Eine schmutzige Straße, billige Reihenhäuschen, ein Stück Brachland, eine Eisenbahnbrücke. Dann eine dicke rote Steinmauer, und hinter einem schweren Eisengitter eine Reihe massiver Backsteingebäude. Große Bogenfenster, viktorianische Zierfassaden, Kreuzgänge, ein über 100 m hoher Kamin. Eine Portiersloge, hinter dem Glasschalter: eine junge schwarzen Concierge, zwei schwarze Wächter, mehrere Sicherheitskameras.
"Willkommen in unserer kleinen Welt", Midge, groß, fit, blond, blaue Augen, um die 30, Jeans. Midge ist Journalist beim Daily Telegraph, dem Blatt, das schon vor Jahren den Massen-Exodus der Fleet Street in Richtung Ostlondon antrat.
Midge wohnt erst seit ein paar Monaten in Bow Quarter. Das hätte er selbst nicht gedacht, dass er als ehemaliger Linker ausgerechnet in einer "gated community"- einer abgeriegelten Wohnanlage - landen würde. Halb stolz, halb verlegen deutet er auf die Sehenswürdigkeiten seiner neuen Residenz.
Springbrunnen, Landschaftsgärten, Karpfenteiche, eine Picknickwiese. Eine viktorianische Telefonzelle und sogar ein altmodischer roter Briefkasten. Bow Quarter ist ein kleines Dorf, es hat 700 verschiedene Wohnungen, deren Bewohner sich stets freundlich grüßen. Kaum einer ist über dreißig. Die meisten verdienen 90 000 Euro im Jahr. Man trifft sich in der kommunalen Bar, am Pool, im Jacuzzi, auf der Sonnenterrasse.
Viermal die Woche geht Midge ins Fitnesszentrum - morgens um kurz nach acht. Als fauler Journalist sei er meistens der Letzte. Die andern starten schon um 7 voll durch. Die Finanzmärkte dulden keine Langschläfer. Am Wochenende lädt Midge seine Freunde in die Sauna ein. Die Extras sind in den Service Charges - den Grundgebühren inbegriffen: stolze 2000 Pfund pro Jahr - 3000 Euro.
Wenn Midge um Mitternacht Lust auf Milch und Frühstücksflocken hat, huscht er zum Bow Quarter Shop - und nimmt auch gleich noch ein paar frische Brötchen mit. Manchmal leiht er sich eine DVD aus, greift zu einem Fläschchen Wein - die Auswahl ist riesig, die Preise sind unverschämt. Sollte Midge total einsam und verzweifelt sein - ironisches Ginsen - geht er in den kommunalen Pub, zum Billiardspielen, Satellitenfernsehen, oder Spielautomaten. Bestellt sich ein Sushi oder Rinder- und Ale-Pastete. Einsiedlern wird das Essen in die Wohnung geliefert.
Midge hat ein "kleines" Studio Apartment. Riesige Fenster. Hohe Räume. Eine steile Treppe zur Zwischendecke: in der Ecke ein Teddybär, eine Grünpflanze. Midge grinst. Die ideale Höhle für einen Junggesellen. Davor lebte er in West Kensington: ein teures Pflaster, voller langweiliger weißer Mittelschichtsbriten. In Bow bekommt er mehr für sein Geld, ist in 10 Autominuten in seiner Redaktion, und lebt in einem Viertel, das viel bunter und interessanter ist als alle anderen Teile von London. Midge gerät ins Schwärmen. Das Viertel strotzt vor Gegensätzen: kapitalistische Glaspaläste, schmuddelige Straßenmärkte. Reiche Banker, arme Immigranten.
Midge gibt zu, das er sich als Implantat fühlt. Abgeriegelte Wohnanlagen wie Bow Quarter sind umstritten. Sie werden als Inseln der weißen Mittelschicht gebranntmarkt, schüren Ressentiments bei weniger privilegierten Anliegern. Gleich nebenan wird das olympische Dorf gebaut. Eigentlich sollte Midge sich freuen. Wenn er Glück hat, kann er seine Bude für eine Million verkaufen. Wieder das schräge Grinsen.
Midge bezweifelt, ob sich die Londoner wirklich für die Olympiade begeistern. Das wird sie eine Menge Geld kosten, sagt er. "Außerdem können wir Briten einfach nicht richtig organisieren. Unsere Züge sind nicht pünktlich, unsere Bauprojekte werden nicht fertig, neugebaute Brücken wackeln. Da kommen alle möglichen Probleme auf uns zu."
Die kommunale Sonnenterrasse, mit Grüppchen junger cocktailtrinkender Yuppies. Nur zögerlich rückt Midge mit seiner Lebensgeschichte heraus. Jura-Studium an der Eliteuniversität Oxford, sieben Jahre Anwalt in der City, viel Geld, noch mehr Stress, Endstation Burnout. Danach sattelte Midge um, studierte Journalismus. Arbeitete für Teenager-Zeitschriften, Modemagazine. Immerhin sei er inzwischen zum Telegraph avanciert, sagt er trocken. Dort habe er sich einen Traumjob geangelt: Fernsehrezensionen. Jetzt kann er so viel vor der Glotze sitzen wie er will und wird noch dafür bezahlt.
