Freitag, 19. April 2024

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Eine Geisterreise zu den Dogon in Mali
"In unseren Familien gibt es viele Geheimnisse"

Das Leben der Dogon im westafrikanischen Mali ist archaisch, wie aus der Zeit gefallen. Traditionsbewusst pflegen die Hirsebauern ihre Riten und Kulte: Verbrechen werden mit einem Fetisch geahndet - und die verstorbenen Ahnen kommen regelmäßig zu Besuch, um im Dorf nach dem Rechten zu sehen.

Von Michael Magercord | 31.12.2017
    Traditioneller Maskentanz der Dopo im Dorf Begnemato
    "Auch die alten Traditionen sind nicht leicht zu verstehen - also muss man immer zuhören": Maskentanz im Dorf Begnemato (epa Nic Bothma / dpa)
    Ein afrikanisches Dorf. Kraal an Kraal, von Lehmmauern umsäumte Rundhütten. Es gibt keinen Strom, kein Licht, Autoverkehr sowieso nicht - und ich krieg die ganze Nacht kein Auge zu. Vor lauter Lärm. Tierlärm. Haustierlärm. Erst blökt ein Esel, dann alle, kaum sind die durch, meckern Ziegen, kläffen Hunde und dann krähen auch schon die Hähne. Das war's mit der Nachtruhe in Djiambolo - warum tun diese Tiere das?
    "Die Tiere, die Haustiere sprechen nicht. Deshalb können sie den Geist der Ahnen, unsere Urgroßeltern, sehen. Die sind zwar schon von uns gegangen, aber ihr Geist ist weiterhin mit uns. Und von Zeit zu Zeit - wenn alle schlafen - kommen sie zurück in unser Dorf. Sobald sie den Geist unserer Urväter sehen,schreit der Esel und jault der Hund. Die Ahnen kommen ins Dorf, um nach dem Rechten zu schauen, und alle Tiere können sie sehen, die Hunde am besten. Du als Mensch kannst am nächsten Morgen am Hundekot erkennen, wo die Ahnen gewesen sind. Die Alten wissen, was da vor sich geht, aber sehen können sie die Ahnen nicht, nur die Tiere. Tiere machen keinen Lärm ohne Grund."
    In Djiambolo kann man nicht alles sehen, was es gibt
    Asama hat für alles eine Erklärung. Was da des Nachts wirklich vor sich geht, weiß er auch nicht, aber er ist sich gewiss: Die Ahnen sind unter Lebenden, denn in einem afrikanischen Dorf gibt es keinen Lärm um nichts.
    "Es gibt bestimmte Zeremonien wie Hochzeiten, dazu trommelt er. Und das ist eine Begrüßungsmusik für dich: Herzlich willkommen!"
    Willkommen bei den Dogon, willkommen in Djiambolo - eine durchwachte Nacht hatte es gebraucht, um zu verstehen, dass man in Djiambolo nicht alles sehen kann, was es gibt. Viele afrikanische Nächte wird es noch dauern, um einzusehen, dass man nicht alles, was es gibt, wirklich begreifen kann, obwohl Asama für alles eine Erklärung hatte.
    Jahre können dann schon wieder ins eigene Land gegangen sein, bevor der Reisende merkt, dass das im Grunde überall so ist. Und wie lange wird es noch dauern, bis er endlich erkennt, dass er all die Fragen, die er damals gestellt hat, um zu begreifen, was er sieht, letztlich immer nur sich selbst gestellt hatte?
    Hinterlassene Leidenschaften
    Mit einer Handtrommel wird in Djiambolo der unbekannte Gast aus der weiten Ferne begrüßt. So hört sich bei den Dogon eine Begrüßung an, wenn man sich schon lange kennt: Ser, ser... gut. gut...
    "Wenn wir uns begrüßen, fragen wir nach der Gesundheit der Kinder, der Frauen und zuerst nach der des Vaters, der Mutter und der Großeltern. Man fragt nach der ganzen Familie und oft noch nach den Tieren, denn die gehören ebenfalls zur Familie. Sich mal hopp hopp begrüßen, das geht nicht. Es ist ein Zeichen der gegenseitigen Achtung."
