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Eine ganze Hoteletage für den KGB

In der estnischen Hauptstadt Tallinn galt das "Viru"-Hotel bis zum Ende der sowjetischen Besatzungszeit Estlands 1991 als das Westhotel am Platze. Der sowjetische Geheimdienst KGB hatte sich im Hotel deshalb gleich auf einer ganzen Etage eingenistet. Diese ist nun als Museum zugänglich.

Von Michael Frantzen |
    "Welcome to our hotel! It was a hotel guarded by KGB."

    Ein Hotel, in dem der KGB das Sagen hatte – heutzutage schwer vorstellbar. Doch bis vor 20 Jahren war das in der estnischen Hauptstadt Tallinn Realität. Im "Viru" bespitzelte der sowjetische Gemeindienst Gäste und Personal gleichermaßen.

    Bis zum 22. Stock geht es hoch. Das letzte Stück muss man Treppe steigen. Aus gutem Grund, erklärt Tourführerin Maria Pommer. Zu Sowjetzeiten gab es die oberste Etage offiziell gar nicht.


    "Der 23. Stock war verbotenes Territorium. Dieser Raum war der geheimste von allen. Hier saß der KGB. Das graue Ungetüm da drüben: Das ist eine Radio- und Funkstation. Die zwei diensthabenden KGB-Offiziere hörten von hier aus nicht nur die verwanzten Räume der westlichen Hotelgäste ab: Mit dem Funkgerät standen sie auch in Kontakt zur KGB-Zentrale in Moskau."

    1991 verließ der KGB in einer Nacht- und Nebelaktion den düsteren Raum mit den Fenstern aus Milchglas – kurz nachdem sich Estland unabhängig erklärt hatte. Bergeweise Akten, eine von zwei Radioanlagen: Die Spitzel nahmen mit, was sie auf die Schnelle wegtransportieren konnten. Ansonsten versuchten sie, Spuren zu verwischen: Leitungen wurden herausgerissen, Telefonschnüre zerschnitten, die Abhöranlage demoliert. Ein einziges Chaos, über dem Zentimeter dick Staub liegt. Bis heute hat sich hier nichts verändert.

    Mit "Sowjetnostalgie" hat das alles nichts zu tun, betont Hotelmanager Peep Ehasalu, der das Projekt ins Rollen gebracht hat:

    "Wir wollen niemanden anklagen. Oder reinwaschen. Unser Ziel ist es, Geschichte so zu erzählen, wie sie war. Unser Hotel ist voller absurder Geschichten. Ein finnischer Gast, den wir interviewt haben, hat mir erzählt, wie er einmal in den 80ern mit ziemlich schlechter Laune im Hotel ankam. Er hatte stundenlang wegen irgendwelcher Grenzformalitäten warten müssen – bis er endlich in seinem Hotelzimmer war. Und was musste er feststellen? In seinem Bad gab es kein Toilettenpapier! Er schrie also: "Verdammt noch mal! Die haben in diesem Land noch nicht einmal Toilettenpapier!" Zwei Minuten später klopfte es an seiner Zimmertür! Der Roomservice! Mit einer Rolle Toilettenpapier."

    Zu Sowjetzeiten war das "Viru" von oben bis unten verwanzt: 60 von 462 Hotelzimmern, die Bar, wo winzige Mikrofone in Aschenbechern versteckt waren; die hauseigene Sauna.

    Auch die Hotelangestellten nahm der KGB ins Visier. Tourführerin Maria Pommer geht zum dunkelgrünen Metallschrank der Abhörzentrale und holt ein Portemonnaie heraus.

    "Sieht aus wie eine ganz normale Geldbörse. Ist es aber nicht: Es ist eine Farbbombe. Damit kontrollierte der KGB die Angestellten. Wer ein Portemonnaie fand, musste es ungeöffnet dem Hotelmanager geben. Wenn nun jemand diese präparierte Geldbörse aufmachte, zerplatzte eine kleine Farbkugel. Wer seine Hände wusch, machte alles nur noch schlimmer: Die Farbe drang dann noch tiefer in die Haut ein."

    "Das Leben der anderen" auf Estnisch – das "Viru"-Hotel ist voll solcher Geschichten. Geschichten, die im demokratischen Estland von heute wie von einem anderen Stern wirken, bemerkt Peep Ehasalu. Eigentlich hatten sie im Hotel schon vor zehn Jahren die Idee, aus dem KGB-Ableger ein Museum zu machen:

    "Damals war die Zeit dafür aber noch nicht reif. Die Erinnerung an die Sowjetbesatzung war noch zu frisch. Gerade ältere Esten haben sehr gelitten, allein 1949 sind ja 20.000 Esten deportiert worden. Der Schmerz war einfach noch zu groß. Dieser Schmerz ist heute zwar immer noch da, aber die Leute fühlen ihn nicht mehr so stark. Inzwischen sind wir Esten stark genug, um zurückzublicken und zu sagen: was für eine verrückte Zeit! Wir können jetzt sogar darüber lachen."