Kindergeschrei, Münzen werden abgezählt, eine Frauenstimme bestellt etwas, Motorengeräusche, Musik im Hintergrund, etc.
Erdbeer oder Heidelbeer? Die junge Frau kann sich nicht recht entscheiden. Sie steht am Kiosk in Käpylä, einem der ältesten Stadtviertel Helsinkis. In der einen Hand die Hundeleine, in der andern ein paar Münzen für das Eis. Der kleine bauchige Kiosk ist zitronengelb gestrichen und hat ein weit auslaufendes Dach, das ihm seinen Namen gibt: Lippakioski. Lippa bedeutet Schirm. Der ist heute aber gar nicht nötig – die Sonne scheint.
"Der schönste Platz für einen Sommertag! Die haben hier den besten Kaffee überhaupt und tolles Eis. Vor allem trifft man immer nette Leute. Der Kiosk beschert uns ein Stück europäische Kultur. Sowas gab's hier bisher nicht, dass man einfach so mit Fremden ins Gespräch kommt."
Es ist einiges los in Käpylä am Ende der Tramlinie I. Dabei ist es nicht allzu lange her, da waren die Rollos heruntergezogen, hässliche Graffitis zogen sich über das helle Holz: Einer der vielen Lippa-Kioske in Helsinki, die auf ihren Abriss warteten. Bis der junge Koch Topi Malmi vor zwei Jahren anfing, ihn wieder auf Vordermann zu bringen.
Topi hat einen roten Vollbart, eine knallgelbe Schirmmütze auf dem Kopf und läuft barfuß herum. Seit acht Uhr am Morgen kocht er Kaffee für all die Leute, die auf dem Sprung sind, auf den Barhockern sitzen oder sich eine Decke für den Park nebenan geliehen haben. Ein junger Mann bringt seine Tasse zurück und stellt sie in die Spülmaschine. Topi legt eine neue Schallplatte auf, finnischer Tango. Sein Kollege schäumt Milch für den nächsten Kaffee. Der Raum ist ganz schön eng für zwei Personen.
"Das sind unsere acht Quadratmeter. Hier ein Ofen, wir backen ja auch selbst. Eine Herdplatte. Die Tassen hier sind vom Flohmarkt. Original aus den 50ern sind leider nur noch der Boden und die Regale."
Den Prototypen dieser Lippa-Kioske entwarf Helsinkis Stadtarchitekt Gunnar Taucher 1938. Weitere entstanden in den 40ern und 50ern, besonders zu den Olympischen Spielen 1952 wurden die kleinen Holzbauten mit ihrem großen Dach zum Wahrzeichen der Stadtkultur. Die Historikerin Anne Mäkinen beschäftigt sich seit Jahren mit Kiosken und hat ein Buch dazu geschrieben.
"Alles fing mit dem schlechten Brunnenwasser an. Wer unterwegs war, brauchte irgendwann etwas zu trinken. Also eröffnete der Getränkehersteller Hartwall Ende des 19. Jahrhunderts die ersten Kioske. Aber in den 30ern waren die so runtergekommen, dass die Stadt Taucher beauftragte, neue zu entwerfen. Die ersten entstanden hier an der Esplanade, das passte zur neuen Flanierkultur: Man spazierte durch die Gegend und kaufte eine Limonade."
Mit den Kiosken kam Leben in die Straßen, die Leute trafen sich an den wettergeschützten Verkaufsbuden auf dem Weg von irgendwo nach irgendwo. Aber dann zogen die großen Ketten ein. Die Lippa-Kioske machten nach und nach dicht, und die Stadt kümmerte sich nicht um diese Kleinode der Stadtkultur. Heute gibt es nur noch 19 Lippa-Kioske in Helsinki. Dass die jetzt zu neuem Leben erwachen, ist ein Zeichen der Zeit, findet Mäkinen.
"Man will die Patina bewahren. Was früher Schmutz genannt wurde, soll heute nicht mehr übermalt werden. Man soll sehen, das Gebäude lebt, hat eine Geschichte. Finnland ist sehr vom Modernismus geprägt, von diesem Weißen und Reinen, fast Sterilen. Aber zum Glück wird das weniger. Und ich finde, das ist sowas Finnisches, so ein Lippa!"