    - Und wenn es euch schlecht geht, sagt ihr, es gehe euch gut?
    "Ja, es ist nicht wie unter euch Europäern. Wir sagen, es gehe uns gut, selbst, wenn es uns nicht gut geht."
    Dogo-Dorf in Begnimato
    "Wenn wir die Geduld verlören, hieße das, wir hätten unsere Kultur verloren": Ein Dogon-Dorf in der kargen Landschaft von Begnimato. (epa Nic Bothma / dpa)
    Mali geht es schlecht. Nicht einmal Asama würde das bestreiten. Dürre, Terror, Islamismus - diese Reise ins Land der Dogon im Osten Malis wäre heute so nicht mehr möglich. Dabei war vor wenigen Jahren noch der Felsabbruch von Bandiagara ein beliebtes Ziel für Reisende, die eine alte afrikanische Kultur in ihrer Ursprünglichkeit erleben wollten.
    "Mein Wissen kommt nicht von mir allein, es ist das Wissen der ganzen Familie über die Zeiten hinweg.Es geht nicht nur um die Dogon, nein, ich kann über die Geschichte ganz Afrikas sprechen."
    Der 26-jährige Asama bot sich mir als Reiseführer an, unsere Begrüßungen waren Verhandlungen - wie lange, wohin, wie viel -, denn wer durch sein Land reisen will, darf es nicht ohne einheimischen Begleiter. Fremde Einflüsse wollten die Dogon schon immer begrenzen.
    "Die großen Herren hatten sich mit den Franzosen verbündet, um unsere Ahnen als Sklaven zu verkaufen. Unsere Ururgroßeltern sind davor geflohen, aber bis heute haben uns ihre Leidenschaften hinterlassen."
    Was ich denn wissen wolle?, fragte mich schließlich Asama. Ich sagte, er solle mir die Kultur der Dogon erklären, erzählen, was ihm und seinem Volk wichtig ist - da wusste ich allerdings noch nicht, warum nur die Tiere, die ja nicht sprechen können, die Ahnen sehen.
    "Ich werde dir alles über Dogon erklären, Stufe für Stufe."
    Gespeicherte Geheimnisse
    Djiambolo - das Dorf von Asama. Ein Ort wie so viele andere in Westafrika. Unter den Lehmhütten ragen nur zwei Backsteinbauten heraus: eine Kirche und eine Moschee. In Djiambolo wird die eine von einem Missionar aus Belgien betreut, die andere wurde mit Geldern aus den Golfstaaten errichtet. Das ist allerdings nicht, was mir Asama zeigen wird.
    "Hier ist das Land der Dogon. Wir sind Animisten. 1935 gab es eine große Missernte, französische Missionare verteilten Nahrung an jene, die sich zum Christentum bekannten. Als es wieder besser wurde, sind fast alle zum Animismus zurückgekehrt. Selbst, wenn jemand Moslem oder Christ ist, führt er bei einer Beerdigung oder zur Ernte der Hirse alten Rituale aus. Unsere religiöse Basis ist der Animismus. Immer noch. Immer noch lebendig."
    Unser Rundgang durchs Dorf führt auf staubigen Wegen entlang an Mauern aus Lehmziegeln. Seit Menschengedenken wird damit gebaut. Und so ist auch die erste Hütte aus Lehm, die Asama mir zeigt. Darin treffen wir auf denjenigen, der in der Welt des Dorfes am Anfang aller Dinge steht.
    "Der Schmied ist der erste Mensch der Welt"
    "Er ist unser Schmied. Er stellt alles her, was aus Eisen ist: Werkzeuge, die wir für die Ernte brauchen, und Speerspitzen. Der Schmied ist der erste Mensch der Welt, wenn er nicht all die Dinge aus Eisen herstellen würde, gäbe es nichts in der Welt."
    Beim Schmied stelle ich die erste Frage, mit der ich - damals noch - meinte, der fremden Kultur auf den Grund zu gehen: Habt ihr Angst vor ihm?
