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"Eine Gurke? Nein! Es ist ein Brot!"

In den Kindertagesstätten in Nordrhein-Westfalen laufen in diesem Jahr zum vierten Mal die Sprachtests "Delfin 4" an. Die hatte Schulministerin Barbara Sommer vor drei Jahren verpflichtend eingeführt, damit Kinder ab dem vierten Lebensjahr frühzeitig Sprachförderung bekommen können, wenn sie denn welche benötigen. Klingt gut in der Theorie, hapert aber noch erheblich in der Praxis.

Von Jessica Merten | 09.01.2010
    Erzieherin Angelika Püth: "Nimm den Tierpfleger mal von seinem Platz. Stelle den Tierpfleger auf eine Giraffe."

    Hannah: "Auf die gleiche."

    Die vierjährige Hannah schiebt lächelnd eine kleine Holzfigur quer über ein Brettspiel. Der kleine Tierpfleger landet auf dem Kopf einer Giraffe. "Besuch im Zoo" heißt das Spiel, und es sieht ein bisschen aus wie Mensch-ärgere-dich-nicht. Vier Kinder sitzen um das Spiel herum, ihre Erzieherin Angelika Püth ist auch dabei. In der Ecke des Zimmers sitzt Grundschullehrerin Monika Schulte ter Hardt und macht sich Notizen über Hannahs Antworten. Und die hat ihre Sache gut gemacht. Jetzt ist Emma an der Reihe. Sie soll Sätze nachsprechen.

    "Malte singt ein Lied.""

    Aber Emma hat keine Lust. Sie hält ihrer Erzieherin lieber ihren grünen Plüschdrachen entgegen.

    Emma: ""Nein, der soll!"
    Erzieherin: "Der soll das sagen? O.K. Sag ihm das mal: Malte singt ein Lied."

    Nichts zu machen. Emma schweigt beharrlich und vergräbt ihre Nase in ihrem Plüschdrachen. Sie spürt instinktiv: Dieses Spiel ist irgendwie anders als andere Spiele. Ihre Erzieherin Angelika Püth findet das nicht verwunderlich.

    "Es ist eine recht unnatürliche Spielsituation. Auch der Besuch im Zoo ist nicht allen Kindern im Alter von vier Jahren bekannt. Wir haben Kinder mit der Zweitsprache Deutsch, die möglicherweise noch nie in ihrem Leben einen Zoo besucht haben und sollen jetzt diese Spielsituation aufgreifen, und das ist für die sehr, sehr schwierig."

    Erzieherin: "Vacemo.""
    Tan Hendrik: ""Vatemo."
    Erzieherin: ""Kniegiba.""
    Tan Hendrik. ""Kniediba.""

    Tan Hendrik muss als Nächstes Kunstwörter nachsprechen. Bereits für einen Erwachsenen klingen die kompliziert.

    Erzieherin: "Dorinegu.""
    Tan Hendrik: ""Dolinjuti"

    Damit will Angelika Püth Wortverständnis und Lautbildung testen. Dass dies aussagekräftig sein soll, bezweifeln allerdings die Eltern, denn genau hier verweigern sich viele Kinder, meint Familienvater Christian Vogt.

    "Ich glaube, das Nachsprechen ist nicht das Problem. Die Frage ist eher, ob die Kinder die Erzieherin – ich sag's mal auf Deutsch – nicht für bekloppt halten, wieso sie solche Wörter überhaupt nachsprechen sollen."

    Wenn ein Kind auch in der zweiten Testrunde nicht die erforderlichen 42 Mindestpunkte erreicht, kommt es für zwei Jahre in die Sprachförderung. 340 Euro gibt das Land jeder Einrichtung für jedes sprachgeförderte Kind. Dabei unterrichten Trainer die Kinder in kleinen Gruppen. In einer KITA in Münster-Kinderhaus zum Beispiel gibt es zurzeit 30 sprachgeförderte Kinder. Viele von ihnen kommen aus Migrantenfamilien. Sprachtrainer Diethelm Werning kommt daher fünfmal die Woche. Die Probleme, die die Kinder mit der Sprache haben, sind einfach zu groß.

    "Das Erste ist, dass die Kinder viele Gegenstände des alltäglichen Lebens nicht benennen können, dass sie sich sehr viel Mühe geben, das mit vielen Wörtern zu umschreiben, aber selbst die einfachsten Begriffe nicht verfügbar haben. Das Zweite ist, dass sie meist nur einwortartig sprechen, also gar kein Gefühl für Satzstrukturen haben."


    Kind: "Da muss man essen.""
    Trainer: ""Das kann man essen, ja? Was könnte das sein? (...) Man kann es schneiden und man kann es essen ..."
    Kind: "Eine Gurke?!""
    Kinder zusammen: ""Nein!""
    Junge: ""Es ist ein Brot!"

    In dieser KITA gibt es so viele sprachgeförderte Kinder, dass die Stadt dafür einen Sprachtrainer eingestellt hat. Wenn in einer Einrichtung nur einzelne Kinder eine Förderung benötigen, entscheidet die KITA selbst, ob sie einen zusätzlichen Sprachtrainer beauftragt. Oft werden die Zuschüsse jedoch verwendet, um eine Erzieherin aus den eigenen Reihen für die Sprachförderung fortzubilden. Der Unterricht in gesonderten Gruppen ist dann oft nicht mehr möglich.

    "Da gibt es kein besonderes Sprachförderprogramm, das heißt, das muss dann im Gruppenalltag erfolgen. Das stellt eine besondere Herausforderung dar. Die Kolleginnen haben heute schon so vielfältige Aufgaben zu erledigen, dass oftmals die Zeit für diesen besonderen Aspekt fehlt."