Die Historikerin beobachtet, dass vor allem junge Leute mehr raus gehen, Begegnungen suchen, ihre Stadt gestalten wollen. Aber der Kiosk als ein Stück Alltagsarchitektur ist für viele auch: Erinnerungsort. Oft kommen alte Leute auch in Käpylä vorbei und erzählen, wie sie hier in den 40er-Jahren ihr Eis gekauft haben.
"Es gibt so schöne Liebesgeschichten! Der Kiosk ist eine Bühne fürs Leben, von Geburt bis zum Tod! Ein Bekannter ist mit seiner Frau noch auf dem Weg zur Entbindungsstation hier vorbeigekommen, und auf dem Heimweg sind sie mit dem Baby als allererstes hier hergekommen. Der Kiosk atmet einfach Geschichte."
Der Kiosk ist mittlerweile so beliebt, dass Topi davon seine kleine Familie ernähren kann. Dabei geht es ihm gar nicht ums Geld. Wer grade keins dabei hat, darf auch später zahlen.
Topi organisiert Theateraufführungen, Flohmärkte oder Konzerte. Wer einen Platten hat, kann sein Rad am Kiosk flicken. Und jeden Sonntag steht Brunchen auf dem Programm: Topi stellt den Toaster, das Essen dürfen die Gäste selbst mitbringen. Dass das der Hygienepolizei missfallen könnte, ist nicht das einzige Problem, findet Topis Mitarbeiter Jaakko.
"Finnland ist sowieso schon voller Normen und Vorschriften. Aber heikel finde ich vor allem, dass die Ketten und Großkonzerne die Regeln vorgeben. Ich glaube, die Leute haben das satt!"
Der große Zulauf am Kiosk spricht für sich. Gegenüber prangt an einem Laden ein großes "R", das Zeichen für den R-Kioski, die führende Kioskkette in Finnland. Ein Mann kauft Bier. Ansonsten ist es hier menschenleer.
Erdbeer oder Heidelbeer? Die junge Frau kann sich nicht recht entscheiden. Sie steht am Kiosk in Käpylä, einem der ältesten Stadtviertel Helsinkis. In der einen Hand die Hundeleine, in der andern ein paar Münzen für das Eis. Der kleine bauchige Kiosk ist zitronengelb gestrichen und hat ein weit auslaufendes Dach, das ihm seinen Namen gibt: Lippakioski. Lippa bedeutet Schirm. Der ist heute aber gar nicht nötig – die Sonne scheint.
"Der schönste Platz für einen Sommertag! Die haben hier den besten Kaffee überhaupt und tolles Eis. Vor allem trifft man immer nette Leute. Der Kiosk beschert uns ein Stück europäische Kultur. Sowas gab's hier bisher nicht, dass man einfach so mit Fremden ins Gespräch kommt."
Es ist einiges los in Käpylä am Ende der Tramlinie I. Dabei ist es nicht allzu lange her, da waren die Rollos heruntergezogen, hässliche Graffitis zogen sich über das helle Holz: Einer der vielen Lippa-Kioske in Helsinki, die auf ihren Abriss warteten. Bis der junge Koch Topi Malmi vor zwei Jahren anfing, ihn wieder auf Vordermann zu bringen.
Topi hat einen roten Vollbart, eine knallgelbe Schirmmütze auf dem Kopf und läuft barfuß herum. Seit acht Uhr am Morgen kocht er Kaffee für all die Leute, die auf dem Sprung sind, auf den Barhockern sitzen oder sich eine Decke für den Park nebenan geliehen haben. Ein junger Mann bringt seine Tasse zurück und stellt sie in die Spülmaschine. Topi legt eine neue Schallplatte auf, finnischer Tango. Sein Kollege schäumt Milch für den nächsten Kaffee. Der Raum ist ganz schön eng für zwei Personen.