    "Er kann Eisen magnetisch anziehen, er verfügt über eine unsichtbare Kraft. Nach der Ernte opfert jede Familie unserem Gott etwas Hirse, aber zuallererst bekommt der Schmied welche. Das machen wir nicht aus Angst, das ist ein Zeichen des Respekts."
    Ein wenig weiter ins Dorf. Ein ummauertes Grundstück und unweit davon ein einfaches Gebäude.
    "Wenn ein Neugeborenes stirbt, das nie ins Leben gekommen ist, wird es hier begraben. Frauen dürfen hier nicht hinein. Und wer an diesem Portal nachts vorbeigeht, darf keine Lampe anzünden. Es ist ein heiliger Ort. Und dieses Haus wiederum ist nur für Frauen. In unseren Familien gibt es viele Geheimnisse, und wenn die Frauen ihre Regel haben, kommen sie hierher, weg von Zuhause. Nach einigen Tagen kehren sie zur Familie zurück, um wieder zu kochen."
    Geheimnisvolle Behausungen
    Besonders geheimnisvoll erscheinen die hohen, über das ganze Dorf verstreuten Lehmquader mit ihren beinahe lustigen, hutähnlichen Dächern. Man findet sie nur bei den Dogon. Viel wird in der ethnologischen Fachliteratur über die Bedeutung der Form der Speicher- und Lagerhäuser gerätselt: Stellen Sie einen Menschen dar? Oder ein himmlisches Wesen? Über ihre Funktion hingegen gibt es keinen Zweifel - und trotzdem bergen sie Geheimnisse.
    "Diese Speicher sind für Männer reserviert. Sie lagern darin die Hirse für die ihre Familien. Jeden Morgen entnehmen sie ein wenig davon und die Frauen der Familie stampfen sie, um Hirsenudeln herzustellen."
    In den Speichern der Männer lagert die Hirse, das Grundnahrungsmittel der Dogon. Jeden Morgen holt der Haushaltsvorstand die Tagesration für seine Großfamilie aus dem Speicher und übergibt sie den Frauen zum Stampfen. In den Speichern der Frauen lagern Erdnüsse, Bohnen, Heu, Kondamin und ihre persönliche Habe.
    "Die Männer schauen niemals in die Speicher der Frauen.Und Frauen dürfen nicht in die Speicher ihrer Männer schauen, sie dürfen nicht einmal wissen, ob er leer ist oder voll. Sie dürfen nicht hineinsehen.Die Männer geben die Hirse aus, und wenn der Speicher leer ist, dann arbeiten sie, um welche dazu zu kaufen. Aber die Frauen haben kein Recht, das zu erfahren."
    - Und wenn er nun ein schlechter Haushälter ist?
    "Selbst wenn ein Mann nicht arbeitet, muss er als Ältester der Familie seine Rolle ausfüllen. Dem kann sich niemand verweigern. Wenn der große Bruder nicht mehr ist, dann kommt der Zweitälteste an die Reihe und muss die Familie schützen. Doch bei uns wird jedem geholfen. Aber es bleibt eine Sache unter den Männern.Die Frauen sollen nicht erfahren, dass ihrer Familie geholfen wird."
    - Dient das dazu, die herkömmlichen Rollen aufrechtzuerhalten?
    "Wenn es einer Familie an Nahrungsmitteln mangelt und einer der anderen Familienvorstände davon weiß, dann gibt man etwas ab. Aber man macht das nichts tagsüber, sondern in der Nacht, wenn alle schlafen. Dann legt man die Hirse in den Speicher des Mannes der Familie, so dass es keiner merkt. Es wird nichts bezahlt und nichts verlangt. Gegeben ist gegeben. Es entstehen keine Schulden, die beglichen werden müssten. Wir zeigen nicht, dass wir geben, wir sagen uns nicht offen ins Gesicht, dass uns etwas fehlt. Wir geben und nehmen heimlich, um in Würde zusammen leben zu können."
    Kultur der Geduld
    "Ich werde dir nun die Togana zeigen, wie sie aussieht und wie sie funktioniert. Du wirst unser Haus des Palavers sehen, unser Gericht. Wenn wir untereinander einen Konflikt haben, wird er dort gelöst."
