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Eine Chronik der Neugier

Telefonüberwachung, Vorratsdatenspeicherung, Bundestrojaner - der Gesetzgeber lässt sich zahlreiche Werkzeuge einfallen, um viele Bürger zu durchleuchten, um wenige Gefahrenträger aufzudecken. Kritiker sorgen sich indes um den Umgang mit dem dabei anfallenden Datenwust. Computer und Kommunikation stellte dazu eine kleine Chronik zusammen.

Von Pia Grund-Ludwig | 19.05.2007
    Die Debatte um den Spagat zwischen staatlichen Datenhunger einerseits und Schutz der Privatsphäre andererseits ist ein Dauerbrenner der politischen Auseinandersetzungen. Ein erster Höhepunkt: Die Volkszählung. Am 30. März 1983 findet dazu die aktuelle Stunde im Bundestag statt. Die Partei der Grünen ist erstmals im Bundesparlament vertreten. Nach einer flapsigen Begrüßung mit "Liebe Gäste", die ihm einen ersten Lacherfolg einbringt, bringt es der Abgeordnete der Grünen, Klaus Hecker, in seiner Jungfernrede auf den Punkt: die Auseinandersetzung um die Volkszählung koppelt außerparlamentarischen Protest und Debatte im Parlament.

    "Erst der Einzug der Grünen in den Bundestag führt dazu, dass von diesem Redepult aus der Widerstand in dieses Parlament hineingetragen werden kann. Das ist auch bitterernst nötig. Denn Hunderttausende von Bürgern und Bürgerinnen haben sich inzwischen zusammengefunden, die sich dieser Totalerfassung widersetzen wollen."

    Alle Menschen in der Bundesrepublik Deutschland sollen Auskunft geben, unter anderem über ihren Wohnort, Ausbildung und Einkommen. Dagegen regt sich Widerstand, die Grünen rufen zum Boykott auf. Die FDP-Politiker Gerhart Baum und Burkhard Hirsch werfen den Grünen vor, falsche Hysterie zu schüren. Die oppositionelle SPD, unter anderem vertreten durch Herta Däubler-Gmelin, fordert Nachbesserungen des Gesetzes. Bundeswirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff, FDP, weist alle Kritik mit ökonomischen Argumenten zurück. Der Staat brauche zuverlässige Planungsdaten.

    "Wir können keine vorausschauende Wirtschafts-, Wohnungsbau-, Struktur-, Arbeitsmarkt-, Renten- und Finanzpolitik betreiben, wenn wir nicht mehr wissen, wenn wir uns hier, - ich sage das sehr deutlich - volkswirtschaftlich und statistisch auf den Zustand eines Entwicklungslands zubewegen."

    Das Bundesverfassungsgericht muss den Konflikt lösen und spricht das denkwürdige "Volkszählungsurteil". Die Verfassungsrichter äußern in ihrer Urteilsbegründung Verständnis für die Bedenken der Bürger:

    "Die Möglichkeiten der modernen Datenverarbeitung sind weithin nur noch für Fachleute durchschaubar und können beim Staatsbürger die Furcht vor einer unkontrollierbaren Persönlichkeitserfassung selbst dann auslösen, wenn der Gesetzgeber lediglich solche Angaben verlangt, die erforderlich und zumutbar sind."

    Die Erhebung selbst sei rechtens, entscheiden die Verfassungsrichter, in der Durchführung müsse aber die

    "informationelle Selbstbestbestimmung"

    gesichert werden. Die Möglichkeiten der Datenverarbeitung schaffen in den 80er Jahren immer neue Begehrlichkeiten bei den Sicherheitsbehörden. In den USA wird über den so genannten Clipper-Chip diskutiert. Er soll in den jeden PC eingebaut werden. Er kann Daten verschlüsseln, staatliche Behörden haben aber die Möglichkeit, diese zu entschlüsseln. Bundesinnenminister Manfred Kanther, CDU, fordert das im April 1997 bei einer Tagung des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik auch für Deutschland:

    "Es muss eine Regelung geben, die verbindlich den Gebrauch von solchen Systemen vorschreibt, bei denen das legale Abhören möglich ist. Ich halte das für berechtigt."

    Kanthers Pläne erweisen sich als nicht durchsetzbar. Mit dem 11. September 2001 wird alles anders. Es verschieben sich die Gewichte zwischen Sicherheitsbelangen und Freiheitsrechten. Mit der Antiterrordatei etwa. Sie vernetzt Informationen aus 38 Polizeibehörden und Nachrichtendiensten des Bundes und der Länder. Das gab es vorher nicht. CDU-Innenminister Wolfgang Schäuble nimmt das Internet stärker ins Visier: Er will das Recht auf Online-Durchsuchungen von PCs. Der Staat müsse sich der Gefahr stellen, so Schäubles Argument, denn:

    "Auf selbst verordnete Blindheit nehmen Terroristen keine Rücksicht."

    Staatlich entwickelte Schnüffelsoftware, die solche Durchsuchungen ermöglicht, untersagt der Bundesgerichtshof mangels gesetzlicher Grundlage im Januar. Justizministerin Brigitte Zypries vom Koalitionspartner SPD fordert eine gründliche Debatte. Online-Durchsuchungen von PCs griffen in die Privatsphäre ein, mahnt sie:

    "Benutzer legen private Tagebücher an, speichern private Bilder auf den Rechnern, machen ihre Terminplanung in elektronischen Programmen. Eingriffe in diesen Bereich sind verfassungsrechtlich äußerst heikel."

    Der jetzige Bundesinnenminister nutzt jede sich bietende Gelegenheit, den "Bundestrojaner" erneut ins Gedächtnis zu rufen. Erst diese Woche hat Wolfgang Schäuble bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts die Online-Durchsuchung wieder ins Gespräch gebracht. Wenn die nicht rechtens sei, dann müsse man eben das Grundgesetz ändern.