"Das sind unsere acht Quadratmeter. Hier ein Ofen, wir backen ja auch selbst. Eine Herdplatte. Die Tassen hier sind vom Flohmarkt. Original aus den 50ern sind leider nur noch der Boden und die Regale."
Den Prototypen dieser Lippa-Kioske entwarf Helsinkis Stadtarchitekt Gunnar Taucher 1938. Weitere entstanden in den 40ern und 50ern, besonders zu den Olympischen Spielen 1952 wurden die kleinen Holzbauten mit ihrem großen Dach zum Wahrzeichen der Stadtkultur. Die Historikerin Anne Mäkinen beschäftigt sich seit Jahren mit Kiosken und hat ein Buch dazu geschrieben.
"Alles fing mit dem schlechten Brunnenwasser an. Wer unterwegs war, brauchte irgendwann etwas zu trinken. Also eröffnete der Getränkehersteller Hartwall Ende des 19. Jahrhunderts die ersten Kioske. Aber in den 30ern waren die so runtergekommen, dass die Stadt Taucher beauftragte, neue zu entwerfen. Die ersten entstanden hier an der Esplanade, das passte zur neuen Flanierkultur: Man spazierte durch die Gegend und kaufte eine Limonade."
Mit den Kiosken kam Leben in die Straßen, die Leute trafen sich an den wettergeschützten Verkaufsbuden auf dem Weg von irgendwo nach irgendwo. Aber dann zogen die großen Ketten ein. Die Lippa-Kioske machten nach und nach dicht, und die Stadt kümmerte sich nicht um diese Kleinode der Stadtkultur. Heute gibt es nur noch 19 Lippa-Kioske in Helsinki. Dass die jetzt zu neuem Leben erwachen, ist ein Zeichen der Zeit, findet Mäkinen.
"Man will die Patina bewahren. Was früher Schmutz genannt wurde, soll heute nicht mehr übermalt werden. Man soll sehen, das Gebäude lebt, hat eine Geschichte. Finnland ist sehr vom Modernismus geprägt, von diesem Weißen und Reinen, fast Sterilen. Aber zum Glück wird das weniger. Und ich finde, das ist sowas Finnisches, so ein Lippa!"
Die Historikerin beobachtet, dass vor allem junge Leute mehr raus gehen, Begegnungen suchen, ihre Stadt gestalten wollen. Aber der Kiosk als ein Stück Alltagsarchitektur ist für viele auch: Erinnerungsort. Oft kommen alte Leute auch in Käpylä vorbei und erzählen, wie sie hier in den 40er-Jahren ihr Eis gekauft haben.
"Es gibt so schöne Liebesgeschichten! Der Kiosk ist eine Bühne fürs Leben, von Geburt bis zum Tod! Ein Bekannter ist mit seiner Frau noch auf dem Weg zur Entbindungsstation hier vorbeigekommen, und auf dem Heimweg sind sie mit dem Baby als allererstes hier hergekommen. Der Kiosk atmet einfach Geschichte."
Der Kiosk ist mittlerweile so beliebt, dass Topi davon seine kleine Familie ernähren kann. Dabei geht es ihm gar nicht ums Geld. Wer grade keins dabei hat, darf auch später zahlen.
Topi organisiert Theateraufführungen, Flohmärkte oder Konzerte. Wer einen Platten hat, kann sein Rad am Kiosk flicken. Und jeden Sonntag steht Brunchen auf dem Programm: Topi stellt den Toaster, das Essen dürfen die Gäste selbst mitbringen. Dass das der Hygienepolizei missfallen könnte, ist nicht das einzige Problem, findet Topis Mitarbeiter Jaakko.
"Finnland ist sowieso schon voller Normen und Vorschriften. Aber heikel finde ich vor allem, dass die Ketten und Großkonzerne die Regeln vorgeben. Ich glaube, die Leute haben das satt!"
Der große Zulauf am Kiosk spricht für sich. Gegenüber prangt an einem Laden ein großes "R", das Zeichen für den R-Kioski, die führende Kioskkette in Finnland. Ein Mann kauft Bier. Ansonsten ist es hier menschenleer.