    Auf einem Platz mitten zwischen Lehmmauern steht die Togana. Ein niedrig ummauertes Quadrat, überdacht von einem wuchtigem Deckel aus Lehmreiser, der sich auf einer Umrandung aus Holzpflöcken stützt - der Ort, wo die Alten des Dorfes solange palavern, bis sie eine Entscheidung treffen oder ein Urteil sprechen.
    Blick von den Felsen von Bandiagara
    "Bei uns im Dogonland können wir einfach nicht alles beschleunigen, unsere Kultur lässt das nicht zu." - Blick in die Weite von den Felsen von Bandiagara (epa Nic Bothma / dpa)
    "Wenn du in eine Togana hineingehen willst, musst du dich bücken und ganz klein machen. Viele sind bei der Verhandlung sehr aufgeregt, sie wollen sich streiten und manche wollen gar auf den Kontrahenten einschlagen. Aber wenn sie nun aufstehen wollen, stoßen sie sich den Kopf. Da bleibt man besser sitzen und nimmt das Urteil der Alten entgegen. Das ist die Philosophie der Dogon."
    Bücken muss man sich, zur Mitte hin öffnet sich eine Vertiefung, drum herum formt sich eine Sitzbank. Langsam gewöhnt sich das Auge an die Dunkelheit. Zwei alte Männer sind in der Tongana, sie spielen Karten. Wir setzen uns hinzu, sie spielen weiter, als wären wir nicht da. Wir stören sie nicht, sagt Asama, denn falls wir störten, versichert er, würden sie uns das schon deutlich machen. Aber gerade steht keine Entscheidung an, keine Verhandlung läuft, und es sieht auch nicht so aus, dass es schon bald wieder soweit sein wird.
    Die Jungen beraten, die Alten entscheiden
    "Die Jungen dürfen den Älteren zuhören, sie dürfen auch ihre Ansicht kundtun, aber letztlich sind es die Alten, deren Meinung respektiert wird. Sie haben gelebt, wir Jungen kennen zwar auch schon etwas vom Leben, aber nicht soviel wie sie. Wir können sagen: 'Großvater, mach es so, das wäre besser', wenn er es annimmt, ist gut, wenn nicht, ist es auch gut."
    - Aber ihr jungen Leute habt doch oft schon mehr von der Welt gesehen als die Alten?
    "Ja, und wir können ihnen unsere Erlebnisse mitteilen und sie können ihre Erfahrungen damit abgleichen. Die Alten hören uns zu, denn wir leben ganz anders als sie. Wir sind in die Schule gegangen. Wir sind etwas fortschrittlicher, und ohne die Hilfe der Jungen könnten die Alten gar nicht mehr alles verstehen. Aber auch die alten Traditionen sind nicht leicht zu verstehen. Also muss man immer zuhören."
    - Und alle müssen sich in Geduld üben, sie mit euch und ihr mit ihnen?
    "Sie vielleicht etwas weniger als wir, die neue Generation, aber wenn wir nun die Geduld verlören, hieße das, wir hätten unsere Kultur verloren. Das wäre nicht gut für uns. Die Welt mag heute sehr beschleunigt sein, doch hier ist es anders. Dort in der Welt, gibt es ständig etwas Neues, neue Technologien schreiten voran, aber hier in Afrika und bei uns im Dogonland können wir einfach nicht alles beschleunigen, unsere Kultur lässt das nicht zu."
    - Die Kultur ist wichtiger als der Fortschritt?
    "Auch wir wollen Fortschritt, aber trotzdem kann man seine Kultur doch nicht fallen lassen. 60 Prozent soll bleiben, wie es war, und zu 40 Prozent kann der Fortschritt walten - 60 zu 40."
    Fetisch für alle Fälle
    "Hier ist der zentrale Fetisch zum Schutz unseres Dorfes. Wir opfern ihm eine Salbe aus frischer Hirse. Es ist wie ein Mittler zwischen uns und der großen Gottheit. Wenn wir Angst haben um unser Dorf, dann bitten wir den Fetisch und es sendet unsere Bitte an den großen Gott. Animisten agieren immer über einen Fetisch, und die Basis der Religion der Dogon ist der Animismus."
