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Eine Gesellschaft im Weblog

Kritische Journalisten im Iran veröffentlichen zunehmend anonym in Online-Magazinen, und wer frei seine Meinung äußern will, richtet sich einen Weblog ein, eine eigene Internetseite. Mehr als 65.000 Iraner schreiben in solchen Internet-Tagebüchern mittlerweile über ihren Alltag, ihre Konflikte mit dem Regime und der Gesellschaft, ihre Sorgen und Hoffnungen.

Von Kristin Helberg |
    Die anonyme Lobby eines internationalen Hotels in Teheran. Soheil sitzt in einem tiefen Ledersessel, um sich herum diskrete Betriebsamkeit. Nur hier fühlt sich der 23-Jährige sicher genug, um über seine Arbeit als Internetautor zu sprechen.

    "Es gibt nicht ein oder zwei rote Linien, sondern viele Tabus, mit denen wir konfrontiert sind. Ein politisches Beispiel sind die Strukturen, die die Islamische Republik definieren. Der ganze Journalismus ist heutzutage ein Risiko im Iran."

    In den vergangenen Jahren sind immer wieder Journalisten verhaftet und zu Gefängnisstrafen verurteilt worden, Soheil schreibt deshalb meist unter Pseudonym. In der Anonymität des Internets könnten Iraner endlich offen ihre Meinung sagen, erklärt der junge Mann.

    "Früher waren die Online-Medien kritischer als die gedruckte Presse. Aber jetzt lesen mehr und mehr Leute im Internet und das hat die Regierung sensibler gemacht. Sie filtert bestimmte Adressen und versucht damit, diese Welle aufzuhalten, die von außen und innen einströmt und das Volk mit sich reisst."

    Das Sperren von Seiten sei jedoch leicht zu umgehen, sagt Parastoo, die jeden Tag mehrere Stunden im Internet verbringt. Wenn sie mal nicht online ist, trifft sie sich mit Freunden im Iranischen Künstlerforum, einem Kulturzentrum in Teheran. Die 26-Jährige mit dem locker gebundenen grünen Seidenschal und der runden Brille betreibt ein eigenes Weblog. Dort berichtet sie über persönliche Erfahrungen, gesellschaftliche Entwicklungen und die Situation der iranischen Frauen.


    "Blogs erreichen Iraner innerhalb und außerhalb des Landes, so entstehen auch Kontakte mit Iranern im Exil. Sie haben im Ausland bestimmte Erfahrungen gemacht, die sie mit den Iranern zuhause teilen können, das ist wichtig für unsere Jugend."

    Irans Jugendliche kämpfen mit gesellschaftlichen Traditionen. Voreheliche Partnerschaften sind offiziell Tabu, beim Heiraten zählen Herkunft und Vermögen mehr als Gefühle. Hinzu komme der Staat, der sich mit vermeintlich islamischen Kleidervorschriften und Verboten in das Privatleben der Leute einmische, kritisiert Parastoo. Das Internet habe ihr geholfen, sich von den Zwängen des iranischen Alltags ein bisschen zu befreien, sagt die Bloggerin.

    "Ich denke liberal, das habe ich zum größten Teil von iranischen Freunden im Ausland gelernt. Die Art, wie sie leben, wie sie das Verhältnis zu ihrer Familie regeln, wie sie unabhängig werden – all diese Dinge kennen wir im Iran so nicht."

    Dabei sei die Welt der Weblogs und Emails keineswegs nur einer kleinen Elite vorbehalten, betont Parastoo. Sie sieht das Internet vielmehr als Instrument der gebildeten Mittelschicht, die im Iran einen Großteil der Bevölkerung ausmacht. Der virtuelle Austausch mit dem Westen ist nicht aufzuhalten, das haben auch Irans Geistliche erkannt. Manche klinken sich deshalb ein in die persische "Blogosphäre". Mohammed Ali Abtahi war Irans erster Turbanträger mit weblog. Der Leiter des Zentrums für interreligiösen Dialog arbeitete jahrelang an der Seite von Ex-Präsident Chatami.

    "Ich schreibe nicht für religiöse Leute, sondern für Iraner, denn ich fühle mich selbst als Iraner. Als ich anfing, war ich der Vize von Präsident Chatami. Eigentlich muss man das Weblog eines solchen Menschen nicht lesen, aber ich habe als Kleriker so geschrieben, dass sich die Leute angesprochen fühlten, deshalb habe ich so viele Leser."

    Das Internet ist zu einer doppelten Herausforderung für die Regierung in Teheran geworden. Einerseits erfahren Menschen in aller Welt von den Zuständen und Problemen im Iran, andererseits wissen Iraner, was andernorts möglich ist. Junge Leute wie Soheil und Parastoo haben den Anschluss an die Moderne gefunden. Und der bloggende Turbanträger Abtahi scheint davon begeistert.

    "Irans Jugendliche sind mit der ganzen Welt in Kontakt gekommen. Sie sind ein Teil der Weltjugend geworden, deshalb geht die Regierung vorsichtig mit ihnen um. Die internationale Kommunikation ist das größte Wunder der Menschheitsgeschichte."