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"Eine gelungene Verbindung von Unternehmertum und Kultur"

Dass eine Kultureinrichtung einen Unternehmenspreis bekommt, ist schon ziemlich ungewöhnlich. In diesem Jahr ging einer der Deutschen Gründerpreise an die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen. Das Orchester hatte die Jury mit seiner unternehmerischen Leistung überzeugt. Die Jury zeichnete die 'gelungene Verbindung von Unternehmertum und Kultur' aus.

Von Christina Selzer | 15.07.2008
    Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen residiert in der Stadtwaage, einem der schönsten historischen Gebäude in der Altstadt. Das Großraumbüro: Ganz modern: 13 Mitarbeiter sind hier beschäftigt, sie kümmern sich darum, dass Geld reinkommt. Denn nur 40 Prozent an staatlicher Förderung bekommt das Orchester. Der Rest wird durch Sponsoring und Veranstaltungen finanziert.

    Die 'unternehmerische Leistung', die jetzt prämiert wurde, begann aber schon im Jahr 1980. Da nämlich gründeten Musikstudenten ihr eigenes Orchester. Nur für die Kunst wollten sie leben. Hier sollte es nicht ums schnöde Geld gehen, allein um die Musik. Doch da sich niemand mit Buchhaltung auskannte, wäre es fast schiefgegangen. 1998 stand das Orchester vor der Pleite. Mit einem Schuldenberg von 1,5 Millionen DM. Und jeder einzelne Musiker war persönlich in der Haftung. Der Kontrabassist Albert Schmitt krempelte die Ärmel hoch. Aus dem Musiker wurde der Manager.

    "Dann hatte ein zwei Ideen, was man ändern könnte. Dann hab ich mir gesagt, stell dein Instrument in die Ecke, probier das, wenn hier sowieso jeder als Unternehmer agiert, dann muss man es konsequent als Unternehmen umbauen. Wir hatten ja vorher kein Marketing, keine PR, kein Controlling. Mit dem Konzept bin ich an den Start gegangen. Hinzu kam die Idee, das ganze konsequent als Marke zu führen. Ich hatte das Glück, gute Leute zu finden, den Chef von Sony Classics und auch Klau Brandmeier, der Markenpapst in Deutschland."

    Mit professionellem Marketing und einer systematischen Marktstrategie waren die Schulden nach 2 Jahren weg. Gleichzeitig wurde das Orchester immer erfolgreicher.
    Seit etwa 5 Jahren werden sie zu den weitweit führenden Orchestern gezählt. Albert Schmitt kam auf die Idee, dass, man um eine neue Geldquelle zu erschließen, diese musikalische Hochleistung auch gut vermarkten könnte. Und zwar auf dem lukrativen Markt des Manager-Coachings. Doch der Wirtschaftsexperte, der zu Rate gezogen wurde, der Saarbrücker Professor Christian Scholz, lehnte erst ab.

    "Und er sagte, nee, ganz bestimmt nicht. In der Personalführung gilt das Orchester als klassisches Beispiel für Topdown-Steuerung, das hat mit Hochleistung nix zu tun. Einer dirigiert vorne und die anderen machen es nach. Ich hab dann gesagt, Moment mal! Wir haben 35 Gesellschaftermusiker, die keine Angestellten. Die haben ein ganz anderes Selbstbewusstsein, eine andere Motivation, als ihrem Dirigenten bedingungslos zu folgen."

    Der Experte wurde davon überzeugt, dass es sich doch um Hochleistung handelt und entwickelte zusammen mit dem Orchester als besondere Marke ein Managertraining, das sogenannte 5-Sekunden-Modell. Dabei handelt es sich allerdings nicht um die zeitliche, sondern um die musikalische Sekunde, erklärt der Musiker und Manager:

    "Die Sekunde in der Musik bezeichnet den engst möglichen Abstand zwischen zwei Tönen. Faszinierende Doppelnatur. Wenn man sie nacheinander spielt, wie bei Yesterday von den Beatles, dann bekommt man wunderbare Harmoniefolgen. Wenn ich die Sekunden zur selben Zeit spiele, bekomme ich die Dissonanz, das hat uns Fasziniert, weil das Fortschreiten der Melodie und gleichzeitig die Dissonanz extrem widersprüchlich ist."

    Dieser Widerspruch, oder besser gesagt: Der Umgang damit, das fanden sie heraus, macht den entscheidenden Unterschied zwischen einem durchschnittlichen und einem besonders erfolgreichen Unternehmen aus.

    "Sie suchen den Umgang damit, weil sie verstehen, dass Widersprüche, wie die Pole in einer Batterie Energie speichern. Wenn es gelingt, diese Widersprüche nutzbar zu machen für den Arbeitsprozess, dann entsteht das mehr, das Weltklasse-Orchester von normalen unterscheidet."

    Immerhin 40 000 Euro pro Tag muss ein Unternehmen hinblättern, wenn es seine Manager zum Training schickt, damit sie ihre Teamleistung verbessern. Große Konzerne gehören mittlerweile zu den Kunden der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen.
    Was die Jury des Deutschen Gründerpreises außerdem überzeugt hat, ist der Umgang mit sozialen Widersprüchen. Die Musiker der Kammerphilharmonie sind in die Übungsräume der Gesamtschule Ost im Problemstadtteil Tenever gezogen. Dort machen sie auch Musikprojekte mit den Schülern. Dies gehöre zu dem ganzheitlichen Ansatz, erklärt Albert Schmitt. Das ist die Philosophie seines Orchesters:

    "Wir haben eine Diskussion über exorbitante Managergehälter und auf der anderen Seite über Kinderarmut. Das passiert dadurch, dass man die Themen abkoppelt. Das sind keine Widersprüche. Die Lösung ist ganz einfach. Das ist alles Teil derselben Gesellschaft. Die Gesellschaft täte gut daran, aufeinander zuzugehen."

    Mehr zur Auszeichnung der Kammerphilharmonie Bremen mit dem Sonderpreis des Deutschen Gründerpreises finden Sie hier