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Eine Frage der Solidarität

Oberhausen im Ruhrgebiet und Freital in Sachsen: Die beiden Städte verbindet eine langjährige Freundschaft. Doch seit die Ruhrpottmetropole unter der steigenden Schuldenlast ächzt, wird - mehr oder weniger offen - über den Solidarpakt Ost diskutiert.

Von Friederike Schulz und Claudia Altmann | 11.04.2012
    Pünktlich um 14 Uhr kurbelt der "Geheimagent" der "Schwarzbank Oberhausen" den Rollladen hoch. Schon steht auch der erste potenzielle Kreditnehmer vor der Tür des Baucontainers in der Oberhausener Fußgängerzone.

    "Da können Sie reinkommen, dann kann ich Sie beraten."

    Und schon ist der erste Kunde des Tages gewonnen: Ein Herr mittleren Alters, in schwarzem Trainingsanzug betritt den Container, blickt den "Geheimagenten" fragend an.

    "Also hier, in der Hauptfiliale der Schwarzbank, vergeben wir Mikrokredite in der Höhe von 20 Kohle. Und die Kunden, die hier zu uns kommen, müssen dafür nicht etwa Euro hinlegen, sondern sie müssen eine Tätigkeit anbieten von mindestens einer Stunde Dauer. Grundvoraussetzung ist, dass diese Tätigkeit in der Zukunft liegt und dass sie für diese Tätigkeit ansonsten nicht bezahlt werden."

    Eine Idee, die ankommt: 500 Mikrokredite hat die "Schwarzbank Oberhausen" während ihrer Öffnungszeit im März an interessierte Bürger vergeben. Die haben sich wiederum verpflichtet, eine gemeinnützige Tätigkeit anzubieten: das Pflaster in der Fußgängerzone bemalen etwa oder auch einen Parkplatz fegen. Dafür bekamen die Kreditnehmer 20 "Kohle" ausgehändigt – eine Parallelwährung, mit der man in der Oberhausener Innenstadt einkaufen kann.

    Die "Schwarzbank Oberhausen" war ein gemeinsames Projekt des Theaters Oberhausen und rund 80 Einzelhandelsgeschäften. Der Geheimagent, ein Oberhausener Schauspieler, der seinen Namen nicht nennen möchte, erklärt:

    "Oberhausen empfindet sich sehr stark als Opfer der Schulden, und die Kohle gibt die Möglichkeit, einfach mal autark zu sein und zu sagen: Wir machen selber das Geld. Wenn uns das Geld fehlt, dann machen wir es halt selbst."

    Eine humorvolle Kunstaktion, aber wenn man den Oberhausener Oberbürgermeister Klaus Wehling über die Finanzlage in seiner Stadt reden hört, scheint eine Parallelwährung tatsächlich die einzige noch mögliche Lösung zu sein.

    "Wir werden, wenn nicht etwas grundsätzlich Positives passiert, die Zwei-Milliarden-Verschuldungsgrenze gegen Ende dieses Jahres erreichen. Wir dürfen kein Personal einstellen, wir dürfen nicht befördern, wir dürfen, wenn überhaupt, nur in eingeschränktem Maße ausbilden. Wir dürfen Kredite nur aufnehmen, nachdem wir zuvor in Düsseldorf angefragt haben, wir dürfen nicht investieren ohne Genehmigung der Aufsichtsbehörde in Düsseldorf, wir sind seit 2009 abgeschnitten von fast allen Förderprogrammen, weil wir den erforderlichen Eigenanteil aus eigener Kraft nicht aufbringen können."

    Willkommen im Jammertal West, willkommen in Oberhausen: Die Stadt Oberhausen lebt seit Jahren mit einem "Nothaushalt" – und darf laut Gemeindeordnung über ihren Etat nicht mehr selbst entscheiden. Die komplette Finanzplanung muss von der Bezirksregierung in Düsseldorf genehmigt werden.

    Die knapp 212.000 Einwohner hocken auf knapp zwei Milliarden Euro Schulden – 8000 Euro sind das pro Kopf. Damit ist die Stadt zwischen Ruhr und Emscher trauriger Rekordhalter in Deutschland. Da hilft auch der so genannte "Stärkungspakt" nicht, den die rot-grüne Landesregierung in Nordrhein-Westfalen im vergangenen Jahr für verschuldete Kommunen aufgelegt hat. 350 Millionen Euro an Finanzhilfen hat das Land bereits zur Verfügung gestellt, um zunächst 34 Städten und Gemeinden aus der Klemme zu helfen. Doch die Finanzspritze des Landes ist an Bedingungen geknüpft: Die von dem Pakt profitierenden Kommunen haben sich verpflichtet, bis spätestens 2020 einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen. Für Oberhausen heißt das: Allein in diesem Jahr müssen zusätzlich 40 Millionen Euro eingespart werden.

