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Eine Doping-Läuferin als Vorbild?

Die Hall of Fame, die Ruhmeshalle des deutschen Sports, ist 2008 als Initiative der Stiftung Deutsche Sporthilfe gestartet worden. Jetzt dringt durch, dass die Sporthilfe neben Anderen auch den Radsportler Täve Schur und die Leichtathletik-Olympiasiegerin Renate Stecher als Kandidaten für die Hall of Fame nominiert hat.

Von Thomas Purschke | 25.04.2011
    Die Sprinterin Renate Stecher vom einstigen DDR-Sportklub Motor Jena gewann sechs Olympia-Medaillen und ist die erfolgreichste deutsche Leichtathletin bei Olympischen Sommerspielen. 1972 in München, bei den Spielen im Land des "Klassenfeindes", wie es damals in Ostberlin hieß, siegte Stecher über 100 und 200 Meter und musste sich nur in der 4x100-Meter-Staffel auf der Zielgeraden knapp der Westdeutschen Heide Rosendahl geschlagen geben. Stecher war 1973 die erste Frau der Welt, die die 100 Meter unter elf Sekunden lief. 1976 in Montreal gewann sie Gold mit der DDR-Sprint-Staffel.

    Die sportliche Bilanz der Renate Stecher ist einer Hall of Fame würdig. Aber wie kamen diese Erfolge zustande? Einen bemerkenswerten Beleg für frühes Dopen findet sich schon im Jahre 1970 bei der 20-jährigen Stecher. In der Stasi-Akte des einst führenden Sportmediziners der DDR, Manfred Höppner, die dem Deutschlandfunk vorliegt, ist der Dopingmissbrauch der Läuferin, die damals noch ihren Mädchennamen Meissner trug, dokumentiert.

    Der Führungsoffizier, Stasi-Leutnant Neudel, berichtete schriftlich am 1. Oktober 1970 nach einem konspirativen Treff mit Höppner, der den Decknamen "IM Technik" hatte:

    "Die Anwendung von Anabolika erfolgt versuchsweise fast in allen Klubs natürlich nur bei einem ausgesuchten Personenkreis. ... Die Durchführung derartiger Versuche wurde mit dem Vizepräsidenten des Deutschen Turn- und Sport-Bundes der DDR, Genosse Orzechowski, abgesprochen und durch diesen genehmigt. In den nächsten Tagen erfolgt eine nochmalige Vergatterung der entsprechenden Ärzte. ... Indiskretionen erfolgen auch durch die Ärzte selbst, um offensichtlich ihr eigenes Prestige zu erhöhen und sich selbst interessant zu machen. So hat zum Beispiel Dr. Johannes Roth in der Bezirksleitung Gera der SED zum Ausdruck gebracht, dass die Renate Meissner und Wolfgang Nordwig nicht solche Leistungen vollbracht hätten, wenn nicht er diese mit den entsprechenden Medikamenten versorgt hätte ... ."

    Die heute 60-jährige Diplomsportlehrerin Renate Stecher, die beim Thüringer Studentenwerk in Jena tätig ist, leugnet bis heute den Dopingmissbrauch; mehrfach hat sie erklärt, nie gedopt zu haben. Das kam selbst in ihrer Umgebung nicht gut an. Ihr früherer Klubkamerad, der Sprinter Michael Droese, hatte bereits 1998 gegenüber dem SPIEGEL erklärt, dass ihn diese "Lügen" erzürnten.

    Renate Stechers langjähriger Trainer in Jena, Horst-Dieter Hille, hatte in einem Ermittlungsverfahren in den 90er-Jahren zum Staatsdoping in der DDR ein umfassendes Geständnis über seine Dopingpraktiken abgelegt. Seit 1970 ist die Athletin mit dem einstigen 400-Meter-Hürdenläufer Gerd Stecher verheiratet. Er hatte sich 1968 unter dem Decknamen "IM Rudolf Baum" zur Zusammenarbeit mit dem DDR-Geheimdienst verpflichtet. In der Spitzelakte von Gerd Stecher, der nach Ende seiner Sportlerkarriere Trainer in Jena wurde, findet sich der Bericht eines wichtigen Stasi-Mitarbeiters. Er berichtet 1982:

    "Gerd Stecher kennt alle trainingsmethodischen Erkenntnisse von Hille, alle Einsätze von 'Unterstützenden Mitteln' und alle Forschungsvorhaben sowie Auswertungen. Er versucht natürlich, sich diesen Erfahrungsquell zu erhalten und alles bis ins Detail zu nutzen sowie weiter zu optimieren."

    Der Heidelberger Molekularbiologe Werner Franke kritisiert, dass sich der Deutsche Leichtathletik-Verband für diese Vorgänge nicht interessiert und weiterhin Doping-Rekorde in seiner Bestenliste führt, so, als gebe es keine handfesten Erkenntnisse. Franke bezeichnet den DLV gern auch als "Deutschen Lügen-Verband".

    Auch die Stiftung Deutsche Sporthilfe hat trotz alledem Stecher als Kandidatin für die Aufnahme in die "Hall of Fame" vorgesehen. Wer dort aufgenommen wird, soll auch menschlich Größe bewiesen haben. Tatsache ist: Als nach der politischen Wende in Deutschland die Australierin Raelene Boyle nach Jena kam und mit Renate Stecher über das Doping-Problem reden wollte, verweigerte sich die Deutsche dem Wunsch ihrer früheren Konkurrentin. In München war die Australierin über 100 und 200 Meter nur jeweils Zweite geworden. Noch heute fühlt sich die Australierin um den Olympiasieg betrogen.