft, deren Bilanzen sich kurzfristig aufblähen, wie Teig mit viel zu viel Hefe.
"'Schau, die Option, die wir in unsere Anleihen packen, sieht zwar toll aus, aber sie ist ganz billig. Wir können sie für zwei Drittel des Preises am Brokermarkt einkaufen.' Aha, wir wollten die in der Anleihe versteckte Option also zu einem Wucherpreis verkaufen. Mir fielen fast die Augen aus dem Kopf, ich versuchte aber nicht zu grinsen, sondern mein schon ziemlich gut antrainiertes Pokerface beizubehalten. Ich rechnete nach: Die Prognosen der Vertriebsleute beliefen sich auf 200 Millionen Euro für unser erstes kapitalgarantiertes Anlageprodukt. Wir würden folglich fast 20 Millionen Euro an diesem Produkt verdienen. Unglaublich."
Die Gier also war grenzenlos. Natürlich handelt Anne T. wie ihre bonusgetriebenen Kollegen nur im Dienst am Kunden, der über den Tisch gezogen wird. Strafrechtlich relevant ist ihr Vorgehen nicht. Und die Moral gilt ihr, wie allen Brokern, nur, wenn Aktienkurse sich damit bewegen lassen. Womit sie wieder ein neues Papier erfinden kann, das die Tendenz auch dieses Kurses wettend vermarktet. Ein Wertpapier ohne Gegenwert für neue gierige Kunden.
"Was also sollte man tun?
Es bot sich an, das Risiko zu streuen.
Das gelang am besten, wenn man diese und andere abgefahrene Risiken einfach wieder weiterverkaufte - und zwar mittels exotischer, flexibler und süßer-kreativer Konstrukte."
Anne T. ist nicht die erste, die ausplaudert, wie in den oberen Etagen unserer besten Banken Milliarden verzockt und biedere Sparkassenkunden in den Sog maroder Kredithäuser gezogen worden sind. Vor Jahresfrist kündigte der Staranalyst Geraint Anderson in London seiner deutschen Investmentbank. Monatelang hatte er in der kostenlosen Internetzeitung "the london paper" als Cityboy Insidertricks publik gemacht.
Im Februar 2008, nach dem der letzte Bonus von 500.000 Pfund auf seinem Konto eingegangen war, brach Geraint Anderson mit dem Schweigegelübde seiner Branche. Denn ausgebrannt sind viele. Anspannung, höchste Konzentration beim Lauern auf den Kursverlauf wechselt mit Phasen eintönigen Wartens. Darum, so Anne T., die Zoten und die Infantilität. Ganz abgesehen davon, dass sich die Händler als 'Masters of the Universe' in einem Paralleluniversum wähnen, weil sie mit einem Fingerschlag Millionen gewinnen oder in den Sand setzen können. Alles muss immer ganz schnell gehen, jeder Händler sitzt allein vor seinem Computer, die Bank interessiert ausschließlich der Gewinn. - Solange alles gut geht. Von reellem Handel keine Spur. Der Kleinanleger, der dem Bankberater vertraut, steht da: betrogen und verhöhnt. Das ist die neue Moral der Bank im Internetzeitalter.
Die Händlerin aus Frankfurt will klüger sein als Geraint Anderson. Sie behält ihr Pseudonym, sie nennt sich Anne T., schneidert sich eine Hintertür für ihre Rückkehr zum schnellen Geld. Für den Tag, an dem die Flaute vorüber ist und wenn aus geneppten Kleinanlegern, gedemütigte Steuerzahler, deren Milliarden die Bankenkrise beheben müssen, längst neidische Bestsellerlesermassen geworden sind und der Verkauf ihrer Bekenntnisse abflauen sollte.