    Der Grund für die Finanznot ist in der Geschichte der Stadt zu finden, unter der Überschrift "Strukturwandel". Zwischen 1962 und 1997 verlor Oberhausen rund 50.000 Arbeitsplätze - und damit auch mehrere Zehntausend Einwohner. Eine Entwicklung, die die Stadt bis heute nicht verwunden hat.

    "Die neue Mitte der Stadt ist ein Kaufparadies,
    doch wat willse dir holen mit so wenig Kies,
    früher fuhrse nach Venlo, um Kaffee zu kriegen,
    heute siehse im Centro die Holländer fliegen.
    wat soll dat, dat macht nix, dat stecken wir weg,
    genau wie die Zechen, die Kohle, den Dreck.
    Lieber auffem Gasometer im Sturmesbrausen
    und alles, watte siehst, is Oberhausen."
    Die letzte Zeche wurde 1992 stillgelegt, dort wo einst das Stahlwerk war, steht heute das "Centro". Bei seiner Eröffnung in den 1990er Jahren wurde das vermeintliche "Einkaufsparadies" zum Hoffnungsträger hochgejubelt. Doch die große Wende brachte auch das nicht. Wirtschaftlich gesehen hat Oberhausen einfach Pech gehabt, sagt der Präsident der IHK, Dirk Grünewald:

    "Es gibt hier in Oberhausen keinen einzigen Großkonzern mehr. Fünf sind in den letzten 20 Jahren entweder insolvent geworden wie der Babcok-Konzern, geschlossen worden wie der RAG-Teil oder einfach weggezogen wie Thyssen-Niederrhein nach Duisburg, sodass es hier in Oberhausen nur noch fünf Unternehmen gibt, die mehr als 500 Mitarbeiter beschäftigen."

    Immer wieder beklagte sich Oberhausen in den vergangenen Jahren - zusammen mit anderen Städten - über die desaströse Haushaltslage, die sich durch die Finanzkrise noch weiter verschärfte. Und so war es nur eine Frage der Zeit, bis wieder einmal einer der Ruhrgebiets-Oberbürgermeister den "Solidarpakt Ost" anzweifelte.

    Diesmal war es Ulli Sierau aus Dortmund. Er nannte den Pakt in einem Interview ein "perverses System". Und auch Klaus Wehling aus Oberhausen ließ sich nicht lange bitten und forderte ebenfalls eine Revision des Solidarpakts.

    Der Solidarpakt ist eine Abmachung zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Er wurde 1995 ins Leben gerufen und 2005 als Solidarpakt 2 verlängert, weil klar war, dass es noch Jahre dauern würde, bis die Folgen der deutschen Teilung behoben sein würden. Der Pakt gilt nun noch bis 2019 – die Gelder werden vor allem in den Ausbau des Straßen- und Schienennetzes in den neuen Bundesländern gesteckt. Gesamtvolumen: 156 Milliarden Euro. Mit dem "Soli", den jeder Arbeitnehmer in Ost und West als Ergänzung zur Einkommenssteuer zahlt, hat der Solidarpakt übrigens nicht viel zu tun, nur sorgt die Ähnlichkeit des Namens immer wieder für Verwirrung.

    Da in Nordrhein-Westfalen im Mai ein neuer Landtag gewählt wird, griffen die Wahlkämpfer von SPD und CDU das Thema nur allzu gerne auf. Eine ganze Woche lang diskutierten Politiker aus Ost und West daraufhin über die Frage, ob der Pakt noch angemessen ist. Von so viel Resonanz waren die aufmüpfigen Ruhrgebiets-Oberbürgermeister dann doch überrascht.

    Klaus Wehling ist seine Forderung, den Solidarpakt zu überarbeiten, inzwischen unangenehm, nicht zuletzt weil Oberhausen immer noch offiziell eine Städtefreundschaft mit Freital in Sachsen pflegt. Von der spricht Klaus Wehling allerdings nicht, wenn es um die jährlich fast zehn Millionen Euro geht, die die Stadt in den Osten überweisen muss.

    "Ich finde es schon sehr komisch, dass sich einige Städte in Ostdeutschland entschulden können, wohingegen unsere Verschuldung laufend steigt, indem wir die Gelder, die wir in den Osten überweisen, in Form von Krediten finanzieren müssen."

