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Eine geht noch

Mit Einführung des Bachelors müssen Studierende auch viel mehr Prüfungen absolvieren: 30 Tests pro Semester sind nicht selten. An der Universität Bielefeld hat man deshalb dem Prüfungsstress die Spitze genommen: Seit 2005 gibt es dort eine in Deutschland einmalige Prüfungsordnung für Bachelor- und Master-Studiengänge: Klausuren und Prüfungen dürfen beliebig oft wiederholt werden.

Von Miriam Grabenheinrich |
    Die Tür geht auf, Studierende kommen aus Prüfung:

    " Ich bin jetzt fertig muss ich sagen. "

    Die Studentin Lena Wosnitzer hat zu Semesterbeginn eine Klausur aus dem vorherigen Semester wiederholt. Sie studiert Klinische Linguistik auf Bachelor. 30 Prüfungen muss sie insgesamt schaffen - ein davon ging im vergangenen Semester daneben. In den Ferien hat sich die 23-Jährige in Ruhe und ausgiebig vorbereitet. Für Lena Wosnitzer ist die Wiederholbarkeit der Klausuren ein Vorteil, denn sie hat Prüfungsangst.

    " Bei der Klausur eben hatte ich auch Magenschmerzen und konnte nichts mehr essen. Wenn ich an so einer Uni studieren würde, wo ich nur ein zwei Versuche habe, dann würde das vielleicht nicht klappen. Es würde sich bestimmt auf meine Gesundheit auswirken, weil ich ein Mensch bin, wo sich schnell solche Stresssituationen auf die Gesundheit auswirken, und ich würde es vielleicht nicht schaffen das Studium. Also für mich ist es sehr wichtig, dass ich im Hinterkopf habe, dass ich die Möglichkeit habe, es noch mal zu schreiben. "

    Prüfungen können auch wiederholt werden, um die Note zu verbessern. Wie oft, das liegt im Ermessen der Studierenden - allerdings wird die Anzahl der Versuche im Abschlusszeugnis aufgeführt. Diese Prüfungsordnung hat der Senat zu Beginn der Bachelor-Studiengänge beschlossen. Der Prodekan Gerhard Sagerer hat die Idee damals ins Leben gerufen. Er wollte dadurch die Studierenden entlasten - ihnen die Möglichkeit geben, die rund 30 Prüfungen ohne zu viel Druck anzugehen.

    " Eine dieser 30 dreimal verhauen bedeutet, wenn wir keine beliebige Wiederholbarkeit mehr haben, dieses Fach darf der Studierende in Deutschland nicht mehr studieren. Und ich sehe da auch eine Verantwortung der Universität gegenüber den Studierenden. Wir haben die Pflicht, auch gute Angebote zu machen - denken Sie an die Diskussion mit den Studienbeiträgen - und wir können die Last und die Belastung nicht nur auf die Studierenden übertragen, sondern müssen da auch faire Angebote von unserer Seite machen. "

    Aber es gibt auch Kritiker der Prüfungsordnung an der Bielefelder Universität. Einer davon ist der Wirtschaftswissenschaftler Göran Kauermann. Ein Vorwurf: Durch die beliebige Wiederholbarkeit sollen mehr Studierende angelockt werden, um dadurch den Finanzsockel der Universität zu erhöhen. Göran Kauermann hat für seine Fakultät eine Sonderregelung erkämpft: Dreimal durch eine Prüfung gefallen bedeutet für die Studierenden der Wirtschaftswissenschaften das Aus. Professor Kauermann begründet das vor allem ökonomisch:

    " Eine Klausur zu korrigieren und zu stellen kostet pro Studierenden uns irgendetwas zwischen 10 und 30 Minuten. Aber wenn Sie an der Stelle Studierende haben, die siebenmal durch eine Prüfung fallen, dann bedeutet das, dass Sie als Dozent mit diesem Studierenden sich 3,5 Stunden für die Katz beschäftigt haben. Wir versuchen in Vorlesungen und Klausuren gut vorbeireitet rein zu gehen, und genau das erwarte ich auch von Studierenden. Ich denke, das Berufsleben ist nicht so, dass man alles beliebig oft wiederholen kann. Es gibt einfach gewisse Situationen, wo es sich entscheidet, und auf diese Situationen muss man sich bestmöglich vorbereiten. Sei es das Bewerbungsgespräch oder eine andere Berufliche Tätigkeit, die man hat. Und genau das sollten wir Studierenden auch vermitteln. "

    Kaffeepause in der Mensa. Die Jura-Studentin Jessica Oyeniran hat zu Beginn ihres Studiums etliche Klausuren mehrmals geschrieben. Mittlerweile hält sie von der allgemeinen Prüfungsordnung ihrer Universität nicht mehr viel.

    " Also mich persönlich verleitet es zum Schlendrian. Also ich hab dann auch mal zwei Semester Party eingelegt. Die Klausuren zwar mitgeschrieben, aber nicht gelernt.

    Ich habe gewisse Klausuren bis zu sieben Mal wiederholt. Bei mir war es Faulheit. Ich finde es im Nachhinein völligen Blödsinn. Wenn gesagt wird, du hast nur zwei Versuche, dann lernst du von Anfang an richtig und wenn du es dann nicht packst, dann weißt du okay, vielleicht ist es einfach nicht mein Bereich. "

    Eine repräsentative Statistik darüber, wer, welche Prüfung wie oft wiederholt hat, gibt es an der Universität Bielefeld bislang nicht. Es ist also schwer zu sagen, ob an dieser Hochschule die Prüfungsangst geringer ist als anderswo oder ob sich wohlmöglich der Schlendrian breit macht.