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Eine Fahrt ins Grüne

In Dürrezeiten müssen australische Farmer um ihren Verdienst, ihre Existenz bangen. Um ihnen eine Auszeit im Kampf um Land und Vieh zu ermöglichen, lädt der neuseeländische Farmerverband die "Nachbarn" zu einem kostenlosen Besuch nach Neuseeeland ein: Urlaub auf einer Farm im Grünen.

Von Andreas Stummer |
    Warwick, eine Rinderfarm im fast menschenleeren Outback, versiegte Flüsse, ausgetrocknete Seen und leere Dämme: Im früher so fruchtbaren Weideland, rund 1200 Kilometer östlich von Brisbane, hat Australiens nicht enden wollende Trockenheit ganze Arbeit geleistet. Vor der großen Dürre besaß Farmer Terry Coy 9000 Stück Vieh. Jetzt, nach drei Jahren ohne einen Tropfen Regen, sind es noch 200; seine Zuchttiere. Kostbares Wasser muss mit dem Tankwagen von weit hergeholt werden, doch aufgeben will Terry Coy nicht - noch nicht.

    "Man muss einfach die Zähne zusammenbeißen und durchhalten. Auch wenn ich mich frage, ob es das alles wirklich wert ist. Die Dürre wird immer schlimmer. Ich war schon oft kurz davor, einfach alles hinzuwerfen. Aber wir sind mit Leib und Seele Farmer und deshalb geben wir nicht auf und machen weiter."

    Die Blumenbeete und der Gemüsegarten sind längst verdorrt. Eine volle Badewanne muss für die ganze Familie reichen. Erst werden darin die Kinder gebadet, anschließend noch die Wäsche gewaschen. Das Geschirr bleibt im Küchenschrank, Terrys Frau Marie serviert das Essen seit Monaten nur noch auf Papptellern. Die Coys sind nicht nur mit ihren Ersparnissen, sondern auch mit den Nerven am Ende.

    "Mein Mann hätte Ferien dringend nötig. Er muss einfach einmal weg von der Farm, damit er auf andere Gedanken kommt. Eigentlich möchten wir nicht alles einfach so zurücklassen. Aber vielleicht könnte er dann seine Probleme wenigstens für kurze Zeit vergessen."

    Doch für Ferien haben die Coys kein Geld. Dann aber hören sie von einem unwiderstehlichen Angebot: von Gratis-Urlaub in Neuseeland - Nachbarschaftshilfe und Tapetenwechsel für dürregeplagte, australische Farmer. Flug und Unterkunft werden vom neuseeländischen Bauernverband bezahlt. Mehr als 200 Farmersfamilien aus ganz Australien bewerben sich, 40 werden ausgewählt, darunter auch die Coys. Drei Wochen später sind Terry und Marie, Bruder Jeff mit Frau Diane und die Kinder unterwegs nach Neuseeland.

    Schneebedeckte Berge, Flüsse und Seen, spinatgrüne Weiden und grasende Schafe: Schon beim Anflug auf Neuseeland trauen die Coys ihren Augen nicht.

    "Bis hoch in die Berge ist hier alles grün. So weit man sehen kann. Das ist unglaublich. Freunde haben mich vorgewarnt, aber es ist noch viel grüner als ich mir das vorgestellt hatte."

    Am Flughafen von Christchurch werden die Coys von ihrer Gastfamilie abgeholt. Die Bennetts halten Schafe und Milchkühe. Aus dem Fernsehen wissen sie, wie sehr die Farmer in Australien auf dem Trockenen sitzen. Für Karen Bennett war es Ehrensache zu helfen.

    "Der neuseeländische Farmerverband hat seine Mitglieder darum gebeten, australische Farmer aus Dürregebieten bei sich aufzunehmen. Wir haben sofort zugesagt und versuchen, es ihnen so angenehm wie möglich zu machen."

    Alan Bennett ist es fast peinlich, seinen Gästen die Farm zu zeigen. "Wenn es bei uns drei Wochen lang nicht regnet, werden wir schon ungeduldig", sagt er. Nach ein paar Schritten über eine sattgrüne Weide klebt Schlamm an den Gummistiefeln der Farmer: ein Gefühl, das die Coys schon längst vergessen hatten.

    "Es ist lange her, dass ich den Geruch von frischem Gras in der Nase hatte. Es riecht wundervoll."

    "Die Kinder sind sofort auf einen kleinen Bach zugerannt. Es war großartig wieder einmal klares Wasser auf der Haut zu spüren."

    Die Kinder gehen Bungy-Springen und fischen, sind mit dem Kanu und den Mountainbikes unterwegs. Ihren Eltern aber genügen schon ein paar Ausflüge ins Grüne, um auf andere Gedanken zu kommen.

    "Die Gastfreundschaft, die wir in Neuseeland erlebt haben, war einfach überwältigend. Ich könnte mir gut vorstellen dort zu leben."

    "Es hat gut getan, die Farm in Australien, den Stress und vor allem die Dürre für eine Weile zu vergessen. Und es ist schön zu wissen, dass andere für einen da sind, wenn es einem nicht so gut geht."

    Der Abschied von Familie Bennett nach zehn Tagen Neuseeland fiel den Coys schwer. Doch kaum waren sie zurück in Australien und auf ihrer Farm, begann es zu regnen: 84 Millimeter, soviel wie seit zwölf Jahren nicht mehr. Die Dürre ist damit noch lange nicht vorüber, aber die Coys haben wieder Hoffnung, dass sie ihr Vieh und ihren Familienbesitz retten können. Die Bennetts schickten ihnen einen Regenschirm und eine Einladung, sie an Ostern doch wieder besuchen zu kommen, denn in Neuseeland hat man nun mal viel näher am Wasser gebaut.

    "Wir Farmer halten zusammen und helfen uns gegenseitig, durch dick und dünn. Das gilt für unsere Landsleute genauso wie für unsere Nachbarn."