    Ortswechsel: die Stadt Freital in Sachsen. Bergbau und Stahl haben die 40.000-Einwohner-Stadt einst groß gemacht. 1921 gegründet, war die Stadt vor den südwestlichen Toren Dresdens ein typisches Kind der Industrialisierung. Erst wurde Steinkohle aus den Bergen rund um das Tal des Flusses Weißeritz geholt, dann haben die Kumpel der Wismut AG Uran für die Sowjetunion gefördert. Das alles gibt es nicht mehr - außer im Museum samt Besucherbergwerk. Dort hat Olaf Wasner sein Auto geparkt. An diesem Regentag kein Besucher weit und breit.
    "Hier waren alte Bergarbeitersiedlungen. Da haben wir auch schon mal gedacht, das könnte man erhalten, dieses Flair dieser kleinhäuslichen Siedlung mit Künstleransiedlung und so was. Aber es fehlt der Besucherstrom hier, der das Ganze zum Leben bringt. Und wenn die Stadt so was in die Hand nimmt - wir sind nicht das Goldene Gäßl von Prag – und da muss man schon ein bissl auf den Boden der Realität zurückfinden und sagen: Es ist 'ne schöne Idee, aber einfach nicht bezahlbar."

    Olaf Wasner hat früher an der TU Dresden Maschinenbau gelehrt. Seit 1990 sitzt der heute über 70-Jährige für die Freien Wähler im CDU-geführten Stadtrat.

    "Freital ist keine reiche Stadt. Wenn man die Haushaltsdiskussion jedes Jahr miterlebt, was ist möglich im Rahmen der Steuereinnahmen dann auch auszugeben. Wir hängen immer noch zu großem Umfang an den Landeszuschüssen. Die Steuereinnahmen sind gerade in den letzten Jahren gestiegen. Aber ich muss klar sagen, Freital, 55 Prozent der Ausgaben schafft’s aus eigener Kraft und 45 Prozent ist noch Zuschuss. Also wir hängen noch am Tropf und das ist auch notwendig, dass wir uns entwickeln können. Ansonsten würde es ganz anders aussehen."

    Bis Freital auf eigenen finanziellen Füßen stehen könnte, würden noch Jahrzehnte vergehen, sagt Olaf Wasner von den Freien Wählern. Dennoch kann sich Freital sehen lassen, findet er: Die Pro-Kopf-Verschuldung liegt hier bei 400 Euro. In den vergangenen elf Jahren wurden keine Kredite aufgenommen. Es gibt kaum marode Ecken. Viele Häuser sind saniert. Die Dresdner Straße, die Hauptverkehrsader, ist stark befahren.

    Hier ist der Sitz des Unternehmerverbandes Weißeritztal. Dessen Vorsitzender Chris Meyer wartet schon in seinem hellen Büro. Den studierten Maschinenbauer hat nach der Wende das gleiche Schicksal wie Zehntausende Menschen in der Region ereilt. Keine Arbeit, dann Umschulung. Seit 1990 leitet Meyer eine Agentur zur Finanzierung von kleinen und mittelständischen Unternehmen. Der Unternehmensberater bringt sich zudem als sachkundiger Bürger des Stadtrates in die wirtschaftlichen und sozialen Belange von Freital ein.

    "Es ist sehr schmerzlich, wenn das wegbricht, was man 20 Jahre gewohnt ist. Und dann muss man sich relativ schnell umorientieren und sieht, dass verschiedene Branchen überhaupt keine Zukunftsperspektive haben, die von der Landkarte verschwinden. Sehr viel vom Maschinenbau. Wir hatten ein relativ großes Plastmaschinenwerk, aber auch kleinere mechanische Hersteller, die sich aber jetzt - also die Kapazitäten der Bevölkerung, also die Werktätigen sind ja noch da - die sich jetzt in kleinteiligen Unternehmen jetzt wieder fangen und zum Beispiel an der Automobilindustrie oder an der Feinwerktechnik wieder mitarbeiten können."

    Das große Stahlwerk war einst Hauptarbeitgeber in Freital. Jetzt läuft es noch mit zehn Prozent der früheren Kapazität. Früher waren es 6000 Arbeiter, heute sind es 800. Ähnlich wie Oberhausen haben auch Freital mittlerweile Tausende Menschen den Rücken gekehrt und sind fortgezogen. In der letzten Zeit hat sich die Situation allerdings stabilisiert. Mit einer Arbeitslosenquote von knapp zwölf Prozent geht es der Stadt besser als vielen anderen ostdeutschen Städten.