Und im Gegensatz zu den Derivaten, hinter deren Fachbegriffen sich nichts anderes verbergen als Kursspekulationen und maue Kreditbücher, hat sie sich fest vorgenommen, dem geneppten Sparer im Buch echte Skandalszenarien zu liefern, die er schon immer in den Banktürmen vermutet hat. Logisch, dass die Broker kein Benehmen haben, selbstverständlich gab es Partys, wo willige Models unterm Tisch - Sie wissen schon.... Na klar - und Judenwitze wurden auch gerissen. Selbstredend von einem englischen Juden namens David. Ein Fressen für die Yellow Press.
Gewiss die anonyme Börsenhändlerin legt Strukturen bloß, doch sie ist feige und nennt keine Namen, hofft auf den schnellen Euro durch ein mittelmäßiges Buch und schminkt dämonisch um, was ein System gewesen ist, das sich bis heute nicht verändert hat. Mit einigen zynischen Typen versehen wird so ein Sittenbild daraus, auf dass das Publikum befriedigt wird, während sich in den oberen Etagen der Bankhäuser das System nicht ändert. So zockt man dreimal ab, zuerst biedere Anleger, die an die Ehre eines Bankers glauben, dann die Steuerzahler, die dem gestrauchelten Betrüger wieder auf die Beine helfen - und als Leser dann die Täterin demütig um ein anonymes Autogramm im frisch erstandenen Geständnis bitten dürfen. Ob das mal aufgeht.
Anne T.: Die Gier war grenzenlos
Econ Verlag, März 2009, 240 Seiten, Euro 18,00
Geraint Anderson: City Boy
Beer and Loathing in the Square Mile
RRP, 36,90 Euro
"Sieben Jahre lang war ich Händlerin für komplexe strukturierte Produkte, für exotische Derivate und, ja, für eben diese Zertifikate gewesen, Inhaberschuldverschreibungen. Ich war vor dem Crash ausgestiegen, weil das gesamte Business mich ankotzte."
Bei ihrem ersten Geschäft verzockt sie 60.000 Euro, weil sie so langsam ist, aber sie lernt dazu. Im Kreis ihrer geifernden Kollegen, Anne T. ist die einzige Frau im Derivatehandel ihrer Bank und sie beschreibt ihre Kollegen als einen Haufen asozialer Egomanen, lernt sie, immer neue Produkte ohne Wert zu schnüren und mit klangvollen Namen zu versehen. Und die werden dann Stiftungs- und Pensionskassenverwaltern, Kirchenvermögensverwaltern und kleinen Banken verkauft, deren Bilanzen sich kurzfristig aufblähen, wie Teig mit viel zu viel Hefe.
"'Schau, die Option, die wir in unsere Anleihen packen, sieht zwar toll aus, aber sie ist ganz billig. Wir können sie für zwei Drittel des Preises am Brokermarkt einkaufen.' Aha, wir wollten die in der Anleihe versteckte Option also zu einem Wucherpreis verkaufen. Mir fielen fast die Augen aus dem Kopf, ich versuchte aber nicht zu grinsen, sondern mein schon ziemlich gut antrainiertes Pokerface beizubehalten. Ich rechnete nach: Die Prognosen der Vertriebsleute beliefen sich auf 200 Millionen Euro für unser erstes kapitalgarantiertes Anlageprodukt. Wir würden folglich fast 20 Millionen Euro an diesem Produkt verdienen. Unglaublich."
Die Gier also war grenzenlos. Natürlich handelt Anne T. wie ihre bonusgetriebenen Kollegen nur im Dienst am Kunden, der über den Tisch gezogen wird. Strafrechtlich relevant ist ihr Vorgehen nicht. Und die Moral gilt ihr, wie allen Brokern, nur, wenn Aktienkurse sich damit bewegen lassen. Womit sie wieder ein neues Papier erfinden kann, das die Tendenz auch dieses Kurses wettend vermarktet. Ein Wertpapier ohne Gegenwert für neue gierige Kunden.
"Was also sollte man tun?
Es bot sich an, das Risiko zu streuen.
