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"Eine Frau, die weiß, was sie will!"
Emotionale Unverstelltheit

Komische-Oper-Chef Barrie Kosky hat mit seiner Inszenierung der Strausschen Operette "Eine Frau, die weiß, was sie will" ein Plädoyer für die subversive Kraft dieses Genres abgeliefert. Sein Konzept: Virtuose Verknappung. Es geht so brillant auf, dass es das Berliner Publikum vom Hocker reißt.

Von Julia Spinola | 01.02.2015
    Max Hopp in rosa Kleid mit blonder Perücke und Brille, stützt sich auf Dagmar Manzel in schwarzem Anzug mit grauem langem Bart.
    Lucy, gespielt von Max Hopp (l.), und ihr Vater, gespielt von Dagmar Manzel. (dpa / Felix Zahn)
    Einen solchen Irrwitz muss man erst einmal auf die Bühne bringen: Max Hopp spielt ein schizophrenes Tennismatch gegen sich selbst. Seine linke Körperhälfte mimt den verheirateten Backfisch Lucy mit blonder Lockenpracht und rosa Abendkleid, rechts trägt er als Lucys Verehrer Fernand Tennisshorts und Kurzhaarschnitt. Blitzschnell rennt er von einer Bühnenseite zur anderen, wechselt die Identitäten, pariert die Bälle und verstrickt seine beiden Hälften zugleich in einen Schlagabtausch über einen möglichen Seitensprung Lucys.
    Dem glühenden Operettenfan Barrie Kosky ist mit "Eine Frau, die weiß, was sie will" endlich wieder ein glaubhaftes Plädoyer für die subversive Kraft dieses Genres gelungen. Zuletzt hatte er sich mit Offenbachs "Die schöne Helena" nach dem Motto "und noch ein Witz" in eine Sackgasse manövriert: Allzu verkrampft und vorhersehbar wirkte die Masse seiner Blödel-Einfälle zum Thema Revue und Erotik. Jetzt geht er den umgekehrten Weg einer virtuosen Verknappung - und sein Konzept geht so brillant auf, dass es das Publikum schier vom Hocker reißt und der Abend am Ende mit stehenden Ovationen bejubelt wird.
    Mit dieser musikalischen Komödie von Oscar Straus feierte die Berliner Operetten-Diva Fritzi Massary 1932 im Metropoltheater, dem Vorgängerhaus der Komischen Oper, einen ihrer letzten Erfolge. Dann flüchtete sie vor der antisemitischen Hetze ins amerikanische Exil, wo sie auch Straus, den einstigen Chef des legendären Wiener „Überbrettls", wiedertraf. Von den ursprünglich 30 Rollen des Stücks hat Kosky acht gestrichen und lässt alle restlichen Partien in einer geradezu zirzensischen Perfektion von den großartigen Verwandlungskünstlern Dagmar Manzel und Max Hopp spielen. Das rasante Tempo der unentwegten Kostüm- und Rollenwechsel, ein perfektes Timing und eine funkensprühende Situationskomik verwandeln die an sich harmlose Boulevardposse um eine emanzipierte Diva, die sich für das weibliche Recht auf erotische Erfüllung stark macht, in eine halsbrecherische Travestie. Diese ist nicht nur ungemein unterhaltsam und zum Schreien komisch, sondern hat im Durchbrechen festgefahrener Rollenzuschreibungen und Identitätskonzepte durchaus auch etwas Anarchisches.
    So etwas wie echtes Gefühl
    Wenn Max Hopp mit affektierter Mädchenpose als verliebte Lucy auf die Bühne rauscht, während Dagmar Manzel nicht nur die mondäne Diva Cavallini mimt, sondern auch deren größten Fan, den hutzeligen, lüstern lispelnden und ziegenbockartig kichernden Raoul, dann steckt darin an diesem Abend mehr als nur der übliche quere Selbstläuferwitz. Die auf die Spitze getriebene Maskerade, in der die beiden Darsteller einmal sogar eine ganze Abendgesellschaft lebendig werden lassen, hat etwas Befreiendes. Sie vermittelt die Utopie, dass Alter, Geschlecht und soziale Rolle keine festgeschriebenen Gesetze seien, wir vielmehr jede Identität annehmen können, die wir uns erträumen.
    Und mitten im operettenhaften Verkleidungsirrsinn, zwischen Chanson, Parodie und Persiflage, taucht dann plötzlich und ganz unverhofft so etwas wie ein echtes Gefühl auf: der Zauber einer anrührenden emotionalen Unverstelltheit, die unmittelbar ins Herz trifft. Wenn Dagmar Manzel die Sehnsucht besingt, die jede Frau empfinde, hält das Publikum den Atem an – so intim gelingt ihr dieser Moment.