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Eine Extraration Butter und eine Dauerwurst

In seiner "Erntedank-Rede" kündigt Reichsmarschall Hermann Göring die Lebensmittelversorgung des Deutschen Reiches auf Kosten der besetzten Ost-Gebiete an. Mit dem Abtransport von Millonen Tonnen Lebensmitteln wurden die Sowjetbürger dem Hunger ausgeliefert.

Von Matthias Bertsch | 04.10.2012
    "Der Großdeutsche Rundfunk überträgt auf alle deutschen Sender eine Großkundgebung der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei am Erntedank-Tag des Deutschen Volkes mit einer Rede des Reichsmarschalls Hermann Göring."

    Als Hermann Göring am 4. Oktober 1942 im Berliner Sportpalast vor Tausenden von Parteigenossen ans Mikrofon trat, befand sich das Deutsche Reich längst in der Defensive: Der Vormarsch in der Sowjetunion war zum Erliegen gekommen, die Alliierten flogen regelmäßig Luftangriffe auf deutsche Städte, die Lebensmittelrationen waren eingeschränkt und es drohte ein harter Winter. Doch als Beauftragter für den Vierjahresplan hatte Göring vor allem ein Interesse: die Versorgungslage im Reich möglichst positiv darzustellen.

    Originalton Göring:
    "Ich bin sehr dafür, dass die von uns eroberten Gebiete, dass die Bevölkerung dort nicht Hunger leidet, wenn aber durch Maßnahmen des Gegners Schwierigkeiten in der Ernährung auftreten, dann sollen es alle wissen: Wenn gehungert wird, in Deutschland auf keinen Fall."

    Karl-Heinz Fix:
    "Der Punkt, der sich durch die ganze Rede durchzieht, ist das Trauma der Blockade Deutschlands im Ersten Weltkrieg durch die Feindmächte, die dazu führt, dass Deutschland hungert. Da erklärt Göring wiederholt, das wird nicht mehr passieren, wenn einer hungert, dann die anderen, wir nicht."

    Der Historiker Karl-Heinz Fix von der Forschungsstelle für kirchliche Zeitgeschichte an der Universität München hat sich intensiv mit Görings Rede beschäftigt – und auch mit dessen "Ernte"-begriff.

    Karl-Heinz Fix:
    "Ernte wird erweitert jenseits des Einbringens der Feldfrüchte eben auch auf die Eroberung fruchtbarer Gebiete im Osten, insbesondere natürlich in der Sowjetunion."

    Originalton Göring:
    "Vergesst nicht, dass es die besten Gebiete sind, die wir den Russen fortgenommen haben. Im Sumpf ist es uninteressant, können sie selber stecken bleiben. Wir wollten uns nicht in der Richtung ausdehnen, um selber da also so Kriechtiere zu werden, sondern wir haben uns da schon richtig vorgesehen und das genommen, was zweckmäßig ist. Wir mussten heraus aus der Enge und danken wir dem Allmächtigen, dem Führer und unseren tapferen Soldaten, dass sie die Enge gesprengt haben und die Weite des Raumes für das deutsche Volk geöffnet ist."

    Karl-Heinz Fix:
    "Das ist von Anfang an das Programm des Nationalsozialismus, eben die Eroberung des Lebensraums im Osten zur Sicherung der deutschen Ernährung, zur Sicherung der deutschen Bevölkerung, die dort neuen Siedlungsraum bekommen soll. Hitler war schon seit 'Mein Kampf' befangen von der Vorstellung, Deutschland hat zu wenig Raum. Hitler wusste, Kolonien kommen für Deutschland nicht infrage, die einzige Möglichkeit der Expansion ist nach Osten."

    Im Unterschied zu Reichspropagandaminister Joseph Goebbels, der vier Monate später am selben Ort seine berüchtigte Sportpalast-Rede hielt, gibt sich Göring weniger als Scharfmacher denn als einfacher Mann, der mit den alltäglichen Sorgen des Volkes bestens vertraut ist: Er lobt die deutschen Bauern, gibt Tipps, wie sich Kartoffeln einlagern lassen, und verspricht den Soldaten auf Heimaturlaub eine Extraration Butter und eine Dauerwurst. Doch hinter dieser väterlichen Fassade steckt die Rassenideologie der Nationalsozialisten. Während mehrere Millionen Tonnen Getreide, Fleisch und Kartoffeln aus den besetzten Ostgebieten nach Deutschland gebracht werden, um Engpässe an der Heimatfront auszugleichen, werden in der Sowjetunion unzählige Menschen dem Hungertod überlassen. Historiker schätzen ihre Zahl auf rund vier Millionen. Göring selbst hatte schon im Herbst 1941 deutlich gemacht, dass er auch 20 bis 30 Millionen sogenannter "slawischer Untermenschen" verhungern lassen würde: Vernichtung durch Hunger. Der Hauptfeind, den es zu vernichten gilt, ist allerdings ein anderer – egal ob im "bolschewistischen Osten" oder im "kapitalistischen Westen" - auch daran lässt der Reichsmarschall in seiner Rede keinen Zweifel.

    Originalton Göring:
    "Dieser Krieg ist nicht der Zweite Weltkrieg, dieser Krieg ist der große Rassenkrieg, ob hier der Germane und Arier steht oder ob der Jude die Welt beherrscht, darum geht es letzten Dinges und darum kämpfen wir draußen."

    Karl-Heinz Fix:
    "Diese Passage zum Judentum bringt Göring am Ende und es ist bemerkenswert: An keiner Stelle ist er so aggressiv wie an dieser Stelle, und das ist letztendlich auch nur eine Fortsetzung dessen, was Hitler seit Beginn des Zweiten Weltkriegs zum besten gegeben hat: Es wird auf einen Endkampf zwischen arisch-deutscher Rasse und dem Judentum hinauslaufen."