    Mitten im Dorf, um eine Anhöhe herum, das Fetisch: eine kleine, vielleicht einen Meter hohe, phallusartige Lehmsäule, auf deren abgerundeter Spitze die zerflossenen Reste von weißer Hirsesalbe und Blut eingetrocknet sind.
    "Es ist ein Fetisch. Manche meinen, das sei ein Monument. Aber nein, denn eigentlich hängt alles, was es vermag, nur vom Glauben ab."
    ...sagt Asama und macht damit klar, dass seine Erklärungen nun eine Stufe erreicht haben, auf der die Anwesenheit vor Ort nur begreiflich machen soll, dass es zum Verständnis der Kultur der Dogon mehr erfordert, als örtliche Anwesenheit.
    "Dem, der Übles angerichtet hat, wird Schlimmes widerfahren"
    "Wenn wir einen Übeltäter suchen, spüren wir ihn hier auf, selbst wenn er sich hier gar nicht aufhält, denn nach unserem Opfer wird ihm, egal wo er sich befindet, Schlimmeres angetan, als er angerichtet hatte. Du zahlst ein wenig und alles wird zusammengesucht: Salz, Gewürze, Hirse und ein Huhn, das stellvertretend für den Übeltäter getötet wird. Dem, der Übles angerichtet hat, wird nun Schlimmes widerfahren. Oder aber er hört auf mit seinen Untaten und stellt sich freiwillig."
    ...erzählt Asama und macht damit deutlich, dass jede Erklärungen, die auf dieser Stufe noch folgen kann, vom fremden Reisenden, wolle er die Kultur wirklich verstehen, mehr verlangt, als wohlwollendes Interesse.
    "Einem Fetischist genügt schon ein kleiner Stein als Fetisch. Du könntest dir etwa eine Figur aus Holz mit nach Deutschland nehmen. Du musst nur die Regeln respektieren, die man dir hier erklärt hat. Wenn du verspürst, dass es dir sagt, du solltest einem Huhn die Gurgel zudrücken, musst Du es dann selbst dort in Deutschland tun: ein Huhn suchen und zudrücken. Wenn es Hirsebrei verlangt, musst Du ihn zubereiten und opfern."
    - In welchen Lebenslagen sollten wir denn dem Fetisch opfern?
    "Wer dringend Hilfe braucht, wendet sich an die Alten. Aber wenn du der Segnung für deine Zukunft und deiner Familie bedarfst, dann opferst du dem Fetisch. Wenn du Vertrauen hast und ohne zu zweifeln deinen Weg weitergehst, ohne nach links oder rechts abzuweichen, wird es eintreffen, was du wünschst. Wenn du allerdings opferst, aber doch nicht wirklich daran glaubst, wirst du im Gegenteil noch zusätzliche Probleme bekommen. Wenn du zweifelst, klappt es nicht."
    - Und hier im Dorf zweifelt jemand daran?
    "Die Menschen, die von hier sind, zweifeln nicht an ihrem Glauben. Wer zweifelt, kann hier nicht auf Dauer bleiben. Es ist ziemlich schwer, hier zu leben, unter uns ist keine Erde, es ist nackter Fels. Wir halten das Leiden aus, weil wir glauben. Unsere Ahnen konnten nicht von unserem Glauben lassen, er hat sie hierher gebracht - und wir können es auch nicht. Wer aber nicht mehr daran glaubt, geht dorthin, wo es modern ist, nach Bamako, der bleibt nicht hier. - Sonst noch Fragen?"
    Ungläubiger Besucher
    Asama zeigte mir noch eine Senke auf einem Gesteinsbrocken, worin sich seit Menschengedenken Wasser sammelt. Heiliges Wasser...
    "Mit dem heiligen Wasser kann man vieles machen. Die Alten können Mittel herstellen, die dich stärken. Zum Beispiel wenn Krieg herrscht, kannst du damit andere sehen, sie dich aber nicht. Es hat die Kraft, dich unsichtbar zu machen."