Midge steht auf, er hat eine Verabredung in der Stadt. Sein Auto steht direkt vor Bow Quarter - ein verdellter alter Ford. Midge entfernt die Diebstahlsicherung und sagt verlegen: Die Gegend ist nun mal unsicher.
"Willkommen in unserer kleinen Welt", Midge, groß, fit, blond, blaue Augen, um die 30, Jeans. Midge ist Journalist beim Daily Telegraph, dem Blatt, das schon vor Jahren den Massen-Exodus der Fleet Street in Richtung Ostlondon antrat.
Midge wohnt erst seit ein paar Monaten in Bow Quarter. Das hätte er selbst nicht gedacht, dass er als ehemaliger Linker ausgerechnet in einer "gated community"- einer abgeriegelten Wohnanlage - landen würde. Halb stolz, halb verlegen deutet er auf die Sehenswürdigkeiten seiner neuen Residenz.
Springbrunnen, Landschaftsgärten, Karpfenteiche, eine Picknickwiese. Eine viktorianische Telefonzelle und sogar ein altmodischer roter Briefkasten. Bow Quarter ist ein kleines Dorf, es hat 700 verschiedene Wohnungen, deren Bewohner sich stets freundlich grüßen. Kaum einer ist über dreißig. Die meisten verdienen 90 000 Euro im Jahr. Man trifft sich in der kommunalen Bar, am Pool, im Jacuzzi, auf der Sonnenterrasse.
Viermal die Woche geht Midge ins Fitnesszentrum - morgens um kurz nach acht. Als fauler Journalist sei er meistens der Letzte. Die andern starten schon um 7 voll durch. Die Finanzmärkte dulden keine Langschläfer. Am Wochenende lädt Midge seine Freunde in die Sauna ein. Die Extras sind in den Service Charges - den Grundgebühren inbegriffen: stolze 2000 Pfund pro Jahr - 3000 Euro.
Wenn Midge um Mitternacht Lust auf Milch und Frühstücksflocken hat, huscht er zum Bow Quarter Shop - und nimmt auch gleich noch ein paar frische Brötchen mit. Manchmal leiht er sich eine DVD aus, greift zu einem Fläschchen Wein - die Auswahl ist riesig, die Preise sind unverschämt. Sollte Midge total einsam und verzweifelt sein - ironisches Ginsen - geht er in den kommunalen Pub, zum Billiardspielen, Satellitenfernsehen, oder Spielautomaten. Bestellt sich ein Sushi oder Rinder- und Ale-Pastete. Einsiedlern wird das Essen in die Wohnung geliefert.
Midge hat ein "kleines" Studio Apartment. Riesige Fenster. Hohe Räume. Eine steile Treppe zur Zwischendecke: in der Ecke ein Teddybär, eine Grünpflanze. Midge grinst. Die ideale Höhle für einen Junggesellen. Davor lebte er in West Kensington: ein teures Pflaster, voller langweiliger weißer Mittelschichtsbriten. In Bow bekommt er mehr für sein Geld, ist in 10 Autominuten in seiner Redaktion, und lebt in einem Viertel, das viel bunter und interessanter ist als alle anderen Teile von London. Midge gerät ins Schwärmen. Das Viertel strotzt vor Gegensätzen: kapitalistische Glaspaläste, schmuddelige Straßenmärkte. Reiche Banker, arme Immigranten.
Midge gibt zu, das er sich als Implantat fühlt. Abgeriegelte Wohnanlagen wie Bow Quarter sind umstritten. Sie werden als Inseln der weißen Mittelschicht gebranntmarkt, schüren Ressentiments bei weniger privilegierten Anliegern. Gleich nebenan wird das olympische Dorf gebaut. Eigentlich sollte Midge sich freuen. Wenn er Glück hat, kann er seine Bude für eine Million verkaufen. Wieder das schräge Grinsen.
Midge bezweifelt, ob sich die Londoner wirklich für die Olympiade begeistern. Das wird sie eine Menge Geld kosten, sagt er. "Außerdem können wir Briten einfach nicht richtig organisieren. Unsere Züge sind nicht pünktlich, unsere Bauprojekte werden nicht fertig, neugebaute Brücken wackeln. Da kommen alle möglichen Probleme auf uns zu."
Die kommunale Sonnenterrasse, mit Grüppchen junger cocktailtrinkender Yuppies. Nur zögerlich rückt Midge mit seiner Lebensgeschichte heraus. Jura-Studium an der Eliteuniversität Oxford, sieben Jahre Anwalt in der City, viel Geld, noch mehr Stress, Endstation Burnout. Danach sattelte Midge um, studierte Journalismus. Arbeitete für Teenager-Zeitschriften, Modemagazine. Immerhin sei er inzwischen zum Telegraph avanciert, sagt er trocken. Dort habe er sich einen Traumjob geangelt: Fernsehrezensionen. Jetzt kann er so viel vor der Glotze sitzen wie er will und wird noch dafür bezahlt.
Midge steht auf, er hat eine Verabredung in der Stadt. Sein Auto steht direkt vor Bow Quarter - ein verdellter alter Ford. Midge entfernt die Diebstahlsicherung und sagt verlegen: Die Gegend ist nun mal unsicher.