    Viele Menschen haben ihr Schicksal in die eigenen Hände genommen: Etwa 1200 Unternehmen gibt es in Freital. Der Klein- und Mittelstand ist breit aufgestellt, beobachtet Chris Meyer und zählt auf: Porzellanmanufaktur, Chemiebranche, Glasherstellung, Feinwerk- und Medizintechnik. Aber mit westdeutschen Verhältnissen könne man es immer noch nicht vergleichen.

    "Wo andere Wohlstand und Vermögen schaffen können, sind wir also noch an der Stelle, dass wir noch zurückzahlen müssen. Also all das, was man hier sieht, ist nicht das, was uns gehört. Sag ich jetzt einfach mal, das muss also noch verdient werden. Und das ist eben auch das Hauptproblem, dass das Eigenkapital oder das Vermögen hier noch nicht da ist."

    Den aufgezwungenen Wandel von einem Industrie- zum Gewerbe- und Wohnstandort bekomme die Stadt ganz gut hin, sagt Olaf Wasner von den Freien Wählern und denkt an das Technologie- und Gründerzentrum, das derzeit für 20 Millionen Euro mitten in der Stadt entsteht. 90 Prozent bezahlt das Land, zehn Prozent muss die Stadt aufbringen. Dabei komme Freital jetzt zugute,…

    "… dass es ein Jahrzehnt sehr restriktiv mit den Geldmitteln umgegangen ist, dass also Reserven da sind für solche großen Vorhaben. Und von der Seite kann man sagen, hat Freital die Möglichkeit, Geld dort einzusetzen, wo wieder Geld zurückfließt in die Kasse. Und das ist ja eigentlich das Zeichen, dass eine Kommune leben kann."

    Dass es sich in Freital gut leben lässt, hat sich herumgesprochen. Viele junge Leute sind mittlerweile dorthin gezogen. Die Stadt will für Investoren noch interessanter werden. Das könnte gelingen, denn 40.000 Quadratmeter alter Industrieflächen sind in städtischer Hand - und außerdem ist Freital verkehrstechnisch bestens angebunden.

    Aber bis die Pläne der Stadt in die Tat umgesetzt sind, wird es noch eine Weile dauern. Die im Ruhrgebiet losgetretene Diskussion um den Solidarpakt wird in Freital deshalb auch mit Unverständnis verfolgt. Oberbürgermeister Klaus Mättig von der CDU will sich dazu nicht äußern und hat ein Interview abgelehnt. Vor wenigen Tagen aber hatte er gegenüber dem Online-Portal Der Westen erklärt, würde der Solidarpakt Ost beendet werden, käme das nach den vielen Jahren DDR einer zweiten Bestrafung gleich. Auch Chris Meyer will zu den Angriffen aus Nordrhein-Westfalen lieber nichts sagen. Der Unternehmer zieht es vor, zu analysieren, was in Ost und West anders läuft. Im Osten, sagt er stolz, herrsche ein großer Unternehmergeist, das zeige sich auch in der Politik, wo eben viele Unternehmer aktiv seien. Mehr als im Westen, glaubt er:

    "Dadurch ist natürlich dieses Denken, aktiv zu sein und vielleicht nicht alles an den Staat oder an die Stadt abzugeben an Verantwortung, selbst Aktivitäten auszulösen, ist natürlich dann auch drin. Und man sagt, okay, da kann man an der Verwaltung irgendwas sparen. Und wenn man das im Vergleich sieht zu den Altbundesländern, wo es doch sehr eingefahrene Strukturen gibt. Die sagen: Ich kenne den aus der Verwaltung, der hilft mir dann schon weiter. Da ist vielleicht 'ne relativ große Verwaltungsunterstützung für Aktivitäten von Unternehmern auch da. Was bei uns fehlt, weil wir sagen: Wir fordern den Unternehmer mehr, sich zu engagieren und sich zu bemühen und Kontakte herzustellen. Die Kommune muss eigentlich Partner sein und muss das an die richtigen Stellen vermitteln können."

    Und doch: Über die Solidarpakt-Debatte vergisst Olaf Wasner von den Freien Wählern nicht, dass Oberhausen den Freitalern nach der Wende sehr geholfen hat: Die erste Ratssaalbestuhlung sei die alte aus Oberhausen gewesen. Daneben gab es Unterstützung bei der Neuordnung der Verwaltung, Schenkungen für die Freiwillige Feuerwehr und vor allem: die große Hilfe, als 2002 die Weißeritzregion und damit auch Freital vom Hochwasser heimgesucht wurde. Demnächst sollen Oberhausener nach Freital eingeladen werden, um ihnen zu zeigen, was aus den ganzen Spenden geworden ist. Die Idee kommt von den Freien Wählern um Olaf Wasner.

