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Eine feine Gesellschaft

Im Burgenländischen Rechnitz sollen die Gäste eines Festes der Gräfin Batthyány - allesamt einheimische Nazi-Prominenz - im März 1945 ein Massaker an jüdischen Zwangsarbeitern begangen haben - so die Recherchen des Journalisten David Litchfield. Was wirklich in jener Nacht geschah, ist nicht restlos geklärt. Elfriede Jelinek bemüht sich in ihrem Stück "Rechnitz (Der Würgeengel)" auch nicht um eine detailgetreue Rekonstruktion der Ereignisse, sondern webt eine weitere Vorlage, den Film "Würgeengel" des Surrealisten Luis Bunuel, dazu.

Von Cornelie Ueding | 29.11.2008
    Drei Herren und zwei Damen in Abendkleidung; Einzelstimmen, aber aufeinander abgestimmt wie Conférenciers. Die Animateure versprechen ein Theater-Event, sie tänzeln, lächeln, winken und laden dazu ein, ein beispiellos sadistisches Mordspektakel aus den letzten Kriegstagen 1945 - zu verharmlosen. Sie sind Spezialisten für Rechtfertigungsangebote: die bekannten Fakten werden mit Worten eingekleidet und professionell bemäntelt. Ein Event über ein Event eben. Der doppelte Boden hat freilich, wie immer bei Elfriede Jelinek, gleich mehrere Zwischenschichten, in die sie mit ihrer kontrolliert assoziativen Sprache eindringt. Die Sprachspiele der lächelnden Boten sind verräterisch. Und ihr Ton straft sie Lügen. Uraufführungsregisseur Jossi Wieler gilt als herausragender Jelinek-Interpret, und er bricht auch bei dem jetzt an den Münchner Kammerspielen uraufgeführten Stück "Rechnitz (Der Würgeengel)" die Textblöcke wieder meisterlich auf und schafft szenische Situationen, die unter die Haut gehen. Gerade in ihrer Nonchalance, der lässigen Selbstverständlichkeit und Nüchternheit, mit der die "Boten" unserer Zeit, die Stammtischzecher, die Partyplapperer, nicht zuletzt die medialen Vermittler sich über das bestialische Partyvergnügen von Hitlers Schergen auslassen: als Höhepunkt des Abends nackte Juden zu erschießen. Und sich mit verdrehten Augen über die Opfer und ihre unablässig eingeklagte Opferrolle mokieren.
    Die Bühne ist der Ort, an dem Fiktionen in theatralische Realpräsenz übersetzt werden. Hier aber geht es um einen historischen Fall, über den bis heute offiziell und am Ort der Morde geschwiegen wird. Und auch die fiktiven nicht Darsteller, sondern Bühnen-Boten wissen zu schweigen. Darüber, wer genau geschossen hat, wer sich dabei hervorgetan hat, darüber, wo die Leichen verscharrt wurden und wohin die nie zur Rechenschaft gezogenen Täter sich abgesetzt haben. Umso beredter erörtern sie z.B. die Logistik der Kadaverbeseitigung.

    Spielort ist ein Jagdzimmer. An der Wand rote Klappsitze, darüber hängen Kopfhörer. Jedes Segment der Holztäfelung - eine Tür. Mal nur ein Öffnungsschlitz, dann wieder, ganz zur Seite geklappt, Ein-Mann-Zellen, zum Umkleiden, zum Frühstücken, zum Rausschauen: auf die Schießstände weiter hinten. Hier kleckern sie mit Ei, mantschen mit Torte und mampfen Pizza, lutschen Wurstscheiben aus und werfen die Reste in den für Jäger und Gejagtes gleich mit installierten Bühnen-Gulli. Und während die Boten scheinbar ungerührt über Gräueltaten plaudern, lassen sie sich auf dem Boden nieder, suchen Körperkontakt, winden sich lasziv, verknäulen sich sprachlich und körperlich und entblößen sich bis aufs Hemd. Pikante Dessous, schwarze Fliege und Seidenkniestrümpfe zu langen Unterhosen, ein Damenrüschenunterrock über behaarten Männerbeinen signalisieren sexuelle Vorlieben - ohne dass diese Figuren lächerlich werden. Dazu sind sie zu gemein. Denn Nuance um Nuance wird deutlicher, dass, krude gesagt: Gewalt geil macht. Die durch eigene Phantasien angereicherte Vorstellung von dem Blutbad erregt Frauen wie Männer (dabei, mutmaßen sie Zustimmung heischend, hat die Schießerei noch nicht mal richtig Spaß gemacht, weil keiner sich gewehrt hat).

    So dezent und intensiv, wie Wieler das die fünf hochkarätigen Menschendarsteller spielen lässt, entsteht eine beklemmende Atmosphäre. Im extremsten Fall eine "double bind"-Situation: das Grauen vor den Nazi-Gräueltaten mischt sich mit dem Grauen vor dieser entsetzlichen ganz und gar nicht historischen, eben nicht längst vergangenen, sondern "ganz menschlichen" Lust-Reaktion. Und mancher im Dunkel des Zuschauerraums mag sich von den Bildern im Kopf gleichzeitig affiziert und abgestoßen fühlen. Eines der tückischsten Identifikationsangebote mit inhumanem Verhalten, die ich je auf dem Theater erlebt habe. Distanz zum Geschehen reklamieren die Boten für sich. Der Zuschauer erlebt die Diskrepanz zwischen dem Gegenstand ihres Sprechens und ihrer Haltung dazu: Heiterkeit, Selbstgefälligkeit, unpersönliche Attitüde, Animationsgestus, ironisches Beiseite. Und es ist ganz sicher: The show will go on. Das ist zweifellos aufregendstes, aktuellstes und bestes Theater.