Das gelang am besten, wenn man diese und andere abgefahrene Risiken einfach wieder weiterverkaufte - und zwar mittels exotischer, flexibler und süßer-kreativer Konstrukte."
Anne T. ist nicht die erste, die ausplaudert, wie in den oberen Etagen unserer besten Banken Milliarden verzockt und biedere Sparkassenkunden in den Sog maroder Kredithäuser gezogen worden sind. Vor Jahresfrist kündigte der Staranalyst Geraint Anderson in London seiner deutschen Investmentbank. Monatelang hatte er in der kostenlosen Internetzeitung "the london paper" als Cityboy Insidertricks publik gemacht.
Im Februar 2008, nach dem der letzte Bonus von 500.000 Pfund auf seinem Konto eingegangen war, brach Geraint Anderson mit dem Schweigegelübde seiner Branche. Denn ausgebrannt sind viele. Anspannung, höchste Konzentration beim Lauern auf den Kursverlauf wechselt mit Phasen eintönigen Wartens. Darum, so Anne T., die Zoten und die Infantilität. Ganz abgesehen davon, dass sich die Händler als 'Masters of the Universe' in einem Paralleluniversum wähnen, weil sie mit einem Fingerschlag Millionen gewinnen oder in den Sand setzen können. Alles muss immer ganz schnell gehen, jeder Händler sitzt allein vor seinem Computer, die Bank interessiert ausschließlich der Gewinn. - Solange alles gut geht. Von reellem Handel keine Spur. Der Kleinanleger, der dem Bankberater vertraut, steht da: betrogen und verhöhnt. Das ist die neue Moral der Bank im Internetzeitalter.
Die Händlerin aus Frankfurt will klüger sein als Geraint Anderson. Sie behält ihr Pseudonym, sie nennt sich Anne T., schneidert sich eine Hintertür für ihre Rückkehr zum schnellen Geld. Für den Tag, an dem die Flaute vorüber ist und wenn aus geneppten Kleinanlegern, gedemütigte Steuerzahler, deren Milliarden die Bankenkrise beheben müssen, längst neidische Bestsellerlesermassen geworden sind und der Verkauf ihrer Bekenntnisse abflauen sollte.
Und im Gegensatz zu den Derivaten, hinter deren Fachbegriffen sich nichts anderes verbergen als Kursspekulationen und maue Kreditbücher, hat sie sich fest vorgenommen, dem geneppten Sparer im Buch echte Skandalszenarien zu liefern, die er schon immer in den Banktürmen vermutet hat. Logisch, dass die Broker kein Benehmen haben, selbstverständlich gab es Partys, wo willige Models unterm Tisch - Sie wissen schon.... Na klar - und Judenwitze wurden auch gerissen. Selbstredend von einem englischen Juden namens David. Ein Fressen für die Yellow Press.
Gewiss die anonyme Börsenhändlerin legt Strukturen bloß, doch sie ist feige und nennt keine Namen, hofft auf den schnellen Euro durch ein mittelmäßiges Buch und schminkt dämonisch um, was ein System gewesen ist, das sich bis heute nicht verändert hat. Mit einigen zynischen Typen versehen wird so ein Sittenbild daraus, auf dass das Publikum befriedigt wird, während sich in den oberen Etagen der Bankhäuser das System nicht ändert. So zockt man dreimal ab, zuerst biedere Anleger, die an die Ehre eines Bankers glauben, dann die Steuerzahler, die dem gestrauchelten Betrüger wieder auf die Beine helfen - und als Leser dann die Täterin demütig um ein anonymes Autogramm im frisch erstandenen Geständnis bitten dürfen. Ob das mal aufgeht.
Anne T.: Die Gier war grenzenlos
Econ Verlag, März 2009, 240 Seiten, Euro 18,00
Geraint Anderson: City Boy
Beer and Loathing in the Square Mile
RRP, 36,90 Euro