    "…und wennze mich fragst, wat soll ich noch hier,
    dann komm doch ma gucken, dann zeig ich et dir
    kommse auffen gasometer im sturmesbrausen
    und alles, watte wills, is....Oberhausen"

    Zurück in Oberhausen ist IHK-Präsident Dirk Grünewald auch gar nicht glücklich über die Solidarpakt-Debatte:

    "Auf der einen Seite habe ich Verständnis für die Diskussion, auf der anderen Seite bin ich ziemlich erschrocken, muss ich sagen, weil in der Berichterstattung so getan wird, als ob wir es hier mit einer armen Stadt zu tun hätten, als ob wir kurz vor dem Zusammenbruch stehen. Da geht für mich natürlich eine Image-Debatte los, die ich für sehr problematisch halte."

    Auch wenn Oberhausen Rekordschulden hat, geht es der Wirtschaft - nach Einschätzung der IHK – nämlich so gut wie schon lange nicht mehr. Die Arbeitslosenquote ist mit rund zehn Prozent im Vergleich zu anderen Ruhrgebietsstädten relativ niedrig – Oberhausen steht gar nicht so schlecht da, sagt Dirk Grünewald.

    Ein Satz, an dem allerdings spätestens bei einem Bummel durch die Oberhausener Innenstadt Zweifel aufkommen. In einigen Straßen reihen sich Handy-Shops und Ein-Euro-Läden, etwa jedes dritte Ladenlokal steht leer. Dennoch: Wie ein Elendsviertel sieht es hier nicht aus – obwohl dies manche der Fotos nahelegten, die die Artikel zur Verarmung von Ruhrgebietsstädten in den vergangenen Wochen bebilderten.

    "Sie unterschreiben die Vereinbarung, die wir jetzt getroffen haben …"

    Die Geheimagenten des Oberhausener Theaters, die in der Innenstadt die Parallelwährung "Schwarzgeld" unter die Leute bringen, geben sich redlich Mühe, die Finanznot ihrer Stadt mit Humor zu nehmen. Das Ensemble von Intendant Peter Carp hat sich in ganz Deutschland einen Namen gemacht, obwohl man auch hier sparen muss – in den vergangenen fünf Jahren wurde der Etat von achteinhalb auf siebeneinhalb Millionen Euro gekürzt. Noch geht es irgendwie, sagt Dramaturg Rüdiger Bering. Wenn die Stadt – wie bereits angekündigt - weiter sparen muss, könnte es auch für das Theater eng werden.

    "Das macht uns schon ein bisschen Sorge, weil dann werden wir sicher bestimmte Dinge nicht mehr machen können. Viele Dinge sind jetzt schon nur möglich, weil wir Förderanträge machen, zum Beispiel aus Mitteln der Kulturstiftung des Bundes. Und ohne das würde das Theater Oberhausen ziemlich schlecht dastehen. Also die Stadt kann es jetzt fast schon nicht mehr stemmen, um diesen Output zu halten."

    Ähnlich ist die Einschätzung der Sozialverbände, die der erneuten Kürzungswelle in der Stadt ebenfalls mit Sorge entgegenblicken. Der Paritätische Wohlfahrtsverband warnte kürzlich gar davor, dass sich das gesamte Ruhrgebiet zu einer Armutsregion entwickeln könne, wenn die Sparpolitik so weiter gehe. Dennoch: Die erneute Diskussion über den Solidarpakt Ost hilft nicht weiter, sagt der Geschäftsführer der AWO in Oberhausen, Jürgen Kamps – und pflichtet damit Olaf Wasner von den Freien Bürgern in Freital bei:

    "In meiner Wahrnehmung ist die politische Diskussion, dass man nach Bedürftigkeit und nicht nach Regionen urteilt, schon richtig. Trotzdem sollte man die losgelöst sehen von einer Neiddebatte."

    "Ich war sehr betroffen. Man kann nicht sagen, der Soli-Beitrag ist ein perverses System. So was darf niemals über die Lippen gehen, dieses Wort kann man nie mehr zurücknehmen."

    Auch Doris Böggemann schüttelt empört den Kopf, wenn sie an die Solidarpakt-Debatte denkt. Die Vorsitzende des "Freundeskreises Freital" in Oberhausen griff im März – als die Debatte begann - sofort zum Hörer, rief ihre Freunde in Freital an und entschuldigte sich für die Äußerungen ihres Oberbürgermeisters. Nach ein paar Tagen waren die Wogen wieder geglättet und Doris Böggemann kann in Ruhe den nächsten Besuch der Freitaler in Oberhausen organisieren.