    Asama verriet mir noch, dass unter den Weisen der Dogons eine Geheimsprache zirkuliert, die ihnen untereinander zur Weitergabe des spirituellen Wissens dient...
    "Man muss, um die Geheimsprache Zigizou zu erlernen, drei Monate lang in den Felshöhlen außerhalb des Dorfes verweilen. Nur zu ganz bestimmten Zeiten wird Zigizou gelehrt. Die Alten bestimmen den Moment, wenn es soweit ist, und wem sie sie lehren.Sie ist nicht wie die Alltagssprachen, in der wir uns gerade unterhalten. Sie ist komplizierter."
    Und wir besuchten noch die Gina des Dorfes, ein kunstvoller Lehmbau, über deren Eingang ragen vier stalagmitartige Spitzen in die Höhe mit Spuren von Hirsesalbe und Blut darauf. Darin ist der Hogon ansässig, der Priester, der die Riten bewahrt…
    "Sobald du zum Hogon auserwählt bist, verfügst du über unsichtbare Kräfte. Du wäschst dich nicht mehr wie die anderen. Eine Schlange leckt dich mit ihrer Zunge sauber, ohne dir etwas anzutun. Wir nennen sie Lèbè.Wir töten sie nicht. Sie ist heilig, Lèbè ist der Geist der Ahnen."
    Kurz: ich hatte keine Fragen mehr. Und Asama hätte mir noch vieles mehr über die Kultur der Dogon erklärt, wenn er nicht schon bald gespürt hätte, dass der fremde Reisende diese Stufe des Verständnisses nicht mehr erklimmen würde.
    "Das Denken des Menschen beschränkt sich auf seine Vorstellungen.Doch im Grunde gilt doch überall dasselbe: sei ehrlich, tu Gutes, nichts Schlechtes, töte niemanden, beraube niemanden, betrüge niemanden, gehe mit jedem auf rechte Weise um.Wenn du aber trotzdem den Glauben der anderen verspottest, bist du dumm. Denn du hast doch auch gar keine Ahnung, was dich schließlich nach dem Tod erwartet. Uns Menschen bleibt nur die Frage, welche Vorstellung davon dir am besten gefällt. Dir gefällt es, Christ zu sein, einem anderen Moslem und mir Animist. Wer trotzdem lästert, erkennt die einzige Realität nicht: Wir sind alle menschliche Wesen, egal, was auch immer du dir heute vorstellst, am Ende wird uns allen dasselbe widerfahren, ob wir schwarze Haut haben oder weiße. Wir sind alle gleich. Nur wer das nicht erkennt, kritisiert die Vorstellungen des anderen. Aber sein Lästern ist null und nichtig."
    Die Geister sind überall
    Die Geister der Ahnen laufen durch das Dorf und die Tiere tun davon kund. Jede Nacht. Seither und in all den Jahren, die noch ins Land der Dogon gehen werden, solange, wie alle daran glauben.
    Glauben sie das wirklich? Das war die letzte Frage, die der fremde Reisende noch zu stellen vermochte. Und die erste, die er mit nach Hause genommen hat: Denn wachen nicht auch dort Geister darüber, dass alles beim Rechten bleibt, wo keine Tiere davon kundtun? Und welchen Fragen wird er sich dann stellen müssen? Was würde er dann sagen? Asama hat auch darauf eine Antwort, denn er weiß, warum nur die Tiere, die eben nicht sprechen, die Ahnen sehen können.
    "Wenn du die Geister sehen könntest, würdest du verrückt werden. Denn wenn ein Mensch etwas Ungeheures sieht, kann er es nicht für sich behalten. Alle Lebewesen, die sprechen können, sehen die Geister der Ahnen nicht.Wer darüber reden würde, bekäme doch nur große Probleme mit denen, die sie nicht erkennen können. So ist es bei uns Dogon: Du kannst den Geist der Ahnen nicht sehen, aber die Tiere. Sie können mehr sehen, als die Menschen,denn sie sprechen nicht. Sie wissen mehr als Menschen, weil sie sich über ihr Wissen nicht erst verständigen müssen. Das ist der Unterschied."