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Eine Frage der Dosis

Medizin.- Vor einer Nierentransplantation bekommen die Patienten Medikamente, die die Immunabwehr unterdrücken, damit das fremde Organ später nicht abgestoßen wird. Allerdings ist es schwierig, die richtige Dosis zu finden. Forscher suchen deshalb nach Signalen im Körper, die Hinweise darauf geben, wie der Mensch auf das Medikament reagieren wird.

Von Katrin Zöfel |
    Das Immunsystem ist kompliziert. Darin medizinisch einzugreifen ist riskant. Doch damit Transplantationen gelingen können, muss es sein: Die Immunabwehr des Patienten muss geschwächt werden, sonst bekämpft sein Körper das neue, fremde Organ wie einen gefährlichen Eindringling. Dabei gilt, sagt die Pharmakologin Sara Bremer:

    "Die meisten Medikamente, die die Immunabwehr unterdrücken, haben eine enges therapeutisches Fenster. Das heißt: Der Unterschied zwischen einer wirkungslosen und einer toxischen Dosis ist sehr klein. Es passiert also sehr leicht, dass man mit der Dosierung daneben liegt. Deshalb ist es so wichtig, besser vorherzusagen oder zumindest direkter beobachten zu können, wie ein bestimmter Patient auf ein Medikament reagiert. Das ist es, was wir versuchen."

    Sara Bremer forscht an der Universitätsklinik in Oslo. Sie konzentriert sich auf das Medikament Mycophenolat-Mofetil. Es wird häufig bei Transplantationspatienten verwendet, um die Immunabwehr zu dämpfen. Mycophenolat verhindert, dass sich bestimmte Immunzellen, die Lymphozyten, teilen. Das Medikament blockiert ein Enzym, das notwendig ist, damit neue Erbsubstanz gebildet wird. Keine neue Erbsubstanz – keine neuen Zellen.

    Die These der Forscherin: Wenn wir messen, wie viel dieses Enzyms im Körper ist, können wir erkennen, wie stark das Immunsystem aktiv ist. Und damit müsste sich vorhersagen lassen, wie der Patient auf die Transplantation reagiert.

    "Wir haben bisher eine kleine Studie durchgeführt, mit 30 Patienten. Ihnen wurde eine Niere transplantiert. Wir haben bei Ihnen vor und nach der Operation die Aktivität und die Menge dieses Enzyms gemessen. Wir konnten zeigen, dass es bei den Patienten eher zu einer Abstoßungsreaktion kam, die vor der OP trotz Medikament hohe Werte für dieses Enzym hatten."


    Mit anderen Worten: Je mehr dieses Enzyms im Körper ist, umso aktiver ist das Immunsystem, umso eher kommt es zur Abwehr des Körpers gegen das fremde Organ. Daraus wiederum ergeben sich Konsequenzen für die Therapie: Patienten mit hohen Enzymwerten bekämen von vorneherein eine höhere Medikamentendosis, so ließe sich die Abstoßung der neuen Niere verhindern. Im Verlauf der Therapie könnte man die Wirkung des Medikaments kontrollieren, einfach indem man die Werte für das Enzym überwacht. Sind sie niedrig genug, ist die Dosis richtig. Sind sie zu niedrig – ist also die Immunabwehr zu sehr geschwächt – muss weniger Medikament gegeben werden.
    Die norwegische Studie kann diese Effekte nur rückblickend nachweisen. Der Beweis, dass ihre Methode tatsächlich in der Praxis genutzt werden kann, um die Medikamentengabe frühzeitig anzupassen, steht noch aus. Die spanische Forscherin Mercè Brunet von der Universitätsklinik Barcelona schätzt das Potenzial der neuen Methode dennoch hoch ein.

    "Diese Biomarker, die die Wirkung der Medikamente anzeigen, können sehr nützlich sein, um besser an den Patienten angepasste Therapien zu erreichen. Wir können die Dosis besser ausbalancieren, wir könnten zum Beispiel schon früh erkennen, welche Patienten besonders empfänglich für das Medikament sind, also mit wenig auskommen."

    Die Geschichte der Transplantationen ist insgesamt eine Erfolgsgeschichte. Die Mehrheit der Patienten lebt erheblich länger. Doch die Nebenwirkungen der immunsuppressiven Medikamente sind enorm. Neben erhöhten Infektionsraten steigt auch die Häufigkeit von Krebserkrankungen an, bei bestimmten Krebsarten auf das bis zu 10- oder sogar 100-Fache der Normalbevölkerung. Nicht zuletzt deshalb wollen die Mediziner erreichen, dass sie tatsächlich nur so viel des Medikaments geben wie nötig – und so